EU: Mordanklage statt Friedensnobelpreis!

Zuletzt habe ich in einem Beitrag auf Mosaik das Schweigen über Opfer kritisiert, die nicht Weiß sind. Jetzt, wo 1300 Menschen in nur wenigen Tagen ertrunken sind, können Medien und PolitikerInnen nicht mehr schweigen. In Anbetracht der Stoßrichtung der meisten Stellungnahmen wünscht man es sich fast.

Stoff für einen Horror-Streifen

Denn da gibt es eine österreichische Innenministerin, die keine paar Stunden nach der Nachricht vom Tod so vieler Menschen von Auffanglagern in Nordafrika spricht. Abgesehen von einer gehörigen Portion Pietätlosigkeit ist hier der politische Tenor sonnenklar: Was passiert ist, ist ein wirklich blöder, aber auch vermeidbarer Unglücksfall. Das große Aussortieren soll daher bereits vor Besteigen eines Bootes nach Europa beginnen. Dann sterben jene, deren Grund zur Flucht nicht anerkannt wird, auf weniger aufsehenerregende Art – und so, dass es Frau Mikl-Leitner beim besten Willen nichts angeht. Oder sie führen ein Leben in einem Kriegsgebiet, inmitten wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit oder als politisch Verfolgte. Nicht unser Bier, denkt Frau Mikl-Leitner. Lager also, in denen verzweifelte Menschen gesammelt werden und, noch weit entfernt von den Toren Europas, auf ihre „Europa-Tauglichkeit“ getestet werden. Wobei wohl neben den wenigen anerkannten Kriterien auch die gewünschten Ausbildungsgrade, Sprachkenntnisse und Ähnliches relevant sind. Stoff für den nächsten Horror-Streifen!

Sigmar Gabriel gegen die „Schlepperbanden”

Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und deutscher Vizekanzler, stößt ins selbe Horn. In einem Facebook-Eintrag findet er die Nachrichten über die toten Geflüchteten zwar „erschütternd“, fordert aber eine Zeile weiter bereits, dass „alle europäischen Polizei- und Grenzbehörden […] mit aller verfügbaren Kraft den Kampf gegen kriminelle Schleuserbanden aufnehmen [müssen], die mit dem Elend von Menschen Geschäfte machen.“ Es bräuchte also „einen internationalen Einsatz gegen Schlepperbanden.“

Na das hat gesessen. Den Schlepperbanden zeigen wir’s, die werden schon noch sehen, was eine Europäische Union von menschenverachtenden Geschäften hält! Zum Glück gibt es Frontex, die größte „NGO“ Europas, die –  frei nach Gabriel – mit ausreichend Mitteln ausgestattet, Dramen wie das gestrige zu verhindern wissen wird. Dass Schlepperei Symptom und nicht Ursache ist, und dass Elend nur dort ausgenutzt werden kann, wo es welches gibt, ignoriert er geflissentlich. Den Kampf gegen das, für die Kund_innen meist lebensgefährliche, Geschäft der Schlepperei aufnehmen zu wollen, kann jedoch nicht mit dem Dichtmachen der Schotten an Europas Außengrenzen passieren. Wer Schleppern das Business versauen will, muss legale und sichere Wege nach Europa schaffen, die von Menschen gewählt werden können, die ein Recht auf ein Leben in Sicherheit, Freiheit und unter ökonomisch würdigen Bedingungen haben.

Protest statt Betroffenheit

Zurück zu den Reaktionen inmitten der Festung Europa. Am gestrigen Montag versammelten sich an die 3000 Menschen zu einer Gedenkkundgebung auf dem Wiener Minoritenplatz. Dass hier die aufgebrachte Zivilgesellschaft Seite an Seite mit der österreichischen Bundesregierung um die Opfer trauerte, gab angesichts der Tatsache, dass eben jene für die europäische Flüchtlingspolitik Mitverantwortung trägt, ein etwas zynisches Bild ab. Davon abgesehen muss auch die zugrundeliegende Stimmung einer solchen Veranstaltung kritisch hinterfragt werden, wenn in ihrem Rahmen vor allem eines beteuert wird: Sehr traurig, sehr betroffen zu sein. Trauer ist legitim. Betroffenheit auch. Dort, wo aber diese Gefühle die Reaktionen auf katastrophale politische Verhältnisse dominieren und kollektives Tränchendrücken wirkliche politische Auseinandersetzung und die Forderung nach einem Kampf gegen ein unmenschliches System fast schon überlagert, stehen sie eher im Weg. Eine schlagkräftige Linke wäre auch in Situationen wie dieser dringend notwendig, um ohne zu Zögern einen ganz anders artikulierten Protest – und ganz ohne Ansprache von Heinz Fischer – auf die Beine zu stellen. Wenig weist wohl so zweifelsfrei auf das Versagen eines Systems hin wie die tausenden Toten im Mittelmeer, die vor den Folgen jener Geschäfte fliehen, die Reiche zur selben Zeit frei von lästigen Beschränkungen über alle Grenzen hinweg abwickeln. Und was ist es anderes als Mord, ein System zu kreieren, in dem ganze Regionen, ja halbe Kontinente, wirtschaftlich und sozial zerstört werden müssen, um Profit zu generieren und im Anschluss daran penible und lächerlich eng umgrenzte Fluchtgründe zu nennen, deren Prüfung vor Willkür und Rassismus trieft?

Mordanklage statt Friedensnobelpreis

Statements wie das der Innenministerin oder des sozialdemokratischen deutschen Vizekanzlers haben vieles gemeinsam. Sie sollen einen Mord vertuschen. Ja, wohl, ich sage das schlimme Wort. Juristisch gesehen kann ein Mord in Österreich mit Eventualvorsatz begangen werden. Nach der Vorsatzdefinition des Strafgesetzbuch (§ 5 Abs 1 2.Satz) muss der/die Täter_in den entsprechenden Sachverhalt  nicht unbedingt verwirklichen wollen oder absichtlich handeln. Er/sie muss es gemäß § 5 Abs. 3 StgB jedoch zumindest ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, dass seine/ihre Handlung zum Tod eines Menschen führt. Als Erfolgsdelikt kann Mord übrigens auch durch Unterlassung (§ 2 Strafgesetzbuch) begangen werden.

Klingt seltsam passend, oder? Müsste die Europäische Union vor Gericht, statt zu Verleihungen des Friedensnobelpreises, sie bräuchte wohl einen besonders erfahrenen Rechtsbeistand.

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