Aus der Pandemie lernen: 4 Ansätze gegen die fossile Abhängigkeit

Etwas Positives hat die Pandemie: Sie macht staatliche Handlungsräume sichtbar, die zuvor nicht vorstellbar schienen – und die wir uns erhalten sollten, um gegen die Energiekrise anzukämpfen. Welche das sind, weiß mosaik-Redakteur Mathias Krams.

Aus progressiver Perspektive ist einer der wenigen positiven Aspekte der Corona-Pandemie wohl dieser: Insbesondere zu Beginn der Pandemie wurden staatliche Handlungsspielräume sichtbar, die so zuvor nicht vorstellbar schienen. Kurzzeitig stellte die Regierung die Rettung von Menschenleben über kurzfristige Profitinteressen. Sie veranlasste, dass die Produktion sozial abgesichert heruntergefahren, Berufsroutinen umgestellt und Öffnungszeiten eingeschränkt wurden. Laut Studie des Imperial College London retteten diese Maßnahmen 66.000 Leben in Österreich. Die Hoffnung stand im Raum, dass politische Verantwortungsträger:innen aus dieser Erfahrung lernen und auch in zukünftigen Krisen für eine effektive Krisenbearbeitung staatliche Handlungsspielräume voll ausschöpfen würden.

Diese Erwartung wurde in den letzten Monaten der Energiekrise enttäuscht. Die Ursache der Krise liegt in dem hohen Energieverbrauch und der enormen fossilen Abhängigkeit Österreichs. Das Problem ist seit langem bekannt. Doch auch die sich ständig verschärfende Klimakatastrophe hat nicht ausgereicht, um es entschlossen anzugehen. Vielmehr haben über die letzten Jahre politische Verantwortungsträger:innen und Konzerne wie die teilstaatliche OMV die fossile Abhängigkeit weiter verschärft und eine Wärme- und Mobilitätswende verschleppt. Etwa durch neue fossile Infrastrukturprojekte wie NordStream2, die Beteiligung an Gasfeldern in Russland oder auch Investitionen in den Bau der Lobauautobahn.

Der Ukrainekrieg hat der Politik in Punkto fossile Abhängigkeit den Spiegel vorgehalten und deren soziale Auswirkungen weiter zugespitzt. Doch anstatt nun der Abhängigkeit und den dadurch verursachten Kosten durch eine gesamtgesellschaftliche Reduktion des Energieverbrauchs entgegenzuwirken, gab sich die Bundesregierung bisher überwiegend mit Energiespar-Appellen an Privathaushalte, also einer Individualisierung der Verantwortung, zufrieden. Dabei wäre deutlich mehr staatlicher Handlungsspielraum gegeben. Einige Maßnahmen aus der Corona-Pandemie lohnt es sich dafür wieder in Erinnerung zu rufen.

1) Verkürzte Öffnungszeiten

Während der Corona-Lockdowns einigten sich die Sozialparnterinnen zur Entlastung der Angestellten auf verkürzte Öffnungszeiten im Handel. Auch in der Gastronomie wurden Öffnungszeiten eingeschränkt und Betriebe finanziell unterstützt.

Angesichts des akuten Mitarbeiter:innenmangels würde eine sozial abgesicherte Verkürzung von Öffnungszeiten wohl auch aktuell zur Entlastung der Angestellten beitragen. Darüber hinaus ließe sich mit der Maßnahme Energie und damit Kosten einsparen. Die Uni-Mensa Göttingen hat diesen Schritt daher bereits verkündet. Dass die Wiener SPÖ hingegen offensichtlich für den Winter plant, den Einsatz von energieverschwendenden Heizschwammerl zu genehmigen, um damit die Außenluft in Schanigärten aufzuheizen, wirkt inmitten der Energiekrise völlig absurd und realitätsfern.

Dringend geboten sind während den Öffnungszeiten außerdem Obergrenzen fürs Heizen und Untergrenzen beim Kühlen. So darf in Italien etwa in öffentlichen Gebäuden nicht mehr unter 27 Grad gekühlt und im Winter nicht auf über 19 Grad geheizt werden. Letztere Regelung findet sich bezogen auf öffentliche Gebäude, Büros und Geschäfte auch im Notfall-Plan der EU-Kommission wieder. Die Umsetzung in Österreich lässt auf sich warten.

2) Home Office

39 Prozent der Beschäftigten arbeiteten während der Pandemie zumindest einen Monat im Homeoffice. Für manche war der Wegfall des Arbeitsplatzes außerhalb der eigenen Wohnung eine zusätzliche Belastung. Ein Großteil empfand die Maßnahme jedoch als positiv und wünscht sie sich in beschränktem Ausmaß für die Zukunft.

Auch zum Einsparen von Energie hat freiwilliges Homeoffice viel Potential. Nicht nur lässt sich der Spritverbrauch für das Pendeln mit dem Auto deutlich reduzieren. Auch Energie zum Heizen, beziehungsweise zum Kühlen von Büroflächen während des Hitzesommers, lässt sich dadurch einsparen. Zuletzt sank die Homeoffice-Quote jedoch kontinuierlich. Ein Trend, den wir insbesondere hinsichtlich des kommenden Winters überdenken sollten. Der Henkel-Konzern hat bereits beschlossen, ab September Homeoffice-Regelungen in Deutschland wieder auszuweiten.

3) Umstellung der Produktion

Um Umsatzeinbrüche einzudämmen, begannen Autohersteller zu Beginn der Pandemie, sich Gedanken darüber zu machen, welche gesellschaftlich sinnvollen und notwendigen Produkte sie herstellen könnten. Seat, Ford, GM & Tesla fingen an, aus Autoteilen Beatmungsgeräte herzustellen.

Statt mit der Überproduktion von Autos die fossile Abhängigkeit zu verlängern und die Klimakrise weiter zu verschärfen, könnten die wertvollen Qualifikationen von Beschäftigten in der Auto(zuliefer)industrie inmitten der Energiekrise äußerst sinnvoll eingesetzt werden. Denn der Mangel an Fachpersonal zum Austausch von Gasheizungen und zur Installation von Wärmepumpen  bremst die Wärmewende deutlich aus. Der Dachverband der deutschen Wärmepumpenwirtschaft hat unlängst darauf hingewiesen, dass für Installateure aus der Autoindustrie verkürzte Umschulungsmaßnahmen ausreichen würden, um sie für dringend nötige Aufgaben in der Energiewende zu qualifizieren.

4) Demokratische Debatte zu Systemrelevanz

Die Corona-Pandemie hatte eine Debatte dazu angestoßen, welche Sektoren systemrelevant sind und aufgewertet werden sollten und welche Bereiche – wie etwa die Autoindustrie – notfalls kürzer treten müssen. Verstetigt wurde diese Debatte, etwa auch in Hinblick auf die Herausforderungen der Erderhitzung, jedoch nicht.

Durch den aktuellen Mangel an Gas und an erneuerbarem Strom ist diese Debatte wieder höchst aktuell. Sie findet jedoch hinter verschlossenen Türen statt. Ein breiter öffentlicher Diskurs darüber, wie knappe Energie gerecht verteilt werden soll, bleibt aus. Die Frage, welche Produktion gesellschaftlich sinnvoll und welche verzichtbar ist, steht nicht auf der Tagesordnung.

Dabei hat der ‚Klimarat der Bürger:innen‘ erst kürzlich gezeigt, wie ein möglicher Ansatzpunkt für eine Demokratisierung der Debatte aussehen könnte. Noch dazu unterbreitete er bereits konkrete Maßnahmenvorschläge, die wir unmittelbar zur Bearbeitung der Energiekrise nutzen können. Dazu zählen etwa progressive Energietarife, die Ökologisierung der Pendlerpauschale, CO2-Bepreisung, um darüber sozialen Ausgleich und Heizungswechsel zu finanzieren, ein Vernichtungsverbot für Lebensmittel, eine Fotovoltaik-Pflicht für geeignete Flächen, die Ausweitung des Öffi-Angebots, Zulassungsstopp für Verbrenner-Autos, Tempo-Reduktion, Förderung von Car-Sharing und für alle Städte ein autofreier Tag im Monat.

Mehr Krisenbearbeitung ist möglich

Fossile Abhängigkeit ist kein Abstraktum, sondern durch explodierende Energiekosten hautnah erlebbar und für viele eine enorme Belastung. Die Reaktion der Politik spiegelt das nicht angemessen wieder. Vor gerade einmal zwei Jahren erprobte staatliche Handlungsspielräume werden nicht genutzt, um die Energiekrise abzumildern und ihre strukturellen Ursachen zu bekämpfen. Sowohl eine Energiegrundsicherung, die vor Energiearmut schützt, als auch entschlossene Maßnahmen zur Senkung des gesellschaftlichen Energieverbrauchs blieben bislang aus. Es wäre mehr Krisenbearbeitung möglich. Die Corona-Pandemie hat es gezeigt.

Autor

  • Mathias Krams

    Mathias Krams arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und forscht zu Strategien nachhaltiger städtischer Verkehrspolitik auf EU-Ebene.

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