Erntehelfer stirbt bei der Feldarbeit: „Die Missstände sind strukturell und systematisch“

Beim Arbeiten in der Sommerhitze ist ein Erntehelfer auf einem Tiroler Gemüsefeld gestorben. Die Hintergründe sind unklar, die Aufklärung verläuft schleppend. Was klar ist: Der Betrieb ist seit langem bekannt für schlechte Arbeitsbedingungen. Schon 2013 kam es hier zu Protesten und sogar Streiks. Sónia Melo berät und organisiert als Aktivistin von Sezioneri Erntehelfer_innen und Saisonarbeiter_innen in Tirol. Wir haben mit ihr über den Todesfall und die Zustände in der Tiroler Landwirtschaft gesprochen.

mosaik: Vergangene Woche ist auf den Tiroler Gemüsefeldern ein Erntehelfer gestorben. Lässt sich schon sagen, was genau passiert ist?

Sónia Melo: Ein Mann aus Rumänien, 52 Jahre alt, Erntehelfer beim Gemüsebauern Josef Norz, ist am 30. Juli am Feld während der Arbeit verstorben. Er war am Bauernhof Schotthof tätig, einem der größten Gemüseproduzenten in Tirol.

Der Mann ist an einem Herzinfarkt gestorben, stellte der Rettungsarzt fest. Allerdings wurde die Land-und Forstinspektion, die für die Arbeitsinspektion in dieser Branche zuständig ist, nicht eingeschaltet. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ein Mann stirbt während der Arbeit. Warum wird das nicht bei der zuständigen Arbeitsinspektion gemeldet?

Es ist zur Zeit schwierig, an Informationen zu kommen. Nicht einmal seinen Namen finden wir heraus. Kolleg_innen sagen, sie wissen nichts Genaues. Aber ich denke, sie haben Angst, dass Bauern das gegen sie verwenden. Sie wollen ihre Jobs nicht aufs Spiel setzen. Das ist ein durchaus übliches Problem.

Wie ist der Bauer mit dem tragischen Todesfall umgegangen?

Das wissen wir nicht. Ob der Tod mit der schweren Arbeit oder der Hitze zusammenhing oder nicht, können wir nicht wissen, weil die Inspektion nicht eingeschaltet wurde. Genau deshalb machen wir auch eine Anfrage bei der Volksanwaltschaft, um das Sachverhalten festzustellen.

Ein stolzer Stand: Tiroler Bauern

Aktuell protestieren in Süditalien hunderte Erntehelfer_innen gegen die miesen Arbeitsbedingungen. Auch in Österreich klagen Erntehelfer_innen schon lange darüber. 2013 haben sie sogar einen Streik beim Schotthof organisiert. Danach kam es zu einigen Veränderungen bei den Arbeits- und Unterbringungs-Bedingungen. Wie sieht es da heute aus?

Ich habe neulich mit einer Frau telefoniert, die damals an den Protesten teilgenommen hat. Sie hat Bekannte und Familienangehörige, die beim Schotthof arbeiten, und sagte mir, es sei heute noch schlimmer als damals. Ich höre auch von anderen Kolleg_innen aus anderen Betrieben dasselbe.

2013 waren der Protest und die Arbeitsniederlegung, an der sich etwa 70 Erntearbeiter_innen aus Rumänien und Serbien beteiligt haben, nur möglich, weil sie seit Jahren dort gearbeitet hatten und sich eine Gruppendynamik entwickeln konnte. Seither beschäftigt dieser Gemüsebauer die Mehrheit seiner Arbeiter_innen nur kurzfristig. Alle zwei Monate wechselt er seine Belegschaft, bis auf wenige Vorarbeiter. Das macht unsere Arbeit, Vertrauen aufzubauen und die Arbeiter_innen über ihre Rechte aufzuklären, extrem schwierig.

Bei diesem Bauern haben sich seit dem Protest die Ausbeutungsmechanismen perfektioniert. Bei anderen ist die Situation ein bisschen besser geworden. Aber nicht bei allen und auch nicht viel besser. Nach wie vor wird zu viel Geld für Kost und Logis vom Lohn abgezogen. Einige ziehen ihren Arbeiter_innen sogar Geld für Etiketten und Gummiringe ab. Einige Bauern zahlen vom Kollektivvertrag vorgesehene Zuschläge nicht aus, und so weiter. Manche Bauern haben aber zumindest letzteres eingesehen, auch aus Angst vor Klagen.

Was sind die Ursachen für diese schlechten Arbeitsbedingungen?

Ich spreche ungern über schwarze Schafe, weil die Missstände strukturell und systematisch sind. Über die Rolle des Handels, der die Bauern und Bäuerinnen mit seinen Abnahmepreisen extrem unter Druck setzt, schweigen die Bauern. Denn sie wollen die Hand, die sie füttert, nicht beißen.

Die Konzentration im Handel ist in Österreich auch im internationalen Vergleich außerordentlich hoch. Drei Konzerne kontrollieren 85 Prozent des Marktes und können daher die Preise diktieren. Die Folge ist, dass die Produzent_innen gezwungen sind, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, um am Markt zu überleben. Kostensenkung bedeutet stets in erster Linie, bei den Personalkosten zu sparen. Die negativen Auswirkungen dieser Preisspirale nach unten bekommen nicht nur die Erntehelfer_innen, sondern auch die Kleinproduzent_innen zu spüren. Sie bleiben auf der Strecke.

Der Bauer, der 2013 bestreikt wurde, hätte eigentlich eine Strafe in Millionenhöhe wegen Lohndumping zahlen sollen. Was ist daraus geworden?

Ja, einige Monate nach dem Protest, im Februar 2014, forderte die Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK)  eine Strafe in Höhe von 1,4 Millionen Euro. Auf meine Nachfrage hin schrieb die TGKK, dass das Verfahren eingestellt wurde. Die Gründe seien nicht öffentlich. Von anonymen Quelle wissen wir, dass das Verfahren aufgrund fehlender Unterlagen eingestellt wurde. Genaueres ist nicht bekannt.

Die Bauern sind in Tirol mit der ÖVP politisch sehr gut vertreten, haben eine starke Lobby. Außerdem zeigen sie meiner Erfahrung nach keinerlei Einsicht. Das sieht man Beispiel von Andrei und Bogdan Oncea, zwei Erntehelfern, die für ihre Rechte vor Gericht gezogen sind. Ihr Arbeitgeber sagte damals aus, er sei schockiert von der Klage, denn für ihn seien Andrei und Bogdan „wie Familie“. Und ich denke, er war ehrlich, er glaubt das wirklich.

Andrei Oancea, von 2011 bis 2014 Erntearbeiter in Tirol, hat seine Rechte eingeklagt. Heute ist er Sezioneri-Aktivist.

Zuletzt wurde berichtet, dass die Arbeitsbedingungen für Erntehelfer_innen noch weiter verschlechtert werden sollen. Was würde das für die Arbeiter_innen bedeuten?

Der Gesetzesvorschlag von Landwirtschaftskammer und Landarbeiterkammer ist empörend. Erntehelfer_innen sollen Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen werden. Außerdem soll der Zwölfstundentag künftig nicht wie bisher maximal 13 Wochen im Jahr möglich sein, sondern unbegrenzt. Das wäre auch für andere Branchen schlimm. Doch gerade bei Erntearbeiter_innen, die sehr harte, anstrengende Arbeit für einen sehr niedrigen Lohn verrichten – in Tirol sind das 6,22 Euro Netto-Stundenlohn –  ist das für mich Lohnraub. Anders kann ich das nicht nennen.

Und das auch noch mit Einbeziehung und Zustimmung der Landarbeiterkammer. Die Gewerkschaft fordert in einer Aussendung, die Landarbeiterkammer auf, „ihrer Funktion als Interessenvertretung der Erntehelfer nachzukommen, anstatt mit den Arbeitgebern Hand in Hand Sozialabbau und Lohnraub zu betreiben“. Das bringt es aus meiner Sicht auf den Punkt.

Welche Rolle spielt die Landarbeiterkammer (LAK) als Interessenvertretung in Tirol?

In Tirol verhandelt sie den Kollektivvertrag. Der ÖGB bzw. die Produktionsgewerkschaft (PRO-GE), die zuständige Teilgewerkschaft für die Landwirtschaft, sind bei den Kollektivvertragsverhandlungen in Tirol nicht dabei, sondern der sehr viel kleinere Land-und Forstarbeiterbund mit etwa 100 Mitgliedern. Er hat seinen Sitz im gleichen Gebäude wie der Bauernbund. Außerdem sitzen in der LAK und im Forst-und Landarbeiterbund die gleichen Funktionäre.

Unternehmer und Beschäftigte: In Tirol alles unter einem Dach.

Die Haltung der LAK ist außerdem passiv. Bei Erntehelfer_innen funktionieren nämlich die herkömmlichen Strukturen einer Interessenvertretung in Österreich nicht. Saisonarbeiter_innen in der Landwirtschaft, die zu den am stärksten ausgebeuteten Arbeiter_innen in Österreich zählen, zum größten Teil aus dem Ausland kommen und nur kurze Zeit hierbleiben, kennen ihre Rechte kaum.

Sie haben oft auch große Skepsis gegenüber Institutionen wie der Gewerkschaft oder Kammern. Sie arbeiten 200 bis 300 Stunden monatlich, beherrschen die deutsche Sprache nicht und kommen schwer zu Anlaufstellen. Daher müssen Interessenvertretungen den Weg zu ihnen machen, nicht in einem Büro sitzen und warten, dass die Kolleg_innen in die Beratung kommen. Von all den Landarbeiter_innen, mit denen ich mich im Laufe der Jahre unterhalten habe, und das waren im sehr viele, hat kein Einziger, keine Einzige überhaupt gewusst, dass es die LAK gibt.

Hat sich die LAK nun im Fall des gestorbenen Erntehelfers eingeschalten?

Günter Mösl von der LAK Tirol meinte in einem ORF-Bericht in Tirol heute, er sei „der Meinung, grundsätzlich“ müsste die Land-und Forstinspektion über den Tod des Erntehelfers informiert werden. Was bedeutet „der Meinung sein“? Er sollte als Interessenvertretung der Landarbeiter_innen agieren, nicht der Meinung sein, dass… Seine Meinung ist irrelevant, seine Taten als Vertreter zählen. Und die sprechen Bände. Deshalb müssen wir uns eben darum kümmern.

 

Interview: Sandra Stern

Sónia Melo ist Projektmitarbeiterin am ZEMiT, dem Zentrum für Migrant_innen in Tirol, und Aktivistin in der Sezonieri-Kampagne. Zuletzt hat an der Ausstellung Hier zuhause. Migrationsgeschichten aus Tirol“ der Tiroler Landesmuseen mitkuratiert, die mittlerweile online zugänglich ist.

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