Rote Blaupause? Doskozil und die Absolute

Das Burgenland hat gewählt. Die SPÖ hat unerwartet die absolute Mehrheit erobert. Trotz oder wegen ihrer Koalition mit der FPÖ? Ein genauer Blick zeigt: Der Erfolg beruht vor allem auf Organisationsmacht, einer Prise Instinkt und einer Portion Glück.

Entgegen dem Bundestrend hat die SPÖ – dem Vernehmen nach selbst für Insider überraschend – bei den Landtagswahlen knapp 50 Prozent der Stimmen eingefahren. Seither tobt die Debatte, wie dieser Sieg möglich war und welche Lehren sich daraus ziehen lassen. Sind die viel gescholtene rot-blaue Koalition von Hans Niessl und der ebenfalls rechtspopulistische Kurs von Landeshauptmann Hans Peter Doskozil das Rezept? Oder vielleicht doch die vielbeachteten sozialpolitischen Maßnahmen, die von den hiesigen Medien gerne als links bezeichnet werden? Es gibt wohl mehr als eine Ursache.

Im Osten nichts Neues

Im Burgenland überlebt ein bedeutender sozialdemokratischer Parteiapparat. Freilich, auch hier ist er spätestens seit den 1990ern von sinkender Bedeutung. Doch Fakt ist: Die SPÖ ist in allen Gemeinden vertreten. Vor allem in den mittleren und nördlichen Bezirken haben rote Vorfeldorganisationen eine aktive Basis. Die sozialdemokratischen GewerkschaftlerInnen sind der dominierende Faktor in der betrieblichen Mitbestimmung. Diese vielfältigen Schnittstellen zu unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft führen automatisch zu einem laufenden Kontakt mit der Bevölkerung. Jahrzehnte der Machtkonzentration und die Kleinräumigkeit des Bundeslandes – mit 290.000 EinwohnerInnen entspricht die Bevölkerungsgröße etwa der von zwei Wiener Flächenbezirken – tun ihr Übriges. Diese starke organisatorische Verankerung macht es in weiten Teilen des Landes quasi unmöglich, die SPÖ Burgenland und ihre Aktivitäten nicht mitzubekommen. Ein unbezahlbarer werblicher Vorteil.

Der rote Burg(enland)frieden

Diese Allgegenwärtigkeit ist zweifelsohne ein begünstigender Faktor. Die burgenländische SPÖ konnte schon so manche Krisensituation auf diesem Polster vergleichsweise glimpflich überstehen. Auch Doskozil scheint die Bedeutung einer funktionierenden Organisation für die Sicherung seiner Macht zu erkennen. Am deutlichsten offenbart sich das in seinem Umgang mit parteiinternen KritikerInnen und den politischen Personalentscheidungen. So arbeitet sein Umfeld seit seiner Amtsübernahme daran, prononcierte KritikerInnen der rot-blauen Koalition wieder zu versöhnen. Etwa durch die gezielte Einbindung in politische Projekte und Prozesse oder eine demonstrative Vergabe von Posten und Aufgaben an vermeintliche KritikerInnen und Underdogs. Doskozil ist dabei, die eigene (Landes-)Partei wieder zu befrieden – mit dem Ziel einer breiten Hausmacht.

Das Ende der rot-blauen Koalition, das vor wenigen Tagen mit der absoluten Mandatsmehrheit eingeläutet wurde, wird diesen Bemühungen wohl weitere Wege ebnen. Der starke Schwerpunkt im Wahlkampf auf sozialpolitische Themen wie Pflege und Mindestlohn hat strategische Debatten wie die Koalitionsfrage wieder in den Hintergrund gerückt. Stattdessen hat er neue Diskussionen zu konkreten sozialen Fragen eröffnet. Das hat viele Resignierte wieder in die politische Auseinandersetzung geholt und der sozialdemokratischen Wahlbewegung Schwung verliehen. Und vor allem: Das hat viele interessiert – nicht nur FunktionärInnen, ParteigängerInnen und JournalistInnen.

Das Scherflein der Konkurrenz

Einen dritten begünstigenden Faktor stellt die vergleichsweise schwache Konkurrenz dar.

Nach einem fulminanten Ergebnis bei den Nationalratswahlen – die ÖVP konnte die SPÖ vorigen Herbst zum ersten Mal seit 50 Jahren vom ersten Platz stoßen – erhielt die türkise Landespartei folgerichtig Rückendeckung aus Wien. So unterstützte Bundesparteiobmann Sebastian Kurz mit Drucksortenpräsenz und gemeinsamen Auftritten. Im Gegensatz zu den Blauen durchaus erfolgreich. Diese konnten nach herben Verlusten bei der Nationalratswahl auch dieses Mal nicht punkten. In der Hoffnung auf eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligung geriet der blaue Wahlkampf zum Kuschelkurs ohne klare Ansagen – in puncto restriktiver Asyl- und Migrationspolitik degradierte Doskozil sie zum Schmiedl. Wählerstromanalysen zeigen: Die FPÖ verliert vier von zehn FPÖ-Stimmen von 2015 an die SPÖ.

Enttäuscht über ausbleibende Zugewinne zeigten sich die Grünen. Hier entpuppte sich die Koalition mit der Kurz-ÖVP als Selbstleger. Die Grünen hätten sich als einzige nicht-rechte Wahlalternative zur SPÖ positionieren können. Stattdessen waren die ersten Jännerwochen von Sympathiebekundungen an die neue Regierungskoalition mit dem Rechtspopulisten Kurz geprägt. Gut für Doskozil und die SPÖ.

Jenseits von Gut und Böse

Eine schwache aber willkommene Gegnerin war last but not least auch die Bundes-SPÖ. Sie bietet im Vergleich zur pannonischen Landespartei ein komplett entgegengesetztes Bild. Es gibt kein erkennbares inhaltliches Programm. Auch strategische Motive oder taktische Entscheidungen lassen sich kaum erschließen. Das ziellose Treiben der Löwelstraße entzieht sich damit zunehmend der politischen Kritik. In Ermangelung inhaltlicher Bezugspunkte verschiebt sich der Fokus der Diskussion auf Formfragen und die Vergabe personenbezogener Haltungsnoten. Ein Geschenk für die rechtskonservativ dominierte Medienlandschaft. Und für alle politischen GegnerInnen – auch die in den eigenen Reihen. Einmal mehr arbeitete sich Hans Peter Doskozil an der Bundespartei ab, um dem umworbenen Wahlvolk ein Bild von sich zu machen.

Lange Zeit war die erfolglose Kommunikation sozialdemokratischer Positionen die Universalerklärung für Wahlverluste der SPÖ. Doch das war einmal. Mittlerweile scheitert man in der SPÖ bereits daran, relevante Themen überhaupt zu erkennen, geschweige denn in die allgemeine Debatte einzuspeisen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die programmatische Ausrichtung der SPÖ nur bedingt von der realen Lebenssituation ihrer sozialen Basis bestimmt wird.

Das Verhältnis zu den Verhältnissen

Die vermeintlich linke Sozialpolitik des Hans Peter Doskozil stößt genau in diesen Hohlraum. Er setzt sozialdemokratische Themen, statt die medial vorherrschende Agenda wiederzukäuen. Alleine durch die Problematisierung dieser Themen signalisiert er vielen Menschen, ParteigängerInnen unterschiedlicher Provenienz: Ich sehe deine Lebenssituation und erkenne deine Probleme bzw. vereinfacht: Ich verstehe dich.

Diese konkrete Dimension seiner Politik, die stagnierende Löhne oder die Finanzierung würdevoller Pflege thematisiert, unterscheidet sich von der Orientierungslosigkeit seiner Bundespartei. Doch man sollte sich nicht täuschen: Dieser Blick für populäre Themen beruht mehr auf seinem fraglos vorhandenen politischen Instinkt denn auf einer sozialdemokratischen Weltanschauung.

Das erinnert mithin an die Bundesregierung, deren bescheidene Selbstdefinition das „Beste aus zwei Welten“ lautet. Entlang willkürlicher Themengrenzen werden politische Hoheitsgebiete verteilt. Als ob es keine Gesellschaft gäbe, in der alle Bereiche in enger Wechselwirkung stehen. Das trifft in gewisser Weise auch auf die Politik der Doskozil-SPÖ zu: Wo es sich rechnet, ist man Sozialdemokrat. Wo es Widerstände erzeugt, etwas beliebig Anderes.

Es stellt sich folglich einmal mehr die Frage: Wie sinnvoll ist die politische Diskussion über Themen oder Inhalte, wenn wir dabei nicht stets auch über den grundsätzlichen Standpunkt, den wir zu diesen gesellschaftlichen Fragen einnehmen, reden?

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