Seit zwei Jahren regiert Schwarz-Blau in Niederösterreich. Das Ergebnis: fehlende Kindergartenplätze, unflexible Arbeitsmodelle und strukturelle Hürden zur Last vieler Erziehenden – vor allem FLINTA*-Personen. Julia Proksch schreibt zum anstehenden feministischen Kampftag über fehlende Lösungen in der Frauen- und Familienpolitik.
Der 8. März ist da – ein weiteres Jahr mit Blumen und Kosmetik-Gutscheinen. Die verschiedenen Parteien bringen sich mit abgedroschenen Floskeln und leeren Zugeständnissen in Stellung. Doch was hat sich tatsächlich für FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, Inter-,Nicht binäre-, Trans-, Agenderpersonen) verbessert? Vieles bleibt beim Alten, wenig hat sich zum Positiven gewendet. Care-Arbeit wird – wie überall auf der Welt – noch immer überwiegend von FLINTA*-Personen übernommen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in vielen Fällen immer noch stark von strukturellen Barrieren geprägt. Ein Bereich, wo die systematischen Hürden besonders sichtbar sind, ist die Frauen- und Familienpolitik, die das Leben vieler Mütter erschweren, vor allem in ländlichen Regionen. So auch in Niederösterreich, wo seit zwei Jahren eine schwarz-blaue Landesregierung im Amt ist. An den Entwicklungen dort erkennt man, was rechte und konservative Parteien unter Familienpolitik verstehen.
Reale Betreuungslücken
„Ich pendle jeden Tag über zwei Stunden. Eine Stunde hin, eine Stunde zurück.“ Als Helena aufs Land zog, dachte sie, sie würde sich hier eine Zukunft aufbauen. Die Niederösterreicherin ist 34 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihrem eineinhalbjährigen Kind in der Gemeinde Horn. Bald sind sie zu viert. Heute spricht sie davon, dass aufs Land zu ziehen – wenn auch persönlich die richtige Entscheidung – berufliche Herausforderungen mit sich bringt. „Das Ironische dabei ist, ich weiß, dass ich hier gebraucht werde, denn ich bin Kindergartenpädagogin und junge Mutter“, erklärt sie. Helena ist ausgebildete Pädagogin, doch trotz des großen Bedarfs an Personal findet sie keine Arbeitsstelle in ihrer Nähe. Wie kann das sein?
Es ist kein Geheimnis, im Betreuungsbereich gibt es großen Mangel an Personal. In der Politik ist das auch regelmäßig ein großes Thema. Der Ausbau von Kindergartenplätzen wird immer wieder versprochen. Auf der Website des Landes bewirbt sich Niederösterreich als „Familienland“. Im Wahlkampf 2022 versprach die Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, dass das größte Bundesland Österreichs zu Kinder- bzw. Familienösterreich werden soll. Im Jänner 2023 hat die ÖVP angekündigt, dass jedes zweijährige Kind ein Anrecht auf einen Platz haben soll. Man wolle die Betreuungslücke schließen. Die Realität sieht anders aus.
Das Profil hat gemeinsam mit dem ORF 2024 eine Recherche über den Ausbau von Betreuungsplätzen durchgeführt. Dabei haben sie in allen 573 Gemeinden in Niederösterreich nachgefragt, wie der aktuelle Stand ist. Die Ergebnisse waren nicht gut. Hunderte Zweijährige haben 2024 keinen Platz bekommen. Und das sind nur die Zweijährigen. Dabei verweist das Profil darauf, dass über die Hälfte der Gemeinden nicht geantwortet haben und die Dunkelziffer von abgewiesenen Kindern noch viel höher sein dürfte. Auf Bundesebene kündigt die neue Koalition zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr an. Das wäre eine Verbesserung für junge Familien, jedoch wird nicht ausreichend erwähnt, wie man gegen den Personalmangel und die strukturellen Hürden vorgehen wird.
Die Gewalt der Abhängigkeit
Es gibt noch viele kulturelle Baustellen, aber vor allem sind es strukturelle Gegebenheiten, die FLINTA*-Personen benachteiligen. Laut der Zeitverwendungserhebung von Statistik Austria in 2024, übernehmen Frauen* in Österreich 43% mehr Care-Arbeit als Männer. Die ungleiche Verteilung zeigt sich besonders in der Vereinbarkeit von Lohnarbeit und Familie. Unter Schwarz-Blau bekommt nur jedes vierte Kind einen Vollzeitplatz im Kindergarten. Das bedeutet, bei der Mehrheit der Kinder sind die Eltern dazu gezwungen, eine andere Möglichkeit der ausreichenden Betreuung zu finden. Meistens sind das dann Mütter, die neben der bezahlten Arbeit ohnehin viel unbezahlte Care-Arbeit leisten müssen. Als Konsequenz bleiben viele finanziell abhängig von ihren Partnern oder können nicht ihrem erlernten Beruf nachgehen. Ein typisches Modell konservativer Parteien wie auch der Freiheitlichen Partei, die sich dafür einsetzen, dass mehr Mütter Kinderbetreuung zu Hause erledigen sollen.
Die Auswirkungen dieser Politik zeigen sich auch in extremen Trends, darunter der Trend der sogenannten „Trad-Wifes“ (traditionelle Hausfrauen). Trad-Wife beschreibt die Rückkehr von Frauen* in die traditionelle Rolle der Hausfrau. Die Beweggründe hinter diesem Trend sind nicht zu übersehen und eine Reaktion auf strukturelle Zwänge: Der Mangel an leistbarer Kinderbetreuung, fehlende soziale Absicherungen und Hürden nach der Karenz wieder in die Arbeitswelt einzusteigen, erschweren es Frauen*, ein ausgewogenes Familienleben zu führen oder gar unabhängig zu sein. Die anhaltende Doppelbelastung von Lohnarbeit, Sorgearbeit und gesellschaftlichen Erwartungen führen zu Frustration. Infolgedessen suchen einige junge Menschen nach Alternativen, die das Leben weniger kompliziert erscheinen lassen.
Dabei ist diese vermeintliche Entlastung trügerisch. Die feministische Bewegung hat nicht umsonst jahrzehntelang für Unabhängigkeit gekämpft. Sie wusste, dass wirtschaftliche Abhängigkeit Frauen* besonders anfällig für patriarchale Gewalt macht. Wer kein eigenes Einkommen hat, kann sich oft nicht aus gewaltvollen Beziehungen befreien oder ist gezwungen, in schädlichen Strukturen zu verharren. Diese Entwicklung wird verstärkt, wenn politische Kräfte – wie die schwarz-blaue Regierung – genau jene Abhängigkeitsbedingungen fördern. Statt strukturelle Probleme zu lösen, reproduzieren sie konservative Familienbilder, die den Rückzug in das scheinbar „schützende“ Zuhause attraktiv machen. Sie suggerieren Frauen*, dass sie in traditionellen Rollen besser aufgehoben seien, während gleichzeitig jene politischen Maßnahmen fehlen, die ihnen echte Wahlfreiheit erlauben.
Keine Stellen für Fachkräfte
Helena findet trotz dreizehn Jahren Berufserfahrung und Personalmangel keine passende Arbeitsstelle in ihrer Nähe. Sie braucht – wie so viele – eine Teilzeitstelle, um Arbeit und Familie besser miteinander vereinen zu können. Es gibt sowieso nicht genügend Angebot an Vollzeitplätzen. Doch in ihrer Region gibt es kaum Arbeitsmodelle, die für sie als Mutter tragbar wären. Deswegen pendelt sie in die Hauptstadt, wo flexiblere Arbeitsbedingungen und ein besseres Angebot zur Verfügung stehen. Eine absurde Situation, wenn man bedenkt, dass ihre Arbeit im ländlichen Raum händeringend gesucht wird. „Bevor ich Mutter wurde, war das Pendeln kein großes Problem, aber mit einem kleinen Kind, da bin ich in der Früh immer ins Schwitzen gekommen.“ Helena hatte keine Wahl. Also setzte sie sich ins Auto und fuhr auf der Landstraße durch Niederösterreich, neben den großen Plakaten des „Familienlands“.
Der Mangel an flexiblen Arbeitsmodellen und die wenigen verfügbaren Teilzeitstellen machen ihr die Rückkehr ins Berufsleben nahezu unmöglich. „Als Mutter werde ich in der Arbeitswelt diskriminiert“, sagt Helena. So erzählte sie, dass ihr ein Jobangebot wieder entzogen wurde, da sie eine junge Mutter ist und nicht so flexibel. Der Wiedereinstieg nach der Karenz wird extrem schwer gemacht. „Ich bin manchmal so verzweifelt, dass ich gesagt habe: Bevor ich gar nichts finde, setze ich mich eben beim Billa an die Kassa“, erklärt sie. Und somit würde wieder eine Fachkraft verloren gehen. Ein Ergebnis des Versagens der schwarz-blauen Regierung.
Heuchlerische Politik
Helena ist nur ein Beispiel für die vielen Frauen*, die von den strukturellen Problemen der unzureichenden Familienpolitik betroffen sind. Konservative und rechte Parteien eignen sich eine Rhetorik als familienorientierte Parteien an. Aber wenn man sich anschaut, was die Politik real tut, stellt man fest, dass es einen Bruch zwischen Rhetorik und Realität gibt. Es gibt keine ausreichende Unterstützung für Betreuende. Die Prioritäten der schwarz-blauen Regierung sind klar. Während Millionenausgaben für Menschen, die sich nicht an die Covid-Bedingungen gehalten haben, getätigt werden und jetzt Geld in Form der sogenannten Corona-Fonds zurückgezahlt bekommen, werden Familien links liegen gelassen.
Dieses Politikversagen führt dazu, dass wie in Helenas Fall viele Pädagog*innen entweder gezwungen sind, auf ihre Karriere zu verzichten, oder aber auf befristete Verträge und unsichere Arbeitsverhältnisse angewiesen sind. Diese Mängel spiegeln die Politik des Landes wider, das sich zwar Familienösterreich auf die Fahne schreibt, jedoch bei der Umsetzung realpolitischer Veränderungen versagt. Wer Glück hat und einen Platz bekommt, kann sich auf eine Rechnung freuen. Laut Arbeiterkammer kostet ein Kindergartenplatz in Niederösterreich nämlich durchschnittlich 200 Euro pro Monat. 92, wenn man nur den Halbtag in Anspruch nimmt. Währenddessen haben andere Bundesländer wie Wien, Kärnten oder das Burgenland unter einer sozialdemokratischen Regierung den kostenlosen Kindergartenplatz eingeführt.
Echte Veränderung
Der 8. März ist eine Erinnerung daran, dass Politik für Gleichstellung wichtig ist. Der Damm zwischen der Rhetorik der Wertschätzung und der Ignoranz der Realpolitik ist frustrierend. Trotz des Fokus auf „Familienfreundlichkeit“ in der politischen Kommunikation werden viele Frauen weiterhin in ihrer Berufsausübung stark eingeschränkt. Fachkräfte wie Helena, die in ihrer Region dringend gebraucht werden, können aufgrund der starren Strukturen keine passende Anstellung finden. „Es heißt immer, die Politik sei familienfreundlich, aber das ist sie definitiv nicht. Es ist ein Versagen der Landespolitik, wenn Mütter, die arbeiten möchten, immer wieder an Mauern stoßen und nicht unterstützt werden“, sagt Helena.
Stattdessen sehen sich viele gezwungen, ihre Karrierepläne aufzugeben oder in prekären Arbeitsverhältnissen zu verharren. Diese politischen Versäumnisse führen nicht nur zu einer Benachteiligung von betreuenden Personen, sondern auch zu einem Verlust an Fachkräften – ein Teufelskreis. Jede Fachkraft, die geht, ist eine zu viel. Der Staat muss in die Kinderbetreuung investieren. Nicht nur in den Ausbau von Plätzen, sondern auch in die Arbeitsbedingungen von Pädagog*innen. Wenn sich nichts ändert, wird die Situation aus Personalmangel, fehlenden Kindergartenplätzen und der erzwungenen Abhängigkeit bestehen – und das auf dem Rücken von FLINTA* Personen, Familien, Kindern und der gesamten Gesellschaft.