Was hinter der neuen Rechtsfraktion im EU-Parlament steckt

Eine neue rechte Fraktion von Matteo Salvini und Marine Le Pen könnte die drittstärkste Kraft im Europaparlament werden. Obwohl es zwischen den Mitgliedsparteien starke Unterschiede gibt, ist eines klar: Die Rechten sind in der EU angekommen. Eine Analyse von Moritz Ablinger und Edma Ajanovic.

Knapp zehn Tage vor den Europawahlen steht Matteo Salvini am verregneten Mailänder Domplatz. Dort wo der italienische Innenminister und Chef der rechtsextremen Lega gerne seine Wahlerfolge feiert. Aber Salvini ist nicht alleine da. Auch Marine Le Pen, Geert Wilders und Jörg Meuthen sind da. Harald Vilimsky hat sein Kommen ebenfalls angekündigt, nach der Ibiza-Krise der FPÖ vertritt ihn dann aber der steirische FP-Spitzenkandidat Georg Mayer. Vor ihrer Bühne stehen tausende Leute, denen Salvini sagt: „Am 26. Mai holen wir uns Europa zurück.“

Die EU übernehmen statt zerstören

Denn die Zeit, in der Europas Rechte die EU zerstören wollte, ist vorbei. Sie ist stark genug geworden, um den Kurs in Brüssel wesentlich mitzubestimmen, zumindest wenn sie zusammenarbeitet. 74 Mandate prognostiziert die Wahlforschungsplattform Politico der neuen Fraktion „Europäische Allianz der Völker und Nationen“. Wesentlich mehr als die 36 Sitze, die die aktuelle Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ von Salvini, der FPÖ und des Rassemblement National (vormals Front National) momentan hat. Der große Wurf ist das bei 751 Sitzen im Europaparlament dennoch nicht. Doch Salvini und die Seinen sind noch lange nicht fertig.

Zumindest drittstärkste Kraft könnte die neue Fraktion werden. Wenn alle mitmachen, wäre das ein beispielloser Erfolg rechtsextremer Europapolitik – und Salvinis Flüchtlingspolitik könnte in ganz Europa Schule machen.

Eine statt drei Rechtsfraktionen

Schon im April hat Salvini die neue Fraktion offiziell präsentiert. Nicht am Mailänder Domplatz, sondern auf einem Podium saßen rechts neben ihm Jörg Meuthen von der AfD und Olli Kotro von den Finnen, die einst Wahre Finnen hießen. Links nahm Anders Vistisen von der dänischen Volkspartei Platz. Vistisen und Kotro waren auch bisher schon Kollegen, allerdings in der Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“. Mit vier Sitzen hatten sie in dieser bislang größten europäischen Rechtsfraktion aber keinen großen Einfluss. Es sind die englischen Tories und die polnische Regierungspartei PiS, die dort den Ton angeben. Davon haben sie jetzt genug. „Nur wenn zusammenarbeiten, können wir etwas erreichen“, sagte Vistisen. „Wir wollen politisch an einem Strang ziehen.“

Was damit gemeint ist, erklärte Meuthen. „Wir wollen eine Festung Europa“, sagt er. Niemand solle sich mehr trauen, über den Seeweg nach Europa zu kommen. Die Menschen müssten schon davor wissen, worauf sie sich  einlassen. Auch er, der bisher einzige AfD-Abgeordnete, war bisher nicht mit Salvini in einer Fraktion. Stattdessen war die Partei Teil von „Europa der Freiheit und der Direkten Demokratie“. Auch die FPÖ und das Rassemblement National haben ihre Unterstützung der neuen Fraktion schon angekündigt.

Traum von der Superfraktion

Den Rechten ist das nicht genug. Ihr Potential, das hat vor Kurzem auch die Frankfurter Allgemeine vorgerechnet, liegt bei einem Viertel alle Parlamentssitze. Das kann dann gelingen, wenn zwei weitere Regierungsparteien mitmachen: Die ungarische Fidesz mit bisher elf Sitzen und die polnische PiS mit 19. Die Fidesz, bisher in der Europäischen Volkspartei, kündigte bereits ihre Sympathien für Salvinis Plan an. Marine Le Pen bearbeitet unterdessen die polnische PiS. Sie erhofft sich eine „Superfraktion“. „Diese Aussicht ist begeisternd“, sagte sie am Mailänder Domplatz. Immerhin können die anderen Parteien mit der Nähe zur Lega auch zeigen, dass ein rechtes Staatsprojekt funktionieren kann.

Italien, das rechtsextreme Vorbild

Denn das rechtsextreme Vorbild ist Italien. Salvinis gnadenloser Kurs als italienischer Innenminister wurde zum Vorbild für Rechtsparteien auf dem Kontinent. „Italien zeigt, wie es geht“, sagt Jörg Meuthen. Was er damit meint, ist klar: Immer wieder weigert sich Salvini, Schiffe mit Geflüchteten in Italien anlegen zu lassen und geht gegen Lokalpolitiker*innen vor, die sich der Vorgabe widersetzen. Und er setzte das humanitäre Bleiberecht quasi außer Kraft. Wenn die Rechten sich „Europa zurückholen“, soll das in ganz Europa Programm werden.

Darüber hinaus wollte die Lega gemeinsam mit dem Koalitionspartner Fünf Sterne ein Budget beschließen, das gegen EU-Richtlinien verstieß. Zu viel Steuersenkung ohne entsprechende Einsparung. „Die EU muss wieder für Vollbeschäftigung und Wohlstand für alle kämpfen“, sagte Salvini auf dem Domplatz. Eine EU „vor den Regeln von Maastricht“ wünscht er sich. Eine Union, also, in der es noch keine Bestimmungen gegen die Neuverschuldung gab und die Mitgliedstaaten eine größere Autonomie gegenüber Brüssel hatten. Emmanuel Macron und Angela Merkel aber hätten „Europa im Namen des Finanzkapitals und der unkontrollierten Migration betrogen“, wie Salvini am Domplatz in die Menge rief.

Die Spaltung, die sie fürchten

Während sich die neue Fraktion damit klar gegen manche Konservativen in Stellung bringt, versucht sie bei anderen anzudocken. So einfach, wie das auf dem Domplatz klang, dürfte der Weg zur Superfraktion aber nicht werden.

Zum Ersten: Die PiS ist klar gegen eine Annäherung an Russland, die FPÖ und das Rassemblement National hingegen kritisieren die Sanktionen gegen Russland immer wieder. Zum Zweiten: Viktor Orbán lässt sich in erster Linie von Salvini umwerben, da seine Partei kürzlich aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) suspendiert wurde. Die Treffen zwischen Salvini und Orbán haben zum jetzigen Zeitpunkt wohl eher Symbolwirkung. Der ungarische Ministerpräsident will der EVP zeigen, dass er auch anders kann. Was Orbán macht, hängt also wohl auch von der der Entscheidung des EVP-Weisenrats darüber ab, ob er die Fidesz wirklich aus der Fraktion ausschließt. Noch wirkt es so, als würde die EVP Fidesz zunächst eine Denkpause verpassen wollen und als würde Salvini den Kürzeren für seine neue Allianz ziehen.

Und dann ist da noch die Wirtschaftspolitik. Bis auf eine restriktive Migrationspolitik und stärkeren Grenzschutz haben die Rechten kaum ein einheitliches Programm. Während etwa Salvini und Le Pen gegen Sozialkürzungen wettern, sind die nordeuropäischen Rechtsparteien offen neoliberal. Immerhin profitierte die AfD von Beginn an stark von unzufriedenen FDP-WählerInnen.

Anschlussfähige Ideen

So brüchig das Bündnis ist: Die Rechten sind in der EU angekommen. Es geht ihnen nicht mehr um Anti-EU Parolen, etwa den Dexit und Öxit. Sie wollen die EU von innen reformieren. Gut möglich, dass es die Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ so schnell zerreißt, wie viele andere rechtsextreme Bündnisse im EU-Parlament zuvor.

Doch es gibt eben auch ein anderes Szenario: Der nationalstaatliche Schwenk innerhalb der EU ist durchaus mit dem rechten Flügel der Konservativen kompatibel. Das sind nicht nur Fidesz und PiS. Erst Anfang Mai sprach sich auch Sebastian Kurz gegen zu viele Regelungen aus Brüssel aus: „Kein Mensch braucht EU-Vorgaben, etwa für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes“. Sein Motto „Mehr EU in großen Fragen und weniger in kleinen“ ist für die extreme Rechte anschlussfähig. Auch auf europäischer Ebene gehen rechte Konservative und Rechtsextreme aufeinander zu.

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