„Endlich wird die Arbeit knapp“: In Wien wird „Das Kapital“ als Theaterstück aufgeführt

An drei Abenden wird diese Woche das Theaterstück „Endlich wird die Arbeit knapp. Volksbildungs-Revuetheater: 150 Jahre Das Kapital“ in der Wiener Urania aufgeführt. Nach der erfolgreichen Uraufführung im September 2017 wird das Stück jetzt, zum 200. Geburtstag von Karl Marx, wieder aufgenommen. Rainer Hackauf sprach mit Kurto Wendt und Heide Hammer, Autor*innen, Schauspieler*innen und Aktivist*innen der Gruppe „150 years after“, über das von ihnen mitkonzipierte Stück.

mosaik: Ausgerechnet das theoretische Hauptwerk von Karl Marx wolltet ihr auf eine Theaterbühne bringen. Kann man an dieser Aufgabe nicht nur scheitern?

Kurto Wendt: Es wäre zu groß zu behaupten, wir könnten „Das Kapital“ auf die Bühne bringen. Am Anfang stand die Fantasie, marxistische Grundbegriffe wie Ausbeutung, Mehrwert, Klasse oder Ware als Teach-In, im Kleid kluger Unterhaltung auf die Bühne zu bringen.

Fast alle Texte wurden von den Akteur*innen selbst geschrieben, die Musiker*innen haben neue Arbeiter*innenlieder verfasst. Nicht nach dem Motto „Die Arbeit hoch!“, sondern ganz nach Marx: „Nieder mit dem Lohnsystem!“.

Heide Hammer: Wir wollen der aktuellen Form des Kapitalismus, mit seinem Imperativ zur Selbstoptimierung und Selbstvermarktung, ein paar historische Erkenntnisse an die Seite stellen. Wenn wir damit die neoliberale Hegemonie zumindest ein bisschen irritieren und für ein wenig Aufsässigkeit sorgen können, dann ist unser Anspruch schon erfüllt.

Die SPÖ hat kürzlich gegen die Kürzungen beim Arbeitsmarktservice (AMS) unter dem Slogan „Arbeit ist Würde“ protestiert. Der Titel eures Stücks – „Endlich wird die Arbeit knapp“ – deutet in eine ganz andere Richtung. Ist „Würde“ für euch keine relevante Kategorie?

Heide Hammer: Lohnarbeit kann gut oder schlecht bezahlt sein, gefährlich oder auch lustvoll und befriedigend. Kapital und Arbeit markieren gesellschaftliche Positionen und beschreiben ein gesellschaftliches Verhältnis.

Kommunismus dagegen meint in einer weitgehend offenen Zielperspektive, dass die Arbeit nicht länger nur Mittel zum Leben sei, sondern wir alle eine Gesellschaft bilden, in der, wie Marx meinte, „jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ tätig und müßig sein kann. Es geht um eine sinnvolle gesellschaftliche Arbeitsteilung und um individuelle Freiheit zugleich.

Kurto Wendt: Die SPÖ macht das, was die Theoretiker Nick Srnicek und Alex Williams „Folk-Politik“ nennen, also eine folkloristische, in die Vergangenheit gerichtete Politik. Sie suggeriert, dass Vollbeschäftigung noch möglich sei.

Die „Aktion 20.000“, die sie jetzt als „Würde“ verteidigt, hat aber Elemente von Zwangsarbeit. Oder wie würdest du es bezeichnen, wenn ein Visual-Designer, der seinen Job im Burgtheater verloren hat, in einer Altstoffsammelstelle arbeiten soll? Die „30-Stunden-Woche für alle“, wie sie im Frauenvolksbegehren gefordert wird, wäre dagegen zeitgemäß.

Der von dir zitierte Autor und Corbyn-Berater Nick Srnicek fordert in seinem derzeit viel diskutierten Buch „Die Zukunft erfinden: Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit“ die Vollautomatisierung durch Roboter. Für viele Linke eine Horrorvorstellung, für euch nicht. Wieso?

Kurto Wendt: „Den Maschinen die Arbeit und uns das Vergnügen“, heißt es in einer Szene unseres Stücks, die von Käthe Knittler und Martin Birkner geschrieben und auch performt wird. Auszehrende, monotone Arbeiten durch Maschinen zu ersetzen ist immer ein zivilisatorischer Fortschritt. Das sollte bejaht und forciert werden.

Gleichzeitig braucht es einen positiven Gesellschaftsentwurf, der Lohnarbeit und Lebensgrundlage entkoppelt und allen Menschen das Vertrauen gibt, dass sie auch tätige Künstler*innen, Seelsorger*innen und Müßiggänger*innen sein können.

Theater zu machen ist auch Arbeit. Gerade für kleine Produktionen stellt sich da schnell die Frage nach der Selbstausbeutung. War das bei euch Thema? Wie geht ihr mit dieser Frage als Kollektiv um?

Kurto Wendt: Es wäre dumm, als Konsequenz der radikalen Kritik an Lohnarbeit das eigene Tätigsein einzustellen. Den Begriff der „Selbstausbeutung“ möchten wir aber genauso radikal in Frage stellen.

Was soll das sein? Für die sich ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen am Ende auch noch selbst die Verantwortung zu übernehmen? Eine schlechte Performance bei der Verwertung der eigenen Arbeitskraft an den Tag zu legen? Im übrigen gibt es auch wenig Unterschied zwischen kleinen und großen Theaterproduktionen. Bei großen sind nur die Unterschiede in der Bezahlung größer.

Heide Hammer: In einem alltagssprachlichen Verständnis beschreibt „Selbstausbeutung“ meist eine miese Bezahlung, einen erschreckend geringen Stundenlohn, sofern Arbeitszeit als Grundlage der Bewertung dient. In einer marxistischen Analyse ergibt dieser Begriff keinen Sinn.

Nur weil wir in der Anrufung neoliberaler Verwertung als Unternehmer*in des jeweiligen Ich-Labels auftreten sollen und der Aufforderung zur permanenten Selbstoptimierung dabei nie gerecht werden können, gibt es dennoch keine Möglichkeit zur Abschöpfung des eigenen Mehrwerts.

Wenn der Lohn (oder die Bezahlung des jeweiligen Arbeitsprodukts) nicht zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts reicht, geschweige denn zur Versorgung abhängiger Kinder oder Freund*innen, dann hilft wohl nur der Kampf gegen die Verhältnisse. Dieser Kampf kann nur dann erfolgreich sein, wenn Gleiche nicht nur als Konkurrent*innen, sondern auch als Genoss*innen zusammentreffen.

Kurto Wendt: Wir haben versucht, für die Verteilung der Kohle Kriterien wie den individuellen Zeitaufwand, die Stellung im künstlerischen Produktionsprozess – manche leben vom Kunstmachen, andere sehen das vorwiegend als politische Praxis – und der sozialen Lage zu definieren.

Wir haben aber auch einige Anfragen schweren Herzens absagen müssen, weil das Budget nicht ausgereicht hätte, um unsere minimalen Ansprüche (16 Akteur*innen und hoher technischer Aufwand) abdecken zu können. Eine Einzelaufführung kostet 6.000 Euro und wenn wir aus Leipzig, Berlin oder Innsbruck Rückmeldungen kriegen, dass sie leider nur die Hälfte zahlen können, ist es besser diese abzusagen, als nachher von Selbstausbeutung zu sprechen.

Ihr habt eurem Stück den etwas sperrigen Untertitel “Volksbildungs-Revuetheater” gegeben. Das klingt ein wenig verstaubt, erinnert an die 1920er Jahre. Was hat es damit auf sich?

Kurto Wendt: Sperrig? Findest du? Wir wollen Aufklärung und gutes Theater zugleich machen und das im popkulturellen Kleid. Unverschwurbelte Theorie in kluge Unterhaltung verwandeln. Ohne schlechtes Gewissen und moralische Überlegenheit zu verbreiten. Menschen zum Lachen zu bringen und sie im Idealfall am nächsten Tag zum Buch greifen zu lassen. Das wollen wir. Und wenn sie übermorgen mal die Arbeit Arbeit sein lassen, haben wir schon fast gewonnen.

Heide Hammer: Zugegeben, jeder Begriff könnte für sich eine Vielzahl von kritischen Interventionen hervorrufen. Das „Volk“ veranstaltet hierorts lieber Pogrome als Revolutionen. „Bildung“ wurde durch den Imperativ zum lebenslangen Lernen desavouiert. Das Revue-Theater hatte eher in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts seine sozialkritische Phase.

Und dennoch ist „Endlich wird die Arbeit knapp“ ein großes Vergnügen für uns auf der Bühne und für das Publikum, das im Fluc an zwei Abenden sehr begeistert war. Sheri Avraham hat eine hervorragende Regiearbeit gemacht und wir alle haben das Kunststück zu Wege gebracht, dass professionelle Musiker*innen und Laiendarsteller*innen sehr gut miteinander harmonieren und so einen kurzweiligen und politisch anregenden Theaterabend gestalten.

 

Interview: Rainer Hackauf

»Endlich wird die Arbeit knapp. Volksbildungs-Revuetheater: 150 Jahre Das Kapital« findet vom 22. bis 24. März in der Wiener Urania statt. Kartenreservierung unter 150yearsafter@gmail.com. Der Eintrittspreis ist eine freie Spende, 50 Prozent gehen als Gage an die Künstler*Innen.

Mit dabei als Performer*innen sind übrigens auch einige Mosaik-Blogger*innen.

Autoren

 
Nach oben scrollen