Bei den Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen wendet die EU-Kommission Tricks an, um demokratische Mitbestimmung zu umgehen. Alternativen lägen seit Jahren bereit, schreiben Theresa Kofler und Iris Frey.
Stell dir vor, du hättest mit deiner Familie ausgemacht, gemeinsam die Entscheidung über eure heurige Urlaubsdestination zu treffen. Seit Monaten betonen die Kinder, dass sie in Europa bleiben und nur mit dem Zug fahren möchten. Opa gefällt das gar nicht. Er beschließt, die Jüngsten nicht in die Entscheidung mit einzubeziehen. Stattdessen schlägt er vor, dass die Stimmen der Erwachsenen reichen, damit der Flug auf die Malediven gebucht werden kann. So in etwa funktionieren die „demokratischen” Prozesse in der EU-Handelspolitik.
Das zeigt sich aktuell am Beispiel des EU-Mercosur-Abkommens. Dieses liegt auch beim Gipfeltreffen zwischen EU sowie der Gemeinschaft der Lateinamerika- und Karibikländer (CELAC) am Tisch. Am 17. und 18. Juli treffen sie sich in Brüssel Staats- und Regierungschef*innen wie der brasilianische Präsident Lula da Silva, Spaniens Pedro Sánchez sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Die EU hat 1999 ein Mandat von ihren Mitgliedstaaten erhalten, ein Assoziierungsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbund aus Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zu verhandeln. Die Ratifizierung eines solchen Assoziierungsabkommens erfordert die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten. Doch mehrere Länder sind skeptisch gegenüber dem Deal. Österreichs Regierung wurde durch das Parlament zu einem Nein verpflichtet. Um dieses Veto zu umgehen, will die EU-Kommission das Abkommen nun „splitten”, also in einen Handelsteil und einen politischen Teil aufspalten. Dadurch müssten nicht mehr alle Mitgliedstaaten dem gesamten Abkommen zustimmen.
Konsequenzen des EU-Mercosur-Abkommens
Angesichts der weitreichenden Konsequenzen des Abkommens ist dieser verfahrenstechnische Trick der EU höchst problematisch. Denn er bringt eines der wichtigsten Ökosysteme der Erde zusätzlich unter Druck: den Amazonas-Regenwald. Schon jetzt bewegt sich der Amazonas mit Riesenschritten auf seinen Kipppunkt zu – was das gesamte Weltklima in Gefahr bringt. Durch das EU-Mercosur-Abkommen würden in Brasilien noch mehr Soja, Rindfleisch und andere Agrarprodukte hergestellt werden, die alle mit massiver Entwaldung einhergehen. Das gefährdet nicht nur indigene Gemeinschaften, die seit Jahrtausenden in diesen Gebieten leben und den Regenwald schützen, sondern auch nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung – sowohl in Brasilien als auch in der EU. Etwa durch Pestizide, die in der EU längst verboten sind, die Mercosurländer aber noch immer einsetzen. Auf Früchten, die durch neue Handelsregeln vermehrt importiert würden, könnten diese Pestizide schon bald auf unseren Tellern landen.
Aber auch andere unnachhaltige und problematische Produkte wie Rindfleisch und unnachhaltige Agrotreibstoffe drohen in Zukunft vermehrt aus Südamerika in die EU importiert zu werden. Im Gegenzug will die EU Autos, Maschinen und Chemikalien exportieren. All das geht auf Kosten von indigenen Gemeinschaften und ihren Lebensräumen. Es erhöht den Druck auf Kleinbäuer*innen auf beiden Seiten des Atlantiks und verschärft die Arbeitsbedingungen von Industriebeschäftigten und Landarbeiter*innen.
Demokratische Mitsprache hintenangestellt
Wo so viel auf dem Spiel steht, muss demokratische Mitsprache an erster Stelle stehen! Die EU-Kommission darf nicht die Interessen der Agrar-, Auto- und Chemiekonzerne über die Entscheidungen nationaler Parlamente, die Bedürfnisse der Bürger*innen und den Schutz unseres Klimas stellen. Zudem würde die EU mit einem Splitting des Abkommens gegen ihre eigenen demokratischen Spielregeln verstoßen. Eine erst kürzlich veröffentlichte rechtliche Analyse zeigt, dass dieser Schritt einen schweren Bruch des ursprünglichen Mandats, das die EU-Länder der EU-Kommission gegeben haben, darstellen würde.
Wollte die EU tatsächlich Menschenrechte und Klimaschutz fördern, dann müsste sie sich für Menschenrechts-Abkommen einsetzen. Ein solches Abkommen mit dem Namen „Binding Treaty on Business and Human Rights” ist gerade im UN-Menschenrechtsrat in Verhandlung. Die EU gilt in diesem internationalen Prozess jedoch seit Jahren als Stolperstein für die Forderungen der Länder des Globalen Südens. Ein globales Klimaschutzabkommen gibt es mit dem Paris-Abkommen bekanntlich bereits. Doch die EU und ihre Mitgliedstaaten sind meilenweit davon entfernt, ihren darin vorgesehenen Verpflichtungen nachzukommen.
Gegenvorschlag: Alternatives Handelsmandat
Auch Vorschläge zur gerechten Gestaltung des internationalen Welthandels liegen seit vielen Jahren am Tisch, beispielsweise in Form des „alternativen Handelsmandats”. Anstatt der Profitinteressen von Konzernen stehen hier Mensch und Planet im Zentrum. Das verschiebt den Fokus weg von der bloßen Frage was und wieviel gehandelt wird. Beispielsweise müssen im Sinne der Mobilitätswende Technologien und Know-how für öffentlichen Verkehr global geteilt werden, anstatt Autos von einem Kontinent zum anderen zu verschieben. Beim Klimaschutz muss der Entwaldungs-Stopp im Amazonas an erster Stelle stehen, für die Wahrung der Rechte Indigener die Anerkennung und Demarkierung ihrer Gebiete.
Handel und Beziehungen auf Augenhöhe würden nicht nur bedeuten, dass Europa faire Preise für Kaffee, Soja, Lithium und Co bezahlt. Beziehungen auf Augenhöhe bedeuten, dass die Ziele internationaler Abkommen im Sinne der Menschen und des Planeten neu verhandelt werden. Wenn wir es ernst nehmen mit Demokratie, muss die Zivilgesellschaft einen Platz am Verhandlungstisch bekommen, wenn es um eine komplette Neugestaltung der EU-Mercosur-Beziehungen geht.
Foto: Greenpeace