Deutschland ist linksextrem! (Oder doch nicht?)

Linksextreme Einstellungen sind in Deutschland weit verbreitet. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt eine neue Studie von Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder, die in den letzten Tagen heiß diskutiert wurde. Ist das gar Grund zur Freude von links? Es lohnt sich genauer hinzuschauen, meint Julian Bruns.

Wenn man sich die Studie bzw. deren an interessierte Medien verschickte Langzusammenfassung anschaut, dann ist schnell klar, woher der Wind weht. Da wird in der Einleitung „mangelndes Interesse“ an Linksextremismus ebenso bejammert wie Kritik am Extremismusbegriff ganz generell. Überhaupt wären viele Politikwissenschaftler_innen selbst linksextrem oder würden Linksextreme schützen. In der Zusammenfassung liest sich das so: „Darüber hinaus verschwimmen – anders als auf der rechten Seite des politischen Spektrums – die Trennlinien zwischen extremer und radikaler, aber demokratischer Linker, so dass Linksextremisten gleichsam unter dem Schutzschirm des gesamten linken Milieus stehen.“ Dieser eine Satz sagt schon fast alles über den Hintergrund der Studie: Einerseits werden rechtsextreme Ideologien verharmlost und die Tatsache, dass sie bis weit in konservative Schichten einen Platz haben, geleugnet. (Auf dieser Tatsache beruhen, so nebenbei, alle Konzepte der sogenannten Neuen Rechten.) Gleichzeitig werden linke politische Positionen dämonisiert und eine groß angelegte Attacke auf kritische Rechtsextremismisforscher_innen gefahren. Schließlich sei es ja deren Schuld, dass nur noch über Rechtsextremist_innen, nicht aber über Linksextremist_innen geredet wird.

Formaler Extremismus

Wenig überraschend sind die Extremismus- und die Totalitarismustheorie Ausgangsbasis der Studie. Dass deren Annahmen nicht nur inhaltlich schwach, sondern schlichtweg gefährlich sind, wurde längst dargelegt. Schroeder und Deutz-Schroeder legen zwar die Kritik an diesen Annahmen vor, ziehen sich aber auf rein formale Definitionen von „Wesensmerkmalen“ von Extremismus zurück, ohne die jeweiligen ideologischen Inhalte zu berücksichtigen. So lassen sich dann leidenschaftliche Fußballfans mit dem Opus Dei gleichsetzen, weil sie rein formal definierte Merkmale teilen (monothematisches Weltbild, taktisches Verhältnis zu Demokratie bzw. Schiedsrichterentscheidungen, enge Freund-Feind-Kategorien, Durchdringen von allen Lebensbereichen usw.). Eine solche Herangehensweise sucht und findet „Wesensmerkmale“ stets nur dort, wo sie sie gerade braucht. So seien sich dann auch „der“ Nationalsozialismus und „der“ Kommunismus so ähnlich.

Hier kommen wir zum nächsten Problem. Schroeder definiert Rechtsextremismus völlig antiquiert als das „Leugnen der NS-Verbrechen“. Doch selbst der hinterletzte Dorfnazi legt seine Ideologie mittlerweile geschickter an. Rechtsextreme kommen in schicken Anzügen daher, reden von „Kulturen, die es zu bewahren gilt“ und basteln sich hübsche Facebook-Seiten oder marschieren bei Pegida mit. In der Welt der Schroeders ist das keine reale Gefahr. Sie bauen sich lieber einen „erneuerten“ Extremismusbegriff, der davon ausgeht, dass extremistisch ist, wer den „Vorrang des Individuums“ zu Gunsten „kollektiver Kategorien“ aufgebe. Hier werden jedoch Dinge vermischt, die Sozialwissenschaftler_innen eigentlich besser wissen müssten. Denn solch “kollektive Kategorien” können, wie in rechtsextremen Ideologien, „Rasse“ oder „Kultur“ als unhintergehbare Ideale sein; sie können aber auch Klasse, Geschlecht, Sexualität und andere (Unterdrückungs-)Kategorien sein, die es zu benennen und aufzulösen gilt. Abgesehen davon ist das Individuum auch bei den Studienautor_innen nur dann nur die größte und kleinste aller Analyseeinheiten, wenn es für Konservative gerade opportun ist. Geschlecht, Sexualität und Klasse werden zu „natürlichen“ Kategorien und in ihrer bestehenden Form als Ideal gepriesen. Schroeder und Deutz-Schroeder entziehen diese Katgeorien mit ihrer Definition einem kritischen Diskus. Wenn es gerade nicht passt, ist dann eben nicht mehr das Individuum, sondern „die Familie“, „der Westen“ oder „die Mittelschicht“ das Ideal – alles Katgeorien, die von Linken kritisch analysiert werden, was dann aber als „extremistisch“ gilt.

Am rechten Auge blind

Die theoretischen Grundlagen, mit denen Schroeder und Deutz-Schroeder arbeiten, sind also überaus problematisch. Wie verhält es sich nun mit den von ihnen präsentierten empirischen Ergebnissen? Ein erster Befund ist der „deutliche Anstieg linker Straftaten“. Nirgends wird erläutert, welche Straftaten das sein sollen. Wenn wir hier die österreichische Situation hernehmen, wo der Fall Josef S., ein zu Unrecht bei den Protesten gegen den Akademikerball verhafteter Schüler oder die absurde Räumung der Pizzeria Anarchia im Verfassungsschutzbericht als „linksextreme Straftaten“ auftauchen, dann ahnen wir, was das Problem mit diesen Statistiken ist. Der Verfassungsschutz ist keine neutrale Institution, seine Berichte sind keine unhintergehbaren Wahrheiten. Im Speziellen der deutsche Verfassungsschutz, mit seiner notorischen Blindheit am rechten Auge und dem rabiaten Vorgehen gegen Linke ist keine seriöse Quelle. Richtiggehend absurd wird es, wenn Schroeder und Deutz-Schroeder berichten, dass „die Gewalt meist von Linksextremen ausgehe“. Damit wird nicht nur der qualitative Unterschied von Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen negiert, sondern das reale Bedrohungspotenzial von Neonazis für Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, völlig verharmlost. Wir wissen, dass rechtsextreme Morde statistisch versteckt und beschönigt werden. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Alleine in Dortmund wurden in den letzten 15 Jahren fünf Menschen von Neonazis ermordet. Die rassistischen Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) sind nicht lange her und wenige öffenltiche Institutionen haben sich mit besonders viel Ruhm dabei bekleckert, ihn zu verhindern oder aufzuklären.

Wer ist extremistisch?

Zugleich markieren die beiden Forscher_innen jede kritische Haltung gegenüber Staat und Wirtschaft als (links-)extrem. Verdächtig ist laut Studie etwa, wer die Demokratie in der BRD aufgrund des Einflusses der Wirtschaft nicht für eine„wirkliche“ hält. Verdächtig ist ebenso, wer die Aufnahme aller Flüchtlinge befürwortet oder die deutsche „Ausländerpolitik“ für rassistisch hält. Auch wer der Aussage zustimmt, dass Kapitalismus zwangsweise zu Armut und Hunger führe, ist nach der Norm der Autor_innen nahe am Linksextremismus. (Wer sich selbst ein Bild machen möchte: Kritiker_innen der Studie haben jüngst einen Test online gestellt, der auf den Original-Fragen von Schroeder und Deutz-Schroeder basiert.)

Die Studie zielt darauf ab, linke Kritik unsagbar zu machen und zu diskreditieren. Denn die banalsten Forderungen, etwa die nach einem lebenswürdigen Leben für Alle, werden skandalisiert und als „extreme Meinung“ abgetan. Hier zeigt sich die ganze Absurdität eines konservativen Weltbildes: Flüchtlinge ertrinken lassen ist pragmatische Notwendigkeit, Flüchtlinge nicht sterben lassen ist verdammenswerte linke Extremmeinung. Die Autor_innen der Studie bemühen sich dabei sehr, möglichst seriös und objektiv aufzutreten. Klaus Schroeder ist jedoch alles andere als ein neutraler Wissenschaftler, sondern ein gern von neurechten Publikationen wie der Jungen Freiheit zitierter Autor, der im Kulturkampf gegen Links wertvolles Material liefert. Ein Blick auf seine Vita zeigt, welche Agenda er betreibt. Schroeder zählte 1992 zu den Mitbegründern des Forschungsverbunds SED-Staat, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, „die äußeren und inneren Voraussetzungen der vierzigjährigen Existenz einer zweiten deutschen Diktatur“ zu erforschen. Hier wird mal eben der NS-Staat mit der DDR gleichgesetzt. Folglich bezeichnet der rennomierte Faschismus-Forscher Wolfgang Wippermann Schroeder und Co. als „Hobbyhistoriker“ und „nekrophile Antikommunisten“, die Wissenschaft als „politische Peep-Show“ betreiben würden.

Die Auswirkungen

Viele Linke haben sich ob der Ergebnisse der Studie gefreut. Sie sollten aber nicht übersehen, dass die Ergebnisse den Rechten eine Vorlage liefern, vor der vermeintlichen linksextremen Gefahr zu warnen und sich im Gegensatz dazu als Mainstream zu inszenieren. Gelder, die beispielsweise in Ausstiegsprogramme für Neonazis fließen könnten, werden in sinnlose Projekte gegen „Linksextremismus“ gesteckt, wie dies jüngst passiert ist. Phänomene wie die rassistische Mordserie des NSU und das Versagen der staatlichen Institutionen können leicht beiseite geschoben werden, wenn der wahre Feind links steht. Erzkonservative wie Erika Steinbach oder Kristina Schröder feiern die Studie. Letztere hatte das Projekt übrigens in ihrer damaligen Funktion als Familienministerin in Auftrag gegeben, was sie auch voller Stolz verkündet.

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Darüber hinaus dient die Studie dazu, gut belegte Erkenntnisse zur weiten Verbreitung rechtsextremer Ideen in allen Teilen der Gesellschaft, gerade in der sogenannten „Mitte“, zu delegitimieren. Die Behauptung, die „Mitte“ sei die gute Norm wird somit zementiert. Denn für Konservative steht der Feind im Zweifel links.

Julian Bruns hat Skandinavistik, Germanistik und Philosophie in Köln und Bergen studiert. Er beschäftigt sich in seiner Dissertation mit faschistischer Literatur in Nordeuropa. Er ist Mit-Autor der Bücher Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa sowie des gerade erschienen Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute? und Teil der Bildungswerkstatt Antifaschismus und Zivilcourage – BIWAZ.

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