„Du musst lernen!“ Erwachsenenbildung als Klassenkampf von oben

„Was halten wir von einer Mannschaft, die Herbstmeister ist, für die zweite Hälfte der Meisterschaft aber keine Motivation mehr aufbringt?“ Mit dieser Frage veranschaulichte Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, ein Problem der Unternehmen: Ab einem Alter von 45 Jahren nimmt die Bereitschaft von Arbeitenden, sich an Maßnahmen zur Erwachsenenbildung zu beteiligen, drastisch ab. Was hinter diesem „Motivationsproblem“ steckt erklärt Thomas Kreiml.

Zur Eröffnung der Jahrestagung der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ) verpackte Leitl eine klassische neoliberale Erzählung in flotte Sprüche wie diesen: „Du musst lernen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben!“ Die Arbeitenden seien nicht gewillt oder gar unfähig, die für den wirtschaftlichen Erfolg (der Unternehmen) notwendige Motivation mit zunehmendem Alter aufrechtzuerhalten, hieß es da. Sie würden über lange (Arbeits-)Jahre an Motivation und Fähigkeiten verlieren, um sich den Anforderungen anzupassen.

Wer sich nicht anstrengt…

Der Vergleich mit der Fußballmannschaft macht deutlich, dass hier ein kaum verhohlener Vorwurf an die Arbeitenden formuliert wird: Was halten wir von diesen Leuten, die sich in der „zweiten Hälfte“ nicht mehr anstrengen?

Letztlich sind sie schuld daran, wenn der Wirtschaftsstandort Österreich im kapitalistischen Konkurrenzsystem den Profiterwartungen der UnternehmerInnen und InvestorInnen nicht entspricht. So ist das mit der Verantwortung, wenn man Klassenkampf von oben betreibt. Sie wird verlagert auf die individuelle Ebene derjenigen, die ohnehin in einem (Lohn-)Abhängigkeitsverhältnis stehen und betrieblichen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen ausgeliefert sind.

…verliert den Anschluss

Das System der Erwachsenenbildung wurde in den letzten Jahren umgebaut, um genau diese Individualisierung zu verfestigen. Vordringliche Aufgabe der Erwachsenenbildung ist demnach, Menschen für die Notwendigkeit des „lebenslangen Lernens“ zu sensibilisieren. Oder, wie Christoph Leitl es formuliert: „Bewusstsein bei den Leuten“ zu schaffen, damit sie „nicht den Anschluss verlieren“. Weiter- und Fortbildung soll vor allem dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Unternehmen zu steigern. ArbeitnehmerInnen wird beigebracht, den Anforderungskatalogen der Unternehmen zu entsprechen.

Das perfide daran ist, dass diese Anforderung in eine Sprache gekleidet wird, die Freiheit und individuellen Aufstieg verspricht. Wer sich weiterbildet und lernfähig bleibt, macht sich „beschäftigungsfähig“ – das sollte jedem und jeder Arbeitenden einleuchten und daher als selbstbestimmt empfunden werden. Weiter- und Fortbildung gilt als Schlüssel, damit wir nicht „den Anschluss verlieren“, damit wir auf Arbeit und Einkommen hoffen können. Das ist das Glück, das uns Lohnabhängigen von den ArbeitgeberInnen in ihrem eigenen Sinne zugestanden wird.

Hinter der Freiheit: Zwang

Dieses System wurde schon vor über 30 Jahren von dem französischen Gesellschaftstheoretiker Michel Foucault beschrieben. Wo im Neoliberalismus von individueller Freiheit die Rede ist, steckt eigentlich ein Zwang dahinter: Du musst dich selbst disziplinieren und optimieren, um nicht im Wettbewerb unterzugehen. Es handelt sich um nicht mehr als den bloßen Schein von Freiheit. Foucaults These ist, „dass der Neoliberalismus ein bestimmtes Konzept der Freiheit profiliert. […] Das politische Regieren wird an bestimmte Formen von Selbstregierung und Selbststeuerung – Regieren über Freiheit – rückgebunden.“

Diese Mechanismen lassen sich anhand von Untersuchungen zum Bildungsverhalten in Österreich nachvollziehen. Wer kann es sich wirklich leisten, Bildungsangebote nach eigenen Interessen zu wählen? Angebote der allgemeinen Erwachsenenbildung, also solche, die sich nicht unmittelbar an den Anforderungen im Betrieb orientieren, werden laut einer Studie „eher von Personen in Anspruch genommen, die über dementsprechende finanzielle Mittel verfügen, während berufliche Weiterbildungsangebote tendenziell von solchen Personen besucht werden, die konkret von ihrem Unternehmen dazu veranlasst werden bzw. aus karrieretechnischen Überlegungen heraus handeln.“

Kapitalismus demotiviert

Die flotten Sprüche des neoliberalen Zeitgeists blenden vollkommen die Verantwortung und Interessen der UnternehmerInnen aus. Letztere beschweren sich über mangelnde „Motivation“ älterer ArbeitnehmerInnen, schicken aber gleichzeitig dieselben ArbeitnehmerInnen häufig lieber in die Pension, um Jüngere mit günstigen Verträgen anzustellen.

Statt Maßnahmen gegen Monotonie, Abstumpfung, Isolation und Mobbing im Arbeitsalltag zu ergreifen, wird einzelnen Arbeitenden die Verantwortung zur „Weiterentwicklung“ übertragen. Dabei gibt es zahlreiche „systemische“ – im Grunde also: kapitalistische – Ursachen für sinkende Lern- und Arbeitsmotivation. Sie seien hier nur stichwortartig aufgezählt:

● Arbeitsverdichtung,
● mangelnde Wertschätzung,
● mangelnde Einkommenserwartungen,
● hierarchisch-disziplinäre Willkür,
● Arbeitsbelastungen und daraus folgende physische/psychische Belastungen,
● entfremdete Arbeit („Bullshit-Jobs“).

Bildung oder Humankapital

Wer einerseits bei öffentlichen Auftritten den Erfahrungsschatz langjähriger MitarbeiterInnen beschwört, sich gleichzeitig aber über deren mangelnde Bildungs- und/oder Arbeitsmotivation ab einem gewissen Alter beschwert und dann auch noch bei jeglicher Gelegenheit den „Fachkräftemangel“ ausruft, verdeckt die in vielen Betrieben herrschende Realität.

Was das Management in aller Regel antreibt, und was die FunktionärInnen der Wirtschaft wirklich wollen, sind nicht „gebildete“ Arbeitende, sondern effektiver einzusetzendes „Humankapital“.

 

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