Vergangenen Sonntag marschierten extreme Rechte in den Spielfelder Weinbergen auf. Die „Offensive gegen Rechts Steiermark“ und das Bündnis „Kein Spielfeld für Nazis“ mobilisierten gegen den Aufmarsch. Ziviler Ungehorsam in Form von massenhaften Blockaden sollten den Aufmarsch verhindern. Die Rechtsextremen verübten zahlreiche Übergriffe auf Antifaschist_innen, viele wurden verletzt. Mosaik-Redakteurin Hanna Lichtenberger sprach mit den antifaschistischen AktivistInnen Kathrin Glösel, Sebastian Kugler und Tom Müller, Sprecher des Bündnisses “Kein Spielfeld für Nazis” über den Verlauf der Demonstration und die Konsequenzen, die Spielfeld für antifaschistische Kämpfe haben muss.
Hanna Lichtenberger: Unter dem Motto „Grenzen dicht“ riefen Rechtsextreme dazu auf, im steirischen Spielfeld aufzumarschieren. Welche Akteure haben für Sonntag mobilisiert? Waren die vielzitierten „besorgten Bürger_innen“ auch Teil der rechten Kundgebung?
Kathrin Glösel: Die üblichen Verdächtigen der Identitären aus Wien und der Steiermark haben mobilisiert und sich um Route, Sprechchöre und Ordnerdienst gekümmert. Sie waren sehr aggressiv, sowohl in Beschimpfungen als auch physisch. Auf ihre Kosten gehen Tritte und Schläge auf linke DemonstrantInnen. Zusätzlich haben sich die Identitären zur Verstärkung slowenische rechtsextreme Hooligans geholt, die ebenso aggressiv aufgetreten sind. Schlussendlich waren es auch Menschen aus der Umgebung, die meinen, ihre Einfamilienhäuser, Weingärten und anderer Besitz wären akut bedroht, wenn Flüchtlinge an der Grenze erstversorgt werden.
Sebastian Kugler: Ich teile Kathrins Einschätzung, dass ein Großteil der Mobilisierung von gut vernetzten Rechtsextremen getragen wurde. Identitäre, aber auch andere. Ich glaube nicht, dass die nun plötzlich wie Pilze aus dem Boden schießen, sondern dass sie einfach jahrelang aufgrund des gesellschaftlichen Klimas nicht mobilisierungsfähig waren. Nun gab es einige erfolgreiche kleinere Aktionen und einen Meinungsschwenk in Teilen der Bevölkerung dank der Katastrophenpropaganda von Medien und Regierung. Jetzt kriechen die Rechtsextremen aus ihren Löchern. Dass da auch lokale Bevölkerung dabei war, wird schon stimmen, aber Spielfeld ist kein Nazi-Kaff. Am Rückweg zum Bahnhof haben wir mit einigen EinwohnerInnen sogar sehr gute und solidarische Gespräche gehabt.
Tom Müller: Ja, wobei mich die Ereignisse in Spielfeld vom vergangenen Sonntag schon stark an PEGIDA Dresden erinnert haben: Nazis, Hooligans und BürgerInnen vereint gegen eine angebliche Islamisierung und Überfremdung.
Wie hat die antifaschistische Mobilisierung funktioniert? Wer hat sie getragen? Worum ist es inhaltlich gegangen und wurde die Bevölkerung eingebunden?
Tom: Hauptsächlich getragen wurde die Mobilisierung vom Bündnis „Kein Spielfeld für Nazis“ und von der „Offensive gegen Rechts Steiermark“.
Sebastian: In dieser Frage sehe ich den Schlüssel zur Analyse der gestrigen Ereignisse. Die Mobilisierung wurde im Wesentlichen auf der einen Seite von der „Offensive gegen Rechts Steiermark“ mit Unterstützung des österreichweiten Netzwerkes (etwa „Offensive gegen Rechts Wien“ und „Linz gegen Rechts“) und auf der anderen Seite von autonomen Gruppen getragen. Die KPÖ Steiermark, die bedeutendste linke Kraft in der Region, hat leider durch Abwesenheit geglänzt. Ich fürchte, dass man dachte, die Mobilisierung würde zum Großteil daraus bestehen, Busse aus Graz und Wien zu organisieren.
Inhaltlich legte man richtigerweise den Schwerpunkt auf Solidarität mit Geflüchteten und die Notwendigkeit, rechtsextreme Mobilisierungen zu verhindern. Doch das Ganze wurde meinem Gefühl nach als Routine begriffen und formelhaft formuliert. Es gab keine groß angelegte Mobilisierungskampagne, schon gar nicht in der Region um Spielfeld. Ich gebe zu, dass das sicher mit einem großen Aufwand verbunden gewesen wäre. Aber angesichts der Stärke, die die Rechten gestern gezeigt haben, funktioniert das Konzept, die linke Szene in Busse zu setzen und irgendwo hinzukutschieren, um dort mit StellvertreterInnenanspruch zu demonstrieren, nicht mehr – wenn es das je getan hat. Wir haben in Graz dafür argumentiert, auf Gewerkschaften wie vi.da (die die EisenbahnerInnen organisiert) zuzugehen und für Vorbereitungsaktionen in Spielfeld plädiert, um die Bevölkerung einzubinden. Dazu wäre es auch nötig gewesen, nicht dieselben Formeln immer wieder zu wiederholen, sondern die Flüchtlingskrise mit sozialen Problemen in Österreich zu verbinden. OGR hat dies wenigstens im Titel der Mobilisierung versucht. Die SpielfelderInnen, mit denen wir ins Gespräch kamen, reagierten tatsächlich äußerst positiv auf unsere Argumente, dass nicht Flüchtlinge, sondern die Reichtumsverteilung und die Kürzungspolitik das Problem seien.
Wie war der Ablauf? Wann ist es eskaliert? Was haben die Identitären gemacht?
Kathrin: Nach Auflösung der angemeldeten Demonstration haben sich AntifaschistInnen in Richtung Berghausen aufgemacht, da Rechtsextreme dort an einem Treffpunkt eine Kundgebung abgehalten haben. Schon am Weg dorthin hat die Polizei Zugänge abgesperrt – die normalen Straßen konnten also gar nicht genutzt werden und die AntfaschistInnen mussten auf das Grüne ausweichen. In Kleingruppen haben wir uns dann durch die Weingüter gekämpft und sind schließlich an einer Straßenstelle angekommen, die die Rechtsextremen passieren wollten. Die Polizei war zunächst gar nicht anwesend. Wir nutzten Mittel des zivilen Ungehorsams, haben Menschenketten gebildet und kleine Durchgangslücken an Büschen blockiert. Durch die Aggression der Rechtsextremen wurden diese jedoch durchbrochen. An diesem Punkt ist es eskaliert. Erst jetzt kam die Polizei und hat sich unter die Menschengruppen gemischt. Sie hat in erster Linie AntifaschistInnen abgedrängt und den Rechtsextremen, die mit Tritten, Drohungen und Beschimpfungen nicht gegeizt haben, den Weg freigeschoben. Anzeigen wegen Körperverletzungen wurden nicht aufgenommen. Die Identitären haben sich unterdessen wichtig aufgespielt, haben die Polizei dirigiert und versucht, am Rand stehende AntifaschistInnen zu provozieren. Es hat sehr lange gedauert, bis auch die letzten Rechtsextremen an uns vorbeimarschiert sind.
Sebastian: Bei dem Vorfall auf der Straße handelte es sich nicht nur um vereinzelte Übergriffe von Rechtsextremen, wie wir sie kennen. Es war ein koordinierter Angriff. Sie bildeten Ketten und stürmten auf uns zu, um dann auf AntifaschistInnen mit allen Mitteln einzuprügeln. Wir haben uns selbstverständlich so gut es ging gewehrt, auch wenn die Rechtsextremen in der Überzahl waren. Die Polizei sah minutenlang tatenlos zu, wie AntifaschistInnen verletzt wurden, bevor sie eingriff und uns von der Straße drängte, um den Rechten den Weg endgültig freizumachen.
Wie haben die Linken darauf reagiert?
Kathrin: Ein Teil der AntifaschistInnen, dem ich mich angeschlossen hatte, wollte auf der selben Straße entlang, die die Rechtsextremen zuvor benutzt hatten, um sie schlussendlich einzuholen und blockieren zu können. Doch auch hier hat die Polizei den Weg abgeriegelt. Ein paar von uns sind dann durch die Weinberge und später durch den angrenzenden Wald gegangen, um einen Alternativweg zu suchen. Andere sind auf der Straße geblieben und dort weitergegangen. Ich war schlussendlich in einer kleinen Gruppe, die zwischen Spielfeld und Berghausen gewandert ist, um (zurückkehrende) Rechtsextreme zu dokumentieren.
Sebastian: Zu diesem Zeitpunkt gab es noch Informationen über eine andere größere Gruppe AntifaschistInnen, der es gelang, sich den Rechten in den Weg zu stellen. Viele sind dorthin. Wir machten uns aber auf den Weg zurück nach Spielfeld, weil wir einige angeschlagene AktivistInnen hatten und diese zur Sicherheit in einer größeren Gruppe begleiten wollten.
Was hat die Polizei gemacht? Wie haben die Medien berichtet?
Kathrin: Wenn man sich Fotos und Artikel von JournalistInnen ansieht, merkt man, dass es ihnen vor allem um kaputte Autofenster ging. Außerdem wurde deutlich, dass sie gestern AntifaschistInnen nicht von Rechtsextremen unterscheiden konnten und daher die Bewertung des jeweiligen Auftretens und der Motive einfach falsch waren.
Die Gewalt und Gefahr, die von organisierten Rechtsextremen wie den Identitären ausging, und die Aggression von Seiten der lokalen Bevölkerung, die teilweise auch mitmarschiert ist, wurde völlig ausgeblendet.
Sebastian: Als sich die AntifaschistInnen am Bahnhof zur Abfahrt sammelten, kam es wieder zu Provokationen von Rechten, was die Polizei zum Anlass nahm, wahllos AntifaschistInnen zu kesseln und de facto den Bahnhof zu besetzen. Wir durften sogar nur unter polizeilicher Begleitung aufs Bahnhofsklo. Das war eine reine Schikanemaßnahme. Unsere Identitäten wurden festgestellt, ohne, dass wir klar informiert wurden, was uns vorgeworfen wird.
Tom: Es schien an diesem Tag so, als ob die Polizei auf dem rechten Auge blind war. Nicht einer der gewalttätigen Rechten wurde festgenommen. Die Medien haben verschlafen, dass die Identitären ihr wahres Gesicht gezeigt haben. Es ist komisch, wenn einige Medien Menschen, die angegriffen werden und Angst haben, aber in Notwehr handeln, als „gewalttätig“ bezeichnen. Damit werden Täter und Opfer gleichgesetzt und rechte Gewalt verharmlost. Bis letzte Woche schien es fast so, als ob es keine militante Rechte in Österreich gebe. Es ist auch komisch, dass viele Medien Gewalt gegen Autos als höher bewerten als Gewalt gegen Menschen.
Hat die Umsetzung des Konzeptes des „zivilen Ungehorsams“ funktioniert? Was hätte es gebraucht?
Kathrin: An einigen Straßenpunkten haben Blockaden vorübergehend funktioniert. Die Gewalt, die von den Rechtsextremen am ersten Punkt des Zusammentreffens ausgegangen ist, war jedoch zu groß, um ihnen etwas entgegenzuhalten. Das müssen wir uns eingestehen. Wir sind hier an einem Punkt gewesen, wo wir unterlegen waren und die Aggressionen zu gefährlich. Als AntifaschistInnen sehen wir uns einer Zivilgesellschaft und etablierten PolitikerInnen gegenüber, für die Antifaschismus lästig und „gegen Rechtsextreme sein“ bloß eine Frage des Anstandes und der Moral ist – das ist aber kein Widerstand, so können wir keine breite Front gegen RechtsextremistInnen aufbauen. Dieser Mangel an Solidarität, an Unterstützung von Parteien, von NGOs oder großen Teilen der Gewerkschaften führt dazu, dass man antifaschistische Gruppen ihrem Schicksal überlässt. Wenn wir nur die Polizei haben, die als dritte Kraft anwesend ist, hilft das nur den Rechtsextremen, die auf deren Unterstützung bauen können. Nur wenn wir viele sind, funktionieren Menschenketten, Blockaden, ziviler Ungehorsam allgemein. Das bedeutet auch mehr Stärke, mehr Sicherheit und mehr Wirksamkeit.
Welche Konsequenzen muss die Linke oder die breitere antifaschistische Bewegung aus den Ereignissen in Spielfeld ziehen und was muss beachtet werden?
Kathrin: Was wir in Berghausen und Spielfeld erlebt haben, ist, wie sich die – gar nichtmal schleichende – Faschisierung des „Hinterlandes“ anfühlt. Von AnrainerInnen kam keine Solidarität, stattdessen Hass bis offene Unterstützung der Rechtsextremen. Außerdem müssen Strategien klar kommuniziert werden, erst recht, wenn sie spontan ausgemacht werden. Denn das gibt auch die Chance, sich in Bezug auf Ortskundigkeit und Witterung besser einzustellen und sich besser bewegen zu können.
Außerdem muss Mobilisierung oder zumindest Aufklärung früh genug in die Wohnbevölkerung getragen werden. Das ist sehr viel wert! Es schafft Verständnis dafür, warum eine Demonstration stattfindet, es erklärt, warum jeder rechtsextreme Aufmarsch gefährlich ist und warum es Widerstand braucht. Es motiviert Menschen, sich AntifaschistInnen anzuschließen oder auf alternativem Weg Ungehorsam zu leisten – vom Pfeifkonzert auf dem Balkon bis hin zu kreativen Blockade-Möglichkeiten. Ich habe den Mut nicht verloren, im Gegenteil. Die Demonstrationen von Sonntag haben eher den Blick für Mängel, Gefahren und Fehler geschärft. Das nächste Mal muss es besser funktionieren!
Sebastian: Die Zeiten, in denen man sich darauf verlassen konnte, dass die Rechten auf der Straße in der Unterzahl sind, sind vorbei. Das ist die Rechnung dafür, dass die Linke die Verbindung von Rassismus zu immer brennenderen sozialen Problemfeldern wie Armut und Arbeitslosigkeit weitgehend ignoriert hat. Egal ob staatstragend oder autonom – man hat den Antifaschismus zu einer moralischen Angelegenheit reduziert. „Rassismus ist doof“ oder „Du darfst kein/e RassistIn sein“ sind eben angesichts der immer tieferen sozialen Krise und der rechten Scheinantworten auf reale Probleme und Ängste keine überzeugenden Argumente. Man hat im Wesentlichen auf moralische Empörung über FPÖ-Sager usw. gesetzt – was aus einer kurzfristigen Perspektive verständlich ist, weil sich Empörung schnell mobilisieren lässt, sich jedoch langfristig erschöpft und nicht mehr abrufbar ist. Jetzt muss es darum gehen, durch Kampagnen und Aktionen Antifaschismus und die „soziale Frage“ zusammenzubringen. Denn keiner/m ÖsterreicherIn geht es besser, wenn Flüchtlinge verrecken. Rassismus schafft weder fehlende Jobs noch senkt er Mieten und Preise. In den letzten Tagen haben sowohl die Wiener Arbeiterkammer als auch die Gewerkschaft GPA-djp weitreichende Anträge beschlossen, in denen sie sich u.a. dazu verpflichten „die ArbeitnehmerInnen mittels seriöser Informationen über Fluchtursachen und Reichtum in Österreich in ihren Publikationen und Medien aufzuklären, um den vielen Vorurteilen entgegen zu wirken“ und für Umverteilung von oben nach unten zu kämpfen, um Jobs, Wohnungen und Perspektiven für alle, die hier leben und leben wollen, zu finanzieren.
Daran gilt es jetzt anzusetzen. Natürlich müssen wir uns in nächster Zeit auch weiterhin den Rechten in den Weg stellen, auch wenn wir keine Massenmobilisierungen entlang antifaschistischer und sozialer Forderungen auf die Reihe bekommen. Aber bei jeder dieser Mobilisierungen müssen wir den Anspruch stellen, so etwas aufzubauen und sie dementsprechend gestalten, um darauf hinarbeiten zu können.
Tom: Die Linke darf sich nicht mehr darauf verlassen, dass von einer rechten Demo keine Gewalt ausgeht. Auch kann sich die Linke nicht mehr darauf verlassen, dass die Polizei sie vor dem rechten Mob schützt. Die Linke müsste einerseits den antifaschistischen Selbstschutz verbessern. Andererseits muss sie den Medien verdeutlichen, dass es einen Unterschied macht, ob man angegriffen wird oder sich verteidigt. Das muss damit einhergehen, rechte Gewalt stärker zu skandalisieren. Angesichts der stärker werdenden Rechten (und ihrer Gewalt) in Österreich kann es auch nicht sein, dass linke SPler wie Sebastián Bohrn Mena sich mit den Identitären zur Aussprache treffen wollen oder andere Linke in der FPÖ eine mögliche Koalitionspartnerin sehen.
Ein antifaschistischer Veranstaltungshinweis: Am Samstag, dem 21. November, versuchen Neonazis und andere Rassist_innen eine Hetzveranstaltung gegen Flüchtlinge am Wiener Ballhausplatz abzuhalten. Dagegen sagen wir laut: Flüchtlinge willkommen – Kein Fußbreit dem Faschismus und der Hetze! Kommt zur Gegenkundgebung der Offensive gegen Rechts am äußeren Burgtor um 13:00 und zeigt euch solidarisch! Mehr Infos gibt es hier.
Kathrin Glösel studiert in Wien Politikwissenschaft und Europäische Frauen- und Geschlechtergeschichte. Sie ist Mandatarin der Studienrichtungsvertetung Politikwissenschaft an der Universität Wien.
Sebastian Kugler ist Aktivist der Sozialistischen LinksPartei (SLP).
Tom Müller ist aktiver Antifaschist und Pressearbeiter für das Bündnis “Kein Spielfeld für Nazis“.
Hanna Lichtenberger ist mosaik-Redakteurin und Teil der Offensive gegen Rechts Burgenland.