Im Februar verkündete die Regierung, dass es für das geplante Erwachsenenschutzgesetz plötzlich doch kein Geld gäbe. Das Gesetz hätte die Selbstbestimmung von Menschen mit Beeinträchtigungen stärken sollen. Doch eine Welle der Entrüstung ging durch alle Behindertenverbände und zeigte eindrucksvoll: Man kann gegen schwarz-blaue Sozialkürzungen ankämpfen – und gewinnen.
Eigentlich sollte das Erwachsenenschutzgesetz am 1. Juli 2018 in Kraft treten. Es wurde 2017 einstimmig von allen Parteien im Parlament beschlossen. Doch dann kündigte Schwarz-Blau plötzlich an, das Gesetz um mindestens zwei Jahre zu verschieben.
Gleichgültigkeit oder Unterfinanzierung?
Begründet wurde die Verschiebung mit fehlenden Mitteln im Justizministerium und der fehlenden Ausarbeitung eines Finanzplans. Dies ist teilweise richtig, die SPÖ/ÖVP-Regierung hat 2017 tatsächlich keine Finanzierung sichergestellt.
Schon im Jänner 2017 kritisierten deshalb die Grünen und die österreichische RichterInnenvereinigung die Pläne der damaligen rot-schwarzen Koalition. Die Kritik bezog sich unter anderem darauf, dass die Kosten im Erstentwurf bei 17 Millionen pro Jahr lagen, während im zweiten Entwurf von 9,5 Millionen im ersten Jahr und ständig sinkenden Kosten in den folgenden Jahren die Rede war.
Es war also schon zu diesem Zeitpunkt absehbar, dass es zu erheblichen Finanzierungsproblemen kommen wird. Und schon damals waren es immer wieder BehindertenvertreterInnen und Selbstbestimmt Leben Organisationen, die darauf aufmerksam machten. Entweder war das der damaligen Regierung egal und man wollte die Finanzierung die Sorge der nächsten Regierungsperiode sein lassen, oder es war von Anfang an geplant, das Gesetz unterzufinanzieren, um es dann an der Umsetzung scheitern zu lassen.
Einbindung von Interessengruppen
Das Erwachsenenschutzgesetz wird von Volksanwältin Gertrude Brinek als das „größte gesellschaftspolitische Gesetz der vergangenen Legislaturperiode im Justizbereich“ bezeichnet. Das Gesetz wird auch deshalb als große Verbesserung wahrgenommen, da es in einem zweijährigen Prozess partizipativ entstanden ist.
Unter Einbindung der verschiedenen Interessengruppen wie SeniorenvertreterInnen, SachwalterInnen, HeimvertreterInnen und Betroffenen wurde ein Gesetz ausgearbeitet, das der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entspricht.
Sachwalterschaft: Veraltet und entmündigend
Österreich ratifizierte diese UN-Konvention 2008. Schon 2013 kam es zu einer Staatenprüfung, bei der Österreich scharfe Kritik für seine Defizite einstecken musste. Unter anderem wurde das Sachwalterschaftsgesetz als veraltet und entmündigend kritisiert. In der Sachwalterschaft stand die „Verlässlichkeit des Geschäftsverkehrs“ im Mittelpunkt, nicht die Interessenlage der Betroffenen.
Die Intention war, dass SachwalterInnen betroffene Menschen vor Betrug (zum Beispiel beim Abschluss von Verträgen) schützen sollten. Allerdings werden die SachwalterInnen für alle Angelegenheiten der Betroffenen bestellt – und zwar für unbestimmte Dauer. SachwalterInnen sind oft Angehörige, aber auch AnwältInnen oder NotarInnen. Letztere mussten von den besachwalteten Menschen bezahlt werden. Das machte die Tätigkeit zu einer lukrativen Einkommensquelle.
Mehr Selbstbestimmung durch das Erwachsenenschutzgesetz
Die österreichische Regierung überarbeitete das veraltete und kritisierte Sachwalterschaftsgesetz vor der nächsten Staatenprüfung 2019. Das Ergebnis war das Erwachsenenschutzgesetz.
Nach dem neuen Gesetz prüft eine Kommission, inwieweit eine Person selbst Entscheidungen fällen kann und inwieweit eine Vertretung hinzugezogen wird. Es gilt die Willenserforschungspflicht, es muss also zumindest versucht werden, den Wunsch der Betroffenen umzusetzen. Betroffene haben auch – anders als bei der Sachwalterschaft – die Möglichkeit, Widerspruch gegen eine Vertretung einzulegen. AnwältInnen und NotarInnen dürfen außerdem nicht mehr als 15 Vertretungen übernehmen und sind nur noch für rechtliche Belange zuständig. So wird eine geschäftsmäßige Anhäufung von Sachwaltschaften unterbunden.
Zudem dürfen medizinische Behandlungen nur noch mit Zustimmung der Person erfolgen, soweit diese entscheidungsfähig ist. Das ist eine Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation. Denn aktuell kann beispielsweise eine als Sachwalter eingesetzte Anwältin über die medizinischen Behandlungen ihrer „Klientin“ entscheiden, ohne nach deren Zustimmung zu fragen. Besonders hart kann dies Menschen mit Lernschwierigkeiten treffen: Wenn etwa entschieden wird, ob eine Frau mit Lernschwierigkeiten einer Sterilisation unterzogen wird, reicht die Zustimmung des Sachwalters aus, auch wenn die Betroffene das nicht möchte. So ist es zum Beispiel 2012 in Tirol geschehen.
Vernetzung von Betroffenen
Obwohl das Erwachsenenschutzgesetz fertig ausgearbeitet in der Schublade lag, hieß es erst, das Gesetz werde um zwei Jahre verschoben. Dann erklärte Schwarz-Blau, das Gesetz trete in Kraft, aber ohne Finanzierung. Die Zielsetzung der schwarz-blauen Regierung ist klar: Die sozialen Ausgaben sollen auf ein Minimum heruntergefahren werden. Obwohl diese Kürzungen im Gesamtbudget nicht viel ausmachen, wird bei jenen Menschen gekürzt, von denen man sich keinen großen Widerstand erwartet. Dazu gehört die Deckelung der Mindestsicherung genauso wie die Verschiebung des Erwachsenenschutzgesetzes.
Doch die Regierung hatte wohl nicht mit dem enormen Widerstand gerechnet. Von der nicht betroffenen Bevölkerung oft ignoriert, sind die Behindertenverbände gut aufgestellt und vernetzt. Seit Jahrzehnten organisieren sich Betroffene selbst und vernetzen sich untereinander, wie im Verein BIZEPS. Zu Caritas und anderen großen sozialen Organisationen wie der Lebenshilfe besteht guter Kontakt. Dieser konnte genutzt werden. Jeden Tag las man in den Medien von Aktionen und Pressekonferenzen. Der Regierung wurde gezeigt: So nicht! Bis diese schließlich die volle Finanzierung aufstellte, als sie merkte, dass sie zunehmend schlecht dasteht.
Widerstand lohnt sich
Am Beispiel Erwachsenenschutzgesetz hat sich gezeigt, dass Schwarz-Blau nicht unangreifbar ist und auch angeblich sozial schwache Gruppierungen sich durchaus gegen Kürzungspläne wehren können. Ein hoher Grad an Vernetzung im Behindertenbereich hat maßgeblich zum Erfolg beigetragen.
Hinzu kam kluge Medienarbeit und viel Kampferfahrung. Denn Menschen mit Behinderung wurden ihre Rechte nie geschenkt, sie haben sie immer schon erkämpft. Durch diese Erfahrungen sind sie widerstandsfähig geworden.
Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung und arbeitet im Referat für Barrierefreiheit der ÖH Uni Wien.