Die Pariser Klimaziele: Schon wieder Schnee von gestern?

Die UN-Klimakonferenz letztes Jahr in Paris wurde als riesiges Politspektakel inszeniert. In einem noch nicht da gewesenen Verhandlungsmarathon hetzte die mediale Dramaturgie von der im Vorhinein angekündigten „letzten Chance für die Erde“ bis zur Präsentation eines „Dokuments zur Rettung der Welt“. Der Nachhall der Konferenz legt nahe, dass unsere Staatsoberhäupter mit ihrer Festlegung eines Temperaturlimits die Welt gerade noch einmal gerettet hätten. Doch die wichtigste Frage wurde noch gar nicht wirklich gestellt: Wie ist eine Gesellschaft organisiert, die die Erderwärmung auf 1,5 bzw. 2 Grad begrenzen kann? 

Die Emanzipation vom fossilen Zeitalter erfordert von allen AkteurInnen ein radikales Umdenken. Eine Debatte über die Neuorganisierung unserer Gesellschaft ist insbesondere vor dem Hintergrund der bestehenden Schwächen von Emissions- und Temperaturobergrenzen unerlässlich:

  1. Ein komplexes System wie das Weltklima ist aufgrund seiner chaotischen Elemente zu einem gewissen Grad immer unvorhersehbar. So zeigen die neuesten Forschungsergebnisse, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur viel schneller voranschreitet als bisher erwartet. Grenzwerte sind daher immer mit Vorsicht zu verwenden.
  1. Emissionsgrenzwerte, auch völkerrechtlich bindende, sind immer nur so wirksam, wie die Sanktionsmechanismen ihrer Kontrollinstitutionen. Das zeigt sich am Beispiel des Kyoto-Protokolls: Österreich beispielsweise überschritt die Grenzwerte und kaufte sich einfach frei.
  1. Staaten sind kreativ bei der Einhaltung festgelegter Grenzwerte: zum Beispiel verhindern unterschiedliche Basisjahre bei den freiwilligen Emissionsreduktionszusagen (den INDCs) die internationale Vergleichbarkeit. Russland wählte etwa sein Basisjahr so, dass die Emissionen um etwa 25% im Vergleich zu heute steigen können.

Emissionsreduktionsziele sind nicht die Lösung

Schon seit den 1970ern wird die Kritik vorgebracht, dass sich die Politik zu einseitig auf ökologisch verheerendes BIP-Wachstum konzentriere. Diese Kritik wurde von der Politik wahrgenommen, wenn auch nur langsam. Heute haben wir ein breites Spektrum an politischen Initiativen zum Thema Lebensqualität, die versuchen gesellschaftliche Entwicklung auch abseits vom BIP-Wachstum zu denken – das prominenteste Beispiel ist hierbei der Stiglitz-Report für die Europäische Kommission.

Die Alternative zum Fokus auf das BIP-Wachstum laut vieler dieser Initiativen: Allen Menschen müssen fundamentale Möglichkeiten bereitgestellt werden, um ihr individuelles Konzept des guten Lebens verfolgen zu können. Dazu gehören Bildung, Gesundheit, ein existenzsicherndes Einkommen, soziale Interaktion, aber eben auch eine ökologische Dimension.

Der wahrscheinlich greifbarste Erfolg dieser Bestrebungen zur Lebensqualität sind die zahlreichen Indikatoren-Sets, die zwar weiterhin auch das BIP berücksichtigen, darüber hinaus aber ein viel umfangreicheres Konzept vom ‚guten Leben‘ abzubilden versuchen. Vom „Better Life Index“ der OECD bis zu „Wie geht’s Österreich?“ der Statistik Austria, aber auch den Indikatoren der UN Sustainable Development Goals, gibt es eine breite Auswahl an Messzahlen, an denen sich die Politik orientieren kann.

Utopisch? Unmöglich? Nein!

Will man die Klimaproblematik an der Wurzel behandeln, muss man diese Initiativen zur Lebensqualität aber unweigerlich zu Ende denken, weil die oft versprochene absolute Entkopplung zwischen BIP-Wachstum und Ressourcennutzung und Emissionen ausblieb (und weiterhin auszubleiben scheint). Gesellschaftliche Ziele müssen direkt durch die Politik, nicht durch das BIP angesteuert werden. Eine Reduktion von materiellem Konsum und der damit einhergehenden Produktion scheint dabei unumgänglich, denn materieller Konsum als gesellschaftliches Ziel per se ist mehr als fragwürdig. Genau dieser wird aber momentan unter der BIP-Wachstums-Logik gefördert.

Es bedarf einer Neuausrichtung der politischen Zielsetzung: Das Ziel muss eine Gesellschaft sein, die allen grundlegende Freiheiten und Möglichkeiten bietet, ohne die Biosphäre zu überlasten – und nicht eine, die jemandem das hundertste Paar Schuhe um 15 € ermöglicht. Utopisch? Unmöglich? Nein, denn es gibt bereits zahlreiche „soziale Innovationen“ in der Zivilgesellschaft, die zeigen, wie andere Konsum- und Produktionssysteme aussehen können.

Es braucht neue, revolutionäre Ideen

Die Sharing Economy zeigt, wie kollaborativer Konsum die Menge an rein materiellem Konsum reduziert. Regionale Lebensmittelkooperativen, die durch ihre Saisonalität und Anbindung an lokale ProduzentInnen Transportwege verkürzen, reduzieren auch den ökologischen Fußabdruck der KonsumentInnen. Viele Sozial-  und Gemeinwohlunternehmen in Österreich zeigen, dass Unternehmen auch abseits herkömmlicher Profitlogik wirtschaften können. „Voluntary Simplifier“ reduzieren bewusst ihren Konsum, um mehr Zeit für Beziehungen und nichtmateriellen Konsum zu schaffen. Transition Towns wiederum sind Gemeinden, die viele der genannten Ideen kombinieren. Diese Liste könnte man lange fortführen; klar ist dabei, dass es bereits Alternativen mit Potential gibt, die die Voraussetzungen für ein gutes Leben schaffen, ohne dabei unsere ökologischen Grundlagen zu überlasten.

Nach dem Klimagipfel in Paris heißt es für die Regierungen daher nicht nur verstärkt Indikatoren zur Lebensqualität zu nutzen, sondern es geht auch darum, praktische Antworten auf die Frage nach einer nachhaltigen, emissionsneutralen und gleichzeitig gerechten Gesellschaftsorganisation zu finden und zu fördern – abseits von Windrädern und Solarpanels. Der Klimawandel fordert eine gesellschaftliche Neuausrichtung die durch politisches Engagement unterstützt werden muss. Denn es sind nicht Grenzwerte, die die Welt retten können, sondern neue und manchmal sogar revolutionäre Ideen. Nutzen wir dieses Jahr, um uns auf den Weg zu machen.

Michael Hagelmüller hat sich in seinem Master-Studium mit Lebensqualität und Postwachstum befasst, war im Sozialunternehmenssektor tätig und arbeitet momentan im öffentlichen Dienst.

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