Kohle und Staat trennen: Wie ein veralteter Vertrag das Klima zerstört

Bagger in Lützerath bewacht von Polizei

Der Energiecharta-Vertrag ist Teil eines Konstrukts internationaler Abkommen, das fossile Konzerne schützt und den Abbau klimaschädlicher Brennstoffe fördert. Woher stammen die Verträge und wie entwickeln sie sich weiter? Diese Fragen beantworten Theresa Kofler und Niels Jongerius.

Vergangenen Mittwoch rückten Polizeischwärme in das besetzte Dorf Lützerath ein und warfen Aktivist*innen aus besetzten Häusern und Baumhäusern, damit die Kohlebagger des Energiekonzerns RWE wieder ihrer Arbeit nachgehen können. Aber es sind nicht nur Tausende von Polizist*innen – oder gar der gesamte deutsche Staat – die den Extraktivismus von Braunkohle und die Profite von RWE schützen. Ein ganzes Konstrukt internationalen Rechts bewahrt stillschweigend die Interessen fossiler Konzerne und hilft ihnen, noch mehr Profit zu machen. 

Für den Abbau von Braunkohle, dem schmutzigsten aller fossilen Brennstoffe, wird eine 200 Meter tiefe Schlucht gegraben, die ganze Dörfer verschlucken kann. Lützerath führt den Menschen in Europa die Zerstörung vor Augen, die mit dem Abbau fossiler Brennstoffe einhergeht. Gemeinden auf der ganzen Welt sind tagtäglich mit den gleichen oder noch schlimmeren Problemen konfrontiert. Einer der Verträge, der das ermöglicht, ist der sogenannte „Energiecharta-Vertrag” (ECT). Er behindert die Bemühungen, diese sinnlose Zerstörung von Gemeinden und Klima zu beenden.

Wie Shell diese Verträge geschaffen hat

In den 1960er Jahren wollte der Konzern Shell (damals Royal Dutch Shell) eine besondere Art von internationalem Schutz für seine Investitionen in der ehemaligen Kolonie Indonesien. Das Land war gerade unabhängig geworden und nun befürchtete der Konzern, die neue Regierung könnte seine Gewinne vermindern. Shell musste also einen Weg außerhalb der üblichen nationalen Rechtswege finden. Der niederländische Staat führte daraufhin einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten (Investor-to-State-Dispute-Settlement, ISDS) ein. 1968 wurde er im Vertrag zwischen den Niederlanden und Indonesien verankert. Seitdem enthalten hunderte internationale bilaterale Verträge ISDS-Mechanismen.

Die Geheimwaffe fossiler Konzerne: Der Energiecharta-Vertrag

In den 1990er Jahren wurde diese Art von Schutz mit dem multilateralen Energiecharta-Vertrag (ECT) massiv ausgeweitet. Der ECT umfasst derzeit mehr als 50 Länder und schützt Investitionen im Energiesektor. Es ist das internationale Abkommen, das von Unternehmen am häufigsten genutzt wird, um Staaten außerhalb ihres nationalen Rechtssystems auf Entschädigungsforderungen in Millionen- oder Milliardenhöhe zu verklagen. Wenn Investoren der Meinung sind, dass staatliche Maßnahmen ihre derzeitigen oder potenziellen künftigen Gewinne gefährden, können sie im Rahmen des ECT eine Entschädigung verlangen. RWE hat gegen das Kohleausstiegsgesetz der Niederlande bereits eine Klage in Höhe von 1,4 Milliarden Euro eingereicht.

Aber Konzerne können auch dann viel öffentliches Geld einstreichen, wenn sie nicht klagen. RWE nutzte den ECT als Verhandlungswaffe, um die deutsche Regierung im Falle eines Kohleausstiegs zu hohen Entschädigungszahlungen zu drängen. Nachdem Deutschland nach der Fukushima-Katastrophe vom Energiekonzern Vattenfall wegen des Atomausstiegs unter dem ECT verklagt wurde, beschloss es, eine weitere teure ECT-Klage um jeden Preis zu verhindern. Im Fall von Lützerath stimmte die Regierung im Gegenzug für eine Art „ECT-Verzicht” Zahlungen an RWE zu, die unabhängige Expert*innen für viel zu großzügig halten. Auch die Europäische Kommission untersucht die Beträge auf eine mögliche illegale Überkompensation von Privatunternehmen. Die Klimagerechtigkeitsbewegung hatte in den Verhandlungen um den Kohleausstieg nie eine Chance.

Energiecharta-Vertrag blockiert Pariser Ziele

In Europa haben bereits mehr als eine Million Menschen eine Petition zur Beendigung des antiquierten Vertrags unterzeichnet. Eine beträchtliche Anzahl von EU-Mitgliedsstaaten, darunter die Niederlande und Deutschland sowie Spanien, Frankreich und Polen, haben angekündigt, aus dieser Geheimwaffe der fossilen Brennstoffindustrie auszusteigen. Aber der Vertrag wird so lange am Leben gehalten, bis die Länder endlich den Stecker ziehen. Die Europäische Kommission tut alles, um den Vertrag zu retten. In der Zwischenzeit steht der ECT den europäischen Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens im Weg.

Nach massivem Druck vonseiten der Zivilgesellschaft und zahlreichen Ausstiegen anderer Länder, hat die österreichische Regierung kurz nach der 27. UN-Klimakonferenz angekündigt, einen Ausstieg zu prüfen. Konkrete Details oder Schritte diesbezüglich ist sie uns bis heute schuldig geblieben. Gerade in Zeiten der sich zuspitzenden Klima- und Energiekrise ist ein Ausstieg jedoch unerlässlich. Versorgungssicherheit kann nur gewährleistet werden, indem in erneuerbare Energien investiert wird. Das zeigt beispielsweise die Welle an Kritik gegen die Pläne, in Molln nach Erdgas zu bohren. 

Wir müssen Kohle und Staat trennen

Kohle ist eine Energiequelle der Wirtschaft des 19. Jahrhunderts, die durch Verträge aus dem 20. Jahrhundert unverhältnismäßig geschützt wird. Wenn wir eine Chance auf eine Zukunft ohne katastrophale Klimakrise haben wollen, brauchen wir Lösungen aus dem 21. Jahrhundert. Wollen wir Dörfer in Europa und auf der ganzen Welt vor dem gleichen Schicksal wie Lützerath bewahren, ist die Abschaffung des Energiecharta-Vertrags ein guter Anfang.

Foto: Marius Michusch /@mariusmichusch@hessen.social
Bei Verwendung bitte erst anfragen.

Autor

 
Nach oben scrollen