Das Foto zur „Deutschverordnung“ an der Vienna Business School Mödling hat für große Aufregung gesorgt. Für viele mehrsprachige SchülerInnen und LehrerInnen ist der Umgang von Bildungsinstitutionen mit dem Thema Mehrsprachigkeit Teil ihres frustrierenden, schulischen Alltags.
Fremdsprachenkenntnisse sind in der österreichischen Bildungslandschaft selbstverständlich positiv besetzt. SchülerInnen, die eine AHS besuchen, müssen mindestens zwei davon am Ende ihrer Schulzeit beherrschen. Dass an Österreichs Schulen nicht alle Sprachen gleich viel wert sind, zeigt sich aber bereits am Angebot der Sprachen: Englisch, Französisch, eventuell Spanisch als Pflichtfächer, Italienisch und Spanisch als Wahlpflichtfächer. Das ist immer noch die Realität an den meisten AHSen. Nur ganz wenige Schulen bieten Türkisch oder BKS (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch) als Fremdsprachen an. Für Personen mit Deutsch als Zweitsprache (und keiner der „angesehenen“ Sprachen als Erstsprache) ist ihre Mehrsprachigkeit vielfach etwas das sie verstecken, wofür sie sich schämen sollten. Es wird nicht als Kompetenz, sondern als Manko wahrgenommen. Das an der VBS Mödling (vorübergehend) verhängte Deutsch-Gebot in den Pausen ist kein Einzelfall, sondern an vielen österreichischen Schulen traurige Realität – nicht nur im Pausenhof, sondern ebenso im LehrerInnenzimmer. Die Begründung ähnelt meist dieser im Aushang: Zwischenmenschliche Konflikte werden (zu Unrecht!) als interkulturelle Konflikte hochstilisiert. Um die Absurdität derartiger Reaktionen von Schulleitungen und Lehrenden zu illustrieren: Was wäre denn passiert, wenn diese Auseinandersetzung an der VBS zwischen Reinigungspersonal und SchülerInnen auf Deutsch stattgefunden hätte? Wäre dann ein Deutschverbot ausgesprochen worden? Ein Schweigegebot und ein Bewegungsverbot? Wenn sich keineR mehr rühren darf, damit könnte doch ganz wunderbar jeder Konflikt vermieden werden…
Für eine Kompetenz- statt Defizitorientierung
Solche Reaktionen sind bezeichnend für die österreichische Bildungslandschaft, die zu oft Kompetenzen, Fähigkeiten und Interessen von SchülerInnen ignoriert und deren Anwendung verhindert, anstatt sie aufzugreifen und zu fördern. Das spiegelt sich nicht nur beim Thema Mehrsprachigkeit wider, sondern z.B. auch bei der Nutzung Neuer Medien. Anstatt einen kompetenten Umgang mit Social Media und Co zu vermitteln, werden Handyverbote verhängt.
Fallbeispiele
Welche Erfahrungen machen nun Kinder und Jugendliche mit Deutsch als Zweitsprache in österreichischen Bildungsinstitutionen? Hier eine bunt zusammengewürfelte Aufzählung kurzer Fallbeispiele aus persönlichen und beruflichen Erfahrungen der Autorin:
- T. ist sechs Jahre alt, ihre Erstsprache ist türkisch. Sie besucht seit einigen Monaten einen Kindergarten. Da ihre Mutter nicht berufstätig ist, hat sie für die Zeit vor dem verpflichtenden letzten Kindergartenjahr keinen Platz in einem – für die Eltern leistbaren – Kindergarten bekommen. Die Schulfähigkeitsfeststellung hat T. nicht bestanden. Sie wird zurückgestuft und muss ein weiteres Jahr den Kindergarten besuchen oder eine Vorschulklasse. Ihre Elementarpädagogin ist fassungslos, sie hält T. für schulreif und ist sich sicher, dass die Rückstufung an T.s nicht ganz perfekten Deutschkenntnissen liegt. Leider bleibt der Pädagogin – bei einer Gruppengröße von 25 Kindern – im Kindergarten zu wenig Zeit, um Kinder deren Zweitsprache Deutsch ist beim Erwerb dieser ausreichend zu unterstützen. Auch die Sprachassistentin, die einmal pro Woche für zwei Stunden in den Kindergarten kommt, kann dies in der kurzen Zeit nicht leisten.
- N. ist sieben Jahre alt. Ihre Familie stammt aus Malaysia und lebt erst seit Kurzem in Österreich. Das Mädchen hat gerade mit der ersten Volksschulklasse begonnen und gleich zu Beginn ihrer Schulkarriere eine frustrierende Erfahrung gemacht: Beim ersten Elternabend bekam ihre Mutter von der Lehrerin eine Liste, welche Schulsachen sie für ihre Tochter besorgen sollte. Leider versteht die Mutter viele Angaben auf der Liste – wie Borstenpinsel, Wachsmalkreiden, etc. – nicht. N. bringt deswegen nur einen Teil der benötigten Schulsachen mit und wird von ihrer Lehrerin mehrmals vor allen KlassenkollegInnen deswegen zurechtgewiesen.
- S. ist neun Jahre alt. Seine Familie und er sind kürzlich von Tschetschenien nach Österreich geflüchtet. S. spricht (noch) kein Deutsch und kann dem Unterricht deswegen nicht folgen. Einer Klassenkollegin, die ebenfalls Tschetschenisch spricht, wurde von der Lehrerin verboten ihm die Aufgabenstellungen während des Unterrichts zu erklären.
- O. ist 11 Jahre alt, seine Mutter stammt aus Bulgarien. Der Junge besucht derzeit die erste Klasse einer AHS. Leider wird er von seinen Klassenkollegen gemobbt und geschlagen. Er entwickelt Schulängste und seine (übrigens hochgebildete) Mutter macht sich auf die Suche nach einem anderen Schulplatz. Dabei erhält sie unter anderem die Rückmeldung eines Direktors (der weder O.´s Noten, noch O. selbst oder seine Mutter kennt), dass die betreffende Schule sicher nicht die richtige sei, da Kinder mit Migrationshintergrund den hohen Ansprüchen der betreffenden Schule erfahrungsgemäß nicht gewachsen seien.
- J. ist 13 Jahre alt und mit seiner Familie vor einigen Monaten von Slowenien nach Österreich gezogen. Seit er etwas deutsch kann, versucht er sich in den Unterricht einzubringen und zu Wort zu melden. Dabei wird er von seinen MitschülerInnen regelmäßig ausgelacht, weil er Wörter falsch betont oder nicht den richtigen Satzbau wählt. Die LehrerInnen sagen dazu nichts.
- A. ist 17 Jahre alt und vor vier Jahren als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling von Afghanistan nach Österreich gekommen. In Afghanistan hat er nie eine Schule besucht, in Österreich wurde ihm seinem Alter entsprechend ein Platz in der dritten Klasse Mittelschule zugewiesen – ohne Vorbereitung, ohne zusätzlichem Deutschkurs oder sonstiger Unterstützung von Seiten der Schule. Er hat die Mittelschule ohne Pflichtschulabschluss verlassen.
Selbstverständlich gibt es auch sehr engagierte Initiativen, von denen gelernt werden könnte. Dazu gehören (1) SchülerInnen-Mentoring, bei dem PflichtschülerInnen eineN MentorIn zur Seite gestellt bekommen, die/der sie nicht nur in schulischen Belangen unterstützt, sondern auch Freizeitgestaltungsangebote setzt, (2) interkulturelle Elterncafés an Kindergärten und Schulen, die eine gelingende Erziehungs- und BildungspartnerInnenschaft zwischen Eltern und PädagogInnen unterstützt, (3) mehrsprachige, interkulturelle (Vor-)Lesenachmittage, bei denen Eltern und SchülerInnen sich gegenseitig Geschichten und Märchen in unterschiedlichen Sprachen vorlesen und übersetzen, (4) Theaterprojekte an Schulen, die sich mit der Situation von Personen mit Migrations- oder Fluchterfahrung auseinandersetzen oder auch (5) Freifächer, die Sprachvermittlung mit Musikprojekten verbinden und auf diesem Weg nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch interkulturelle Kompetenz und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion der eigenen Situation und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Leider sind solche Projekte von der Initiative Einzelner abhängig und ihre allfällige Finanzierung muss von Jahr zu Jahr neu beantragt werden. Die dringend nötige Kontinuität und Verbreiterung fehlt. Aus der Perspektive von SchülerInnen aus ZuwandererInnenfamilien gilt in vielen Fällen deswegen immer noch was Fresh Familee schon Anfang der 90er Jahre gerappt haben: Doch leben hier ist schwer.
Marion Hackl ist Sozialpädagogin, Bildungswissenschafterin und stellvertretende Leiterin des Instituts für Kinderrechte und Elternbildung.