Berlin: So enteignen wir im September die Wohnkonzerne

Überall lila-gelbe Poster, empörte Konservative und ängstliche Immobilienkonzerne: Das Gespenst der Enteignung geht um. Wenn die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ genug Unterschriften sammelt, stimmt Berlin im September über die Enteignung der Immobilienkonzerne ab. Mosaik-Redakteurin Lisa Mittendrein sprach mit Mitinitiatorin Ingrid Hoffmann darüber, warum die Kampagne so erflolgreich läuft und was wir daraus lernen können. 

Mosaik-Blog: Ihr seid jetzt in die heiße Phase der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ eingetreten. Worum geht es dabei?

Ingrid Hoffmann: Wir wollen den profitorientierten Wohnkonzernen in Berlin eine Viertelmillion Wohnungen wegnehmen. Dafür soll es einen Volksentscheid geben, also eine offizielle Abstimmung. 

Der größte durch die Börse bewertete Wohnkonzern in Berlin ist die „Deutsche Wohnen“. Die besitzen in der Stadt rund 116.000 Wohnungen und kaufen ständig mehr. Solche Konzerne gibt es gut ein Dutzend. Wir fordern, alle Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen, beziehungsweise zu vergesellschaften.

Warum der radikale Schritt der Enteignung? 

85 Prozent der Berliner Bevölkerung wohnen zur Miete. Neue Mieten haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, auch weil sich die Stadt aus dem Wohnungsmarkt zurückgezogen hat. Es ist unglaublich: Jede Miete der Deutsche Wohnen zahlt durchschnittlich 177 Euro im Monat nur ins Portemonnaie der Aktionär*innen!

Und wie soll diese Enteignung genau funktionieren?

Die Stadt soll die großen Immobilienunternehmen enteignen und die Wohnungen in eine städtische, nicht gewinnorientierte Institution überführen.

Das Gespenst der Enteignung. (c) Deutsche Wohnen und Co enteignen.

Enteignung galt ja lange als böses Wort. Wieso habt ihr euch dafür entschieden, eure Kampagne explizit „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ zu nennen? 

Viele Leute hatten mit dem Wort „Enteignung“ am Anfang Probleme. Ehrlich gesagt, ich auch! Aber unsere Kommunikationsleute haben gesagt: „vergesellschaften“ versteht keine*r. Wenn wir „enteignen“ sagen, ist das für alle klar. Das gibt einen Riesenskandal und beschert uns so viel Aufmerksamkeit, dass wir dann über Vergesellschaftung reden können. Und sie hatten Recht! Es ist auch unser Verdienst, dass heute in Deutschland wieder über Enteignung gesprochen wird. 

Es gibt im deutschen Grundgesetz einen Paragraphen zur Enteignung, auf den ihr euch beruft. Wie funktioniert das? 

Enteignungen, etwa für den Straßenbau, gibt es in Deutschland dauernd. Dafür hat sogar jedes Bundesland eine Enteignungsbehörde. Wir berufen uns aber auf etwas anderes, nämlich Artikel 15, der noch nie angewandt wurde. Er besagt, dass Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung ins Gemeineigentum überführt werden können  – für eine Entschädigung. Das wollen wir nun mit einem Volksentscheid durchsetzen.

Im Moment seid ihr in Berlin auf der Straße und sammelt Unterschriften für den Volksentscheid. Wo steht ihr jetzt im Prozess und wie viele Unterschriften braucht ihr?

Wir sind jetzt in der zweiten von drei Phasen. Zuerst mussten wir in Berlin 20.000 Unterschriften sammeln – das haben wir schon 2019 locker geschafft. Jetzt hat gerade die zweite Phase begonnen. Wir haben vier Monate Zeit, um die Unterschriften von 7 Prozent der Wahlberechtigten zu sammeln, das sind etwa 175.000 Menschen. Wenn uns das gelingt kommt es zum Volksentscheid und die Enteignung der Wohnkonzerne wird im September gleichzeitig mit den deutschen Wahlen offiziell abgestimmt. Das Ergebnis ist zwar für die Berliner Stadtregierung nicht bindend, kann aber nicht einfach ignoriert werden. 

Ich denke, die Abstimmung wird die größte Herausforderung für uns. Dort brauchen wir eine Mehrheit und in absoluten Zahlen mindestens 613.000 Ja-Stimmen. Das wird eine harte Auseinandersetzung.

Wie läuft das Unterschriften sammeln? Wie ist die Stimmung? 

Die Stimmung ist ausgesprochen gut. Die Leute rennen uns die Bude ein, um den Konzernen mal zu zeigen, was Sache ist. Anfang letzter Woche waren wir 1.700 Leute, die aktiv mitarbeiten und Ende der Woche waren wir schon 2.500! 

Wir koordinieren das Sammeln mit einer App, viele Läden unterstützen uns und wir planen ein Sammelcamp mit bundesweiter Unterstützung. Außerdem wollen wir einen kleinen LKW mit Tonanlage ausrüsten, so dass wir dann mit Bands in den Außenbezirken sammeln können.

Es ist nämlich so: Beim Sammeln in den klassischen kämpferischen Bezirken stürzen sich die Leute direkt auf uns, oft haben sie schon gewartet, wann es endlich losgeht. In den Außenbezirken ist es schwerer, da sind wir bisher weniger durchgedrungen. Deswegen unterstützen wir mit den innerstädtischen Kiezteams auch in den Außenbezirken.

App von (c) Deutsche Wohnen & Co enteignen

Welche Erfahrungen machst du da beim Sammeln?

Am Samstag habe ich bei klirrender Kälte und Ostwind in Marzahn-Hellersdorf am östlichen Stadtrand mit knapp zehn Leuten in drei Stunden rund 150 Unterschriften gesammelt. Dort sind viele mit dem Auto unterwegs – für uns ein Handicap. Dennoch kamen auch Leute freudig auf uns zu und fragten: „Wo können wir unterschreiben“.

Eine Frau sagte mir: „Was, für die Deutsche Wohnen? Nee, ick wohne bei denen, die sind janz übel“. Als sie hörte, dass es aber GEGEN die gehe: „Ach so, na dann her mit dit Papier“.

Generell sind die Menschen oft besorgt, dass die Enteignung für die Stadt sehr teuer wird. Aber die Stadt kann die Entschädigungssumme selbst festlegen. Wir schlagen dafür acht Milliarden Euro vor. Dann kann man mit fairen, niedrigeren Mieten die Entschädigung abbezahlen. Somit kostet es die Stadt gar nichts! Die Frage der Entschädigung wird aber am Ende wohl vor dem Bundesverfassungsgericht landen.

Welche Rolle spielen Mieter*innen der Deutsche Wohnen und der anderen Konzerne in der Kampagne?

Ich wohne selbst in einem Deutsche Wohnen-Haus. Wir hatten eine sehr aktive Vernetzung von Deutsche Wohnen-Mieter*innen, da waren jeden Monat bis zu 70 Leute. Aber das ist alles Corona zum Opfer gefallen. Es sind zwar einige Mieter*innen auch beim Sammeln aktiv, aber insgesamt ist die Mieter*innenvernetzung leider im Moment nicht so schlagkräftig, wie wir hofften. Wir drucken jetzt neues Material zu den 177 Euro und verteilen es dann in allen Siedlungen um den Leuten klarzumachen: Ihr zahlt jeden Monat direkt an die Aktionäre!

Eine wichtige Erfahrung von Mieter*innen-Initiativen war in den letzten Jahren: Die Mobilisierung ist oft an einen konkreten Anlass gebunden. Fällt der weg, verschwindet auch die Mobilisierung. Die meisten Leute haben mit ihrem Leben genug zu tun und wollen in Ruhe wohnen. Und mit dem Mietendeckel hat die SPD Druck aus der Lage genommen – das war wohl Absicht. 

Konnte die Kampagne in Deutschland jetzt schon etwas verändern?

Es ist eine ungeheure Mobilisierung in der Stadt. An bösartigen Artikeln und Tweets sieht man, dass die Gegner ziemlich aufgeschreckt sind. Als wir zum Sammelstart 40.000 Plakate geklebt haben, war der Großteil binnen Stunden wieder abgerissen – das waren sicher bezahlte Securitytrupps.

Die Linke ist schon lange dafür, die SPD-Führung strikt dagegen und die Grünen sind von der Führung bis zur Basis genau in der Mitte gespalten. Die CDU hat vor Kurzem eine Umfrage zum Thema in Auftrag gegeben, die zeigt, dass sogar 30% ihrer Wähler*innen für die Enteignung sind. Das zeigt, wie viel sich tut!

Toll ist auch die Unterstützung der Gewerkschaften, etwa der IG Metall in Berlin, die sich in den letzten 60 Jahren niemals an die Seite einer linken Bewegung gestellt hat. Jetzt rufen sie auf, laden uns zu Versammlungen ein und konnten sogar beim Warnstreik-Auftakt Unterschriften sammeln.  

Statistik: (c) Civey

Was können andere Initiativen von euren Erfahrungen lernen?

Was unheimlich wichtig ist: Es muss den Leuten Spaß machen! Wir brauchen niederschwellige Formen, damit möglichst viele mitmachen. Wir müssen unsere Erfolge entsprechend feiern und Anlässe finden, witzige Dinge zu machen. Wir machen zum Beispiel viel mit Gespenster-Kostümen, da springt dann „das Gespenst der Enteignung“ aus einer Torte. Sowas macht uns irre Spaß und es funktioniert auch für die Presse. Man darf nicht so eine knochentrockene, verbiesterte Atmosphäre machen, sondern die Leute müssen Lust drauf haben.

Interview: Lisa Mittendrein

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