Zwei Räumungen zum Trotz: Was passiert auf der Fisch-Acker-Besetzung?

Der Protestacker

Innerhalb weniger Monate hat sich in Lichtenwörth einiges getan. Mit dem geplanten Baustart im April, inmitten der Klimakrise, steht nun weiterhin eine turbulente Zeit bevor. Petra Kolb blickt für mosaik auf die Ereignisse zurück, die seit dem Spätsommer 2024 auf der Acker-Besetzung passiert sind.

In einer warmen Sommernacht im August räumte die Polizei erstmalig die Besetzung in Lichtenwörth. Sie schnitt das Baumhaus, das Symbol des Widerstands gegen die Ostumfahrung, aus den Bäumen, die Rodung blieb jedoch vorerst aus. Die Reaktion auf den Räumungsversuch war gewaltig, viele Umweltschützer*innen reisten bereits in der Nacht der Räumung an, weitere in den nächsten Tagen. Die Anzahl der Besetzer*innen, die sich am Wideraufbau beteiligten, wuchs binnen kürzester Zeit enorm. Das Zeichen war klar: Der Widerstand gegen ein weiteres Betonprojekt in Niederösterreich lebt. Denn auf etwa 1.300 Quadratmetern soll mit der Umfahrungsstraße B17 eine 100 Meter breite und 11,5 Meter hohe Schneise auf einer Länge von 5 km quer durchs Natura 2000 Schutzgebiet geschlagen werden, welche den bisher geschützten Naturraum zerstört und fruchtbare Ackerböden versiegelt. 

Kaum zwei Monate später erfolgte im Oktober ein weiterer gewaltsamer Räumungsversuch durch Polizei- und Cobra-Einsatzkräfte. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit zerstörte die Polizei trotz zahlreicher Demonstrierender den Folientunnel, das Baumhaus und aufgerichtete Barrikaden und verhaftete gewaltsam einige Aktivist*innen. Bei dieser zweiten Räumung wurde gewaltvoll gerodet, zahlreiche alte Au-Bäume wurden gefällt und damit ein lokales Ökosystem für ein weiteres fossiles Projekt des Großkapitals zerstört.

Ein alter Trugschluss

Die Baupläne gehen auf die 1950/60er Jahre zurück und wurden damit begründet, den Verkehr durch Wr. Neustadt zu minimieren. Tatsächlich führt die Straße jedoch im Endeffekt zu einer Verlagerung und Intensivierung des Verkehrs – ganz einem bekannten Grundsatz der Verkehrsplanung folgend, der besagt: Mehr Straßen ziehen mehr Verkehr an. Auf den bisherigen Ackerflächen und dem Naturschutzgebiet soll nun die Betonschlinge „Ostumfahrung Wr. Neustadt“ als Prestigeprojekt des Bürgermeisters Klaus Schneeberger (ÖVP) gemeinsam mit dem niederösterreichischen Verkehrslandesrat Udo Landbauer (FPÖ) gebaut werden. Der Baustart wurde ironischerweise nur eine Woche nach dem katastrophalen Hochwasser im September, welches große Teile Niederösterreichs überschwemmte, verkündet.

Doch der Protest gegen den Straßenbau als weiteres fossiles Großprojekt lebt. Bereits zwei Tage nach der Rodung versammelten sich in Wr. Neustadt etwa 400 Anrainer*innen um die lokale Bürger:inneninitiative Vernunft statt Ostumfahrung, um weiter gegen den Straßenbau zu demonstrieren. Die Proteste fand in Form einer Fahrraddemo statt, bei der die Orte der Zerstörung gemeinsam besucht wurden. Ende November wurde mit Laternen und Lichterketten erneut demonstriert. Die nicht ausbleibenden Proteste gegen ein fossiles Betonprojekt zeigen, dass Menschen für die Erhaltung von Ackerboden, lebendiger Ökosysteme und für ein zukunftsfähiges Mobilitätssystem kämpfen. Unterstützung bekamen sie vom Rechnungshof, welcher die Ostumfahrung kritisiert, da diese durch die Bodenversiegelung sogenannte Hitzeinseln verstärkt und in einem „Spannungsfeld zu klima- und umweltpolitischen Zielen sowie zur Ernährungssicherheit steht“.  

Verdächtig ruhig in Lichtenwörth?

Nach erneuten Zerstörungen durch die Polizei Mitte Dezember ist es ruhiger geworden auf dem zwangsenteigneten Feld des Lichtenwörther Bio-Landwirts Hans Gribitz – aber nur scheinbar. Denn im Hintergrund wurde an zahlreichen Alternativen, wie dem Neustartbeet und einer solidarischen Landwirtschaft, gearbeitet. Das Neustartbeet wurde von engagierten Bürger*innen und Landwirt*innen aus der Umgebung als Vision entwickelt. Eine Vision, die 40 Millionen Euro spart und die Nahversorgung der Region und deren Gemeinschaft nachhaltig fördert: Als Alternative zur schwarz-blauen Betontrasse soll ein Nahversorgungsgebiet entstehen, mit dem 20 Hektar frisches, regionales Gemüse für 2.000 Haushalte wöchentlich produziert wird. Ein Projekt, welches die Abhängigkeit von langen Lieferketten vermindert, den regionalen und nachhaltigen Gemüseanbau fördert, und Arbeitsplätze sichert. Ein Projekt, welches vorerst als Vision verbleibt, da die Finanzierung und somit auch die Realisierung von politischen Verantwortlichen abhängig ist.

Bereits im Entstehen ist dahingegen eine solidarische Landwirtschaft (SoLawi) in Lichtenwörth, um der Utopie der gelebten Ernährungssouveränität ein Stück näher zu kommen. Die Finanzierung einer solidarischen Landwirtschaft erfolgt über Direktkredite und Spenden, wodurch über einen längeren Zeitraum Gemüse angebaut wird und die wöchentliche Ernte an solidarische Ernteabnehmer*innen verteilt wird. Inspiriert wurde die SoLawi vom Protest-Gemüsegarten am besetzten Acker, auf dem in einem Folientunnel Gemüse angebaut wurde. Das geerntete Gemüse, besser als Protestgemüse bekannt, stellt ein weiteres Symbol des Widerstandes gegen das Betonprojekt dar. Es wurde gemeinsam am Acker verkocht, am Hauptplatz von Lichtenwörth gegen freie Spende verteilt oder an solidarische Gruppen wie die „Solidarity Kitchen“ gespendet.

Dem Baustart zum Trotz

Trotz zahlreicher Räumungsversuche und phasenweiser Besetzungsmüdigkeit stand es eigentlich nie zur Debatte die Besetzung, die im Dezember 2023 startete, aufzugeben. Die Erfahrungen der vergangenen Monate und Jahre eröffneten einen Raum für kollektive Lernprozesse, gemeinsam wurde diskutiert, reflektiert und an einer Strategie gearbeitet. Zudem bestärken die spürbaren Auswirkungen der Klimakrise (Dürre, Überflutungen, Ernteausfälle) die Widerständigkeit der Besetzenden und spornen zum Weitermachen an. Die Entschlossenheit ist groß, der Baustart hat noch nicht begonnen und wie Erfahrungen aus der Lobau-Besetzung zeigen – auch Baustellen und Bagger können besetzt werden. Und bald blüht der Acker wieder auf, denn im März fanden Ackertage statt, ein Frühlingsfest ist geplant und all das geschieht trotz oder vielleicht auch gerade wegen eines geplanten Baustarts im April.

Foto: Petra Kolb

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Autor

  • Petra Kolb

    Petra Kolb hat Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung studiert, schreibt für diverse Medien und ist Klimaaktivistin. Ihre Interessenschwerpunkte in- und außerhalb der Universität sind Proteste, Klimaschutz sowie Stadt und öffentlicher Raum.

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