Extinction Rebellion: Esoterische Sekte oder neue Massenbewegung?

Extinction Rebellion bringt Zehntausende auf die Straße, die Gruppe organisiert regelmäßig zivilen Ungehorsam in Europas Großstädten. Es ist eine neue Dimension des Klimaaktivismus. Doch die Rebellion ist in der Linken umstritten – nicht erst seit einer ihrer Gründer den Holocaust relativierte. Eine genauere Betrachtung von Sophia Hochedlinger.

Ein Rebel kettet sich an ein Auto, aus dem die Polizei ihn jetzt herausschneidet. Seelenruhig sitzt der Aktivist dabei am Boden neben dem Ford Focus und wartet. Trommeln. Schreie. „Rebellion!“, rufen Demonstrierende. Mit vollem Einsatz versuchen Beamt*innen weitere Aktivist*innen davon abzuhalten, ihre Körper an Fahrzeuge zu ketten. „Life not death for my grandchildren“ sprüht der 83-jährige Phil Kingston an eine Wand, zwei Polizisten nehmen ihn sofort mit. Kingston wehrt sich nicht, er folgt – unaufgeregt und ohne jede Widerrede. So begann der zweiwöchige Protest von Extinction Rebellion London im Oktober. Über 130 Protestierende wurden verhaftet.

Extinction Rebellion ist eine globale, wachsende Bewegung, die vor allem in Europa durch Aktionen des zivilen Ungehorsams auf sich aufmerksam machte. Doch die Gruppe ist keine Einheit, sie ist extrem widersprüchlich. Zuletzt wurde das in den holocaust-relativierenden Aussagen einer ihrer Gründer offensichtlich. Aber nicht nur Roger Hallam, sondern auch die Organisation polarisiert stark. Sie muss sich auch linke Kritik gefallen lassen. Die linke Journalistin und Autorin Jutta Ditfurth bezeichnet sie gar als „esoterische Sekte“. Unabhängig davon, ob man die Taktiken von Extinction Rebellion für politisch richtig oder falsch halten mag: Sie ist kein more of the same. Genauer hinschauen zahlt sich aus.

Keine Alternative

Da sind zunächst einmal die drei untypischen Forderungen. Sie lauten: 1. Sagt die Wahrheit 2. Handelt jetzt 3. Politik neu leben. Mit ihnen und dem Aktionismus will Extinction Rebellion genügend Menschen mobilisieren, um einen Wandel herbeizuführen. Dafür wird niemandem ein Programmheft oder eine Forderungsliste in die Hand gedrückt. Die Bewegung basiert auf zehn Grundprinzipien und den drei Forderungen und bietet weder politische Programmpunkte, noch ein Modell für ein alternatives politisches System.

„Wir haben keine inhaltlichen programmatischen Punkte, die wir umsetzen wollen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir haben unseren Fokus auf dem Bereich des Notwendigen. Wenn dein Haus brennt, ist es egal ob du ein Ziegeldach hast oder ein Strohdach. Wenn es richtig brennt, dann brennt es trotzdem. Es geht erstmal um das Löschen des Brandes – das ist das Notwendige.“

Mut zur Verhaftung

Dass Feuer in ihnen brennt, zeigen Rebels bei Extinction Rebellion allemal. Bei einer Aktion in London im Herbst 2018 kleben sich Demonstrierende, mit den bloßen Händen, an die Glasfenster des britischen Energy Departments. „Ich bin bereit verhaftet zu werden, ich bin bereit ins Gefängnis zu gehen und ich sage Ihnen, ich bin bereit für diese Bewegung zu sterben. Ich lasse meine Kinder nicht zurück, mit der Zukunft, die Ihnen aktuell bevorsteht“, sagt eine Aktivistin.

Sie ist nicht die einzige die sich Handschellen anlegen lässt. Möglichst viele Verhaftungen zu erzielen gehört zur Taktik. Als in London Rebels eine Brücke blockieren und die Polizei beginnt, Menschen zu verhaften, geht Roger Hallam, der Koordinator der Aktion, zu einem Beamten: „Das mit den Verhaftungen geht nicht schnell genug.“ Der Polizist lacht: „Leider seid ihr ein bisschen zu viele. Momentan haben wir zu wenige Polizisten hier.“ Hallam putzt sich mit einem Taschentuch die Nase: „Wir wollen keine Straßen blockieren. Wir wollen, dass ein Haufen Leute verhaftet werden. Dann wollen wir der Politik sagen: Wisst ihr, tausend Leute verlieren gerne ihre Freiheit um Veränderung zu bewirken.“

„Das Mittel der Wahl ist massenhafter ziviler Ungehorsam, der gewaltfrei sein muss. Das basiert auf Forschung“, sagt Niklas Niskate, ein Aktivist von Extinction Rebellion Oberösterreich im Gespräch mit Mosaik. Konkret bezieht sich Extinction Rebellion auf Studien der Harvard-Professorin Erica Chenoweth. Sie forscht zu Protestbewegungen und zivilem Ungehorsam. Ihre Studien zeigen, dass Bewegungen, die 3,5 Prozent der Bevölkerung auf ihre Seite bringen konnten, eine 100 prozentige Erfolgsquote hatten. „Das bedeutet Masse und das ist entscheidend: die 3,5 Prozent“, sagt Niskate. Masse – ein wichtiger Begriff in der Bewegung.

Hyperemotional?

Doch diese Art von Aktionismus kommt nicht überall gut an. „Hyperemotionalisierung” nennt ihn Jutta Ditfurth. „Das sind so Kritikpunkte die mich wirklich fassungslos gemacht haben. Ditfurth sagt, wir schaffen apokalyptische Szenarien und hyperemotionalisieren. Was meint sie damit? Wir erfinden ja nichts, wir halten uns strikt an die aktuellste Forschung. Meint sie damit, dass Männer bei einem Traueraufmarsch weinen und richtig Gefühle zeigen? Oder meint sie damit, dass bei uns Emotionen einfach grundsätzlich voll erlaubt und gewünscht sind? Ist das ein Problem?”, fragt Niskate.

Extinction Rebellion sieht sich als inklusive Bewegung und möchte auch Menschen einbinden, die im Umfeld von politischer Arbeit vielleicht nicht ganz in ihrem Element sind, erzählt er. „Es sind viele auch sensible Menschen dabei, die sich eigentlich nicht wohl fühlen, wenn sie in größeren Gruppen arbeiten. Die gehen alle über ihre Grenzen, weil sie wissen, dass das so wichtig ist. Sie kriegen auch was zurück und fühlen sich aufgehoben. Wir achten aufeinander. Meint Ditfurth das mit Hyperemotionalisierung?“

Nicht den Mächtigen überlassen

Doch die Emotion ist es nicht alleine, die die Aktivist*innen antreibt. Die drei Forderungen der Bewegung scheinen viele anzusprechen. „Die Regierung, die Medien und alle anderen gesellschaftlichen Institutionen müssen kommunizieren, wie dringend notwendig ein Umsteuern ist und was jede*r Einzelne, jede Gemeinde und jedes Unternehmen dazu beitragen kann”, fordert Extinction Rebellion Deutschland. Im zweiten Schritt wird die regierende Politik angesprochen: „Die Regierung muss jetzt handeln, um die vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf Netto-Null zu senken.“

Das Handeln rein den Regierungen zu überlassen sieht Extinction Rebellion aber nicht als Option. Sie fordern die Einrichtung von Bürger*innenversammlungen, zusammengesetzt nach Zufallsprinzip, die die notwendigen politischen Empfehlungen erarbeiten sollen. Extinction Rebellion kritisiert auch das System der repräsentativen Demokratie: „Extinction Rebellion glaubt, dass das Problem die Funktionsweise unserer parlamentarischen Demokratie ist“, heißt es auf der Homepage. Konkret bemängelt die Organisation, dass die Entscheidungsmacht bei einer relativ kleinen Anzahl von Abgeordneten liege, deren Arbeit durch Lobbying von mächtigen Konzernen und den Fokus auf Wahlen beeinflusst werde.

„Was Hallam sagt, ist falsch“

Momentan werden die Forderungen von Extinction Rebellion durch die öffentlichen Verharmlosungen des Holocausts durch Co-Gründer Roger Hallam überdeckt. „Was Hallam zum Holocaust gesagt hat, ist auf allen Ebenen falsch, rücksichtslos und verharmlosend. Das ist Hallam. Das ist eine Einzelfigur. Er hat auch einen Plan, wie er arbeitet – das ist nicht immer Extinction Rebellion. Inhaltlich ging es darum, dass unsere Lebensweise ein Massenmord an allen Menschen ist. Zuerst an denen im globalen Süden, die als erstes betroffen sind. Darum geht es, und das geht halt jetzt leider unter. Das ist seine Schuld, dass das untergeht”, kommentiert der österreichische Aktivist Niklas Niskate die Äußerungen Hallams.

Neben den Aussagen des Co-Gründers ist auch die Aktionsform der Bewegung auf Kritik gestoßen. Einer der Grundsätze von Extinction Rebellion ist die Gewaltlosigkeit. Dieser Grundsatz umfasst verbale ebenso wie physische Gewalt – auch jene gegen die Polizei. Eine Sitzblockade in Hamburg wurde von den Aktivist*innen selbst aufgelöst, als Teilnehmer*innen der Versammlung „Fuck the Police” riefen. Das „Lower Class Magazine“ wirft Extinction Rebellion „dogmatische Gewaltlosigkeit” vor. „Wenn Polizisten beschimpft werden, kann Extinction Rebellion nicht mehr dahinter stehen. Ich finde das total konsequent. Das ist so, wie wenn man eine Aktion mit Veganern organisiert und am Buffet gibt’s nur Frikadellen. Das funktioniert nicht”, sagt Niskate.

Vollzeit-Rebellen

Niklas Niskate hat seinen Job gekündigt und sein Auto verkauft, um sich voll auf die politische Arbeit zu konzentrieren. „Ich bin jetzt quasi Vollzeit-Rebel. So gut mir das als alleinerziehender Dad möglich ist.” Seit Niklas sich intensiver mit Forschung zur Klimakatastrophe auseinandersetzt, gibt es für ihn kein Zurück mehr. Er hatte das Gefühl, nicht mehr in sein vorheriges Leben zurückkehren zu können. „Dass wir die Generation sind, die entscheidet, ob die Menschheit ausstirbt oder nicht – das müssen wir uns einmal vorstellen. 300.000 Jahre Menschheitsgeschichte und wir müssen das jetzt machen. Ich kann einfach nicht mehr weitermachen wie bisher. Das geht vielen so, dass sie Schwierigkeiten haben, dann wieder anzudocken. Wenn man sich einmal damit beschäftigt, kann man nicht mehr zurück.“

Veranstaltungsankündigungen: Am 3. Dezember findet ein Vortrag von Extinction Rebellion an der Linzer Kunstuniversität statt.

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