2019 hat die österreichische Bundesregierung den Familienbonus-Plus eingeführt – eine Steuererleichterung, die an das Einkommen gekoppelt ist. Kritik an dieser sozial völlig verkehrten Maßnahme kommt vom „Aufstand der Alleinerziehenden“. Die Gruppe fordert eine gänzlich andere Familienpolitik.
Am Dienstag, den 29. September findet im Depot Wien um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion der Initiative FamilienbonusFAIR – UmverteilenJETZT statt, in der der aktuelle Familienbonus diskutiert wird. Die Initiative „Aufstand der Alleinerziehenden“ ist neben Organisationen wie der Volkshilfe, den Frauenhäusern Österreich und den Femme Fiscale am Podium. Iga Zakrzewska hat für den Mosaik-Blog mit Iris Hanebeck und Barbara Stefan vom Aufstand der Alleinerziehenden über den Familienbonus, notwendige Alternativen dazu, sowie die Aufwertung von Care-Arbeit gesprochen.
Iga Zakrzewska: Den Familienbonus in der jetzigen Form gibt es bereits seit Anfang letzten Jahres. Er wird von der Regierung als große finanzielle Entlastung für Familien gefeiert. Ihr kritisiert den Bonus – warum?
Aufstand der Alleinerziehenden: Unsere Kritik am Familienbonus richtet sich vor allem gegen seine Struktur. Es ist eine Steuermaßnahme, die an das Einkommen gekoppelt ist. Er unterstützt vor allem höhere Einkommen und damit Familien, die bereits ausreichend versorgt sind. Alleinerziehende gehören in den wenigsten Fällen zu dieser Gruppe. Jedes dritte Kind geht gänzlich leer aus, in Österreich 500.000 Kinder. Wir sind der Meinung, dass diese Umverteilung nach oben eine bodenlose Frechheit ist.
Im Familienbonus wird die rassistische Teilung der türkis-grünen Regierung fortgesetzt. Im Ausland lebende Kinder, deren Eltern in Österreich leben, sind ausgeschlossen. Diese Regelung, die übrigens auch beim Corona-Familienhärtefallfonds angewandt wird, ist bis heute nicht EU-rechtskonform.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Aufteilung des Familienbonus bei getrennt-lebenden Eltern. Entweder es beantragen beide Eltern jeweils 50 Prozent des Bonus oder ein Elternteil die volle Summe – unabhängig davon, wie die Kinderbetreuung zeitlich aufgeteilt ist. Oft ist es ja so, dass ein Elternteil die Kinder nur am Wochenende betreut. Im Regelfall ist das der besserverdienende Vater. Den Rest der Woche verbringen sie bei der Mutter. Laut Arbeiterkammer werden drei Viertel des gesamten Bonus auf Konten von Vätern gehen.
Der Familienbonus muss also überarbeitet werden. Was sind eure Vorstellungen dazu?
Es geht uns nicht nur um den Familienbonus. Das gesamte System für Familienpolitik gehört überholt. Das beinhaltet einerseits den Familienbonus aber auch Themen wie Anerkennung von Care-Arbeit und Reproduktionsarbeit, Unterhaltsgarantien für Alleinerzieher*innen, Kinderarmut und nicht zuletzt die Betreuungssituation von Kindern. Da gibt es noch sehr, sehr viel zu tun.
Was wären hier eure konkreten Forderungen in Bezug auf Reform des derzeitigen Bonus?
Was den Familienbonus betrifft, so wäre als erste Maßnahme eine umgekehrte Staffelung denkbar. Jene, die derzeit gar keinen Familienbonus erhalten oder nur die Ausgleichszahlung für Alleinverdiener_innen von 250 Euro, bekommen zukünftig den höchsten Satz. Ab der Armutsgefährdungsschwelle (1.286 Euro monatlich für einen Einpersonen-Haushalt) wäre eine Staffelung gut. All jene, die darüber liegen, bekommen proportional zum Einkommen entsprechend weniger. Ab beispielsweise 4000 Euro Netto-Einkommen ist Schluss. Der Bonus wird als Negativsteuer für all jene ausgezahlt, die unter der Einkommenssteuergrenze liegen. Das sind jene, die weniger als 1.100 Euro verdienen. Da geht es um ein Drittel aller Arbeitnehmer*innen.
Der Bonus steht unserer Ansicht nach zudem jener Person zu, die überwiegend die Care-Arbeit verrichtet. Wir finden, es kann nicht sein, dass der Familienbonus von dem Elternteil bezogen wird, der keine oder weniger Sorge-Arbeit verrichtet. Reproduktionsarbeit an sich muss mehr Sichtbarkeit, mehr gesellschaftliche, und aber vor allem finanzielle Anerkennung erhalten. Eine Unterhaltsgarantie wäre hier zudem ein grundlegender erster Schritt. Das bedeutet, dass der Staat einspringen muss, wenn ein Elternteil nicht zahlen kann. Bedingungslos, in angemessener Höhe und schnell. Aktuell erhalten gemäß einer Studie der ÖPA 50 Prozent der Alleinerziehenden keinen regelmäßigen Unterhalt. 15 Prozent erhalten gar nichts.
Parallel dazu ist die „Playboygrenze“, also die Deckelung der monatlichen Kinderunterhaltszahlungen nach oben, eine Frechheit. Aktuell müssen Elternteile – in der Regel die Väter – die sehr gut verdienen, maximal das zwei bis zweieinhalbfache der Regelbedarfssätze zahlen. Das sind dann maximal rund 700 bis 800 Euro für Kinder von sechs bis zehn Jahren. Auch wenn der Elternteil monatlich weit über 4000 Euro Netto verdient.
Welche Alternativen zum derzeitigen Familienbonus wären für euch denkbar?
Eine fortschrittliche Sozialpolitik würde den Familienbonus als Ganzes in Frage stellen. Sinnvoller als der Familienbonus in jetziger Form wäre, das Geld, das hierbei ausgezahlt wird – und das sind rund 1,5 Milliarden Euro – in gute öffentliche, soziale Infrastruktur zu stecken. Qualitative Schul- und Kindergartenbetreuung in Ganztagesform gehört da ebenso dazu wie mehr Geld für Pädagog_innen, aber auch aller anderen klassischen „Frauenberufe“. Eine generelle Stärkung der Gesundheitseinrichtungen, insbesondere der niedergelassenen Kinder-Kassenärzt*innen, Psycholog*innen und Elternberatungsstellen müssen gefordert werden.
Ein wesentlicher Punkt wäre die finanzielle Absicherung von armutsbetroffenen Kindern – nicht nur von Alleinerziehenden. Die Volkshilfe schlägt seit Jahren eine Kindergrundsicherung vor. 372.000 Kinder und Jugendliche sind in Österreich armutsgefährdet. Die Volkshilfe fordert einen flächendeckende Grundsicherung von Kindern, nämlich 200 Euro für jedes Kind als Sockel und für armutsgefährdete Kinder und Jugendliche eine Aufstockung auf 625 pro Kind und Monat.
Nicht zuletzt wäre ein versichertes Einkommen für alle, die Care-Arbeit leisten (müssen), ein wesentlicher Beitrag für eine gerechtere Gesellschaft. Wir fordern hier eine abgesicherte Freistellung aus bestehenden Arbeitsverhältnissen für die entsprechende Dauer der Care-Arbeit und ein versichertes Mindesteinkommen von 1700 Euro netto. Eine Sozial-, Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung während dieser Zeit würde in weitere Folge auch viele Aspekte der Altersarmut von Frauen lösen. Das Burgenland hat zum Beispiel 2019 die Anstellung und Absicherung von pflegenden Angehörigen umgesetzt.
Veranstaltungshinweis: Die Podiumsdiskussion findet am Dienstag, den 29. September um 19 Uhr im Depot in Wien statt. Anmeldung für die Teilnahme – bitte ein Mail mit Betreff: „Anmeldung 29.9.” an: depot@depot.or.at. Für eine Teilnahme über Zoom bitte Mail mit dem Betreff „Teilnahme per Stream“ an: kontakt@familienbonusfair.at