Deutsche Waffen, deutsches Geld – wo bleibt der Widerstand?

Deutsche Waffen im Spielzeugformat

Das Ende der transatlantischen Beziehungen hat in Europa eine bislang ungeahnte Aufrüstungswelle ausgelöst. An vorderster Front steht dabei Deutschland, das seine Militärausgaben mithilfe eines Sondervermögens massiv erhöht. Angesichts dieser fortschreitenden Militarisierung stellt sich Thomas Waimer die Frage, warum linker Widerstand derzeit weitgehend ausbleibt.

Seit Mitte Februar scheint der Transatlantismus beerdigt. Seine bizarre Totenrede hielt der US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz, der einstigen Wehrkundetagung, deren erklärtes Ziel es ist, „den drängendsten Sicherheitsrisiken der Welt zu begegnen“. Für Vance bestehen diese Risiken jedoch nicht mehr in den üblichen äußeren Bedrohungen, der russischen Gefahr oder dem internationalen Terrorismus, sondern in Europa selbst. In Europa herrsche ein brutales Regime der Zensur, das seinen eigenen Bürger*innen nicht mehr traut. Auch für Brandmauern dürfe es keinen Platz geben. Das größte Problem sei jedoch ohnehin die Massenmigration. Dieser „übergriffige Umgang mit den Europäern, insbesondere mit uns Deutschen“, so der CDU-Chef Friedrich Merz, war jedoch nur der kulturkämpferische Prolog zum vorläufigen Ende des Westens.

Bye-bye transatlantische Beziehungen

Der US-Sondergesandte für die Ukraine, Keith Kellogg, schloss auf derselben Konferenz aus, dass auch die Europäer*innen mit am Verhandlungstisch über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg sitzen werden. Für die Ukraine, deren zugesagte Auslandshilfen ein Volumen von knapp 131 Milliarden Euro betragen (allen voran Deutschland mit 17,1 Milliarden), kommt dieser neue Bilateralismus selbstredend einer Katastrophe gleich.

Die bilateralen Gespräche kündigte US-Präsident Donald Trump wenige Tage vorher an. Flankiert durch seinen Außenminister Pete Hegseth, der am gleichen Tag auf einem Treffen der „Ramstein-Gruppe“ die Grundpfeiler der neuen US-Europapolitik verkündete: Ausschluss einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, keine Rückkehr zu den ukrainischen Grenzen von vor 2014, Verzicht auf US-Truppen und keine weiteren Rüstungsgüter für die Ukraine. Zugleich solle sich der Beitrag der NATO-Mitgliedsländer auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Amerika müsse sich schließlich mit existentiellen Bedrohungen befassen: Sei es die Abwehr Migrationsströme unmittelbar an seinen Grenzen oder die Verteidigung seiner welthegemoniale Stellung gegen den großen Konkurrenten China. Diese militärisch-strategische Abwendung vom Transatlantismus wurde begleitet von Trumps Ankündigung massiver Zollerhöhungen. Nach Berechnung des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung könnten diese die deutschen Exporte um 15 Prozent einbrechen lassen.

Aufrüstung Europas – Zeitenwende in Deutschland

Während Trump nun, so einige Beobachter, seinen „reverse Kissinger“ zu verfolgen scheint, also Russland aus seiner Allianz mit China zu brechen versucht, formierte sich der neue europäische Block, für den dies keine Option ist. Am 4. März verkündete Ursula von der Leyen das Programm „ReArm Europe“. Es sieht 800 Milliarden Euro für die Aufrüstung vor. Polen kündigte an, seine Rüstungsausgaben auf 4,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung zu steigern. Frankreich schloss eine Erhöhung auf 5 Prozent nicht aus. Die baltischen Staaten kündigten ebenso eine massive Erhöhung ihres Militärbudgets an. Und Großbritannien zog die Aufstockung auf 2,5 Prozent auf das Jahr 2027 vor. „Europa sei ein Riese, der aufgewacht ist“, so der polnische Ministerpräsident Donald Tusk.

In Deutschland, das nach der sogenannten Zeitenwende von 2022 ohnehin seine Berührungsängste mit dem Militär ablegen durfte, brachen nach dem Abschied der USA alle Dämme. Der Grüne Robert Habeck forderte die Erhöhung der Wehretats auf 3,5 Prozent. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder forderte ebenfalls eine Erhöhung auf mindestens 3 Prozent, zudem „100.000 Drohnen, 800 neue Panzer sowie 2.000 Patriots und 1.000 Taurus als ein Schutzschild in der Art des ‚Iron Dome‘“. Und der CDU-Verteidigungsexperte, Roderich Kiesewetter, der Russland für „besiegbar“ hält, forderte einen gewaltigen Ausbau der Truppen auf „etwa 460.000 Soldatinnen und Soldaten, zuzüglich einer militärischen und zivilen Reserve“. Das wären knapp 300.000 Soldat*innen mehr als heute.

Kein Halten in der politischen Mitte

Abgesehen von der Partei Die Linke, die sich zunächst vorsichtig rüstungskritisch äußerte, gab es in der politischen Mitte kein Halten mehr. Diese Aufrüstungslust des deutschen Establishments, das Größenwahn und Todestrieb nun endlich vollständig von der Kette lassen darf, ist eine wahrhaft scheußliche Häutung, der man momentan angsterfüllt beiwohnen muss. Höchst erfreut über diese unbändige Freude am Militärischen zeigt sich selbstverständlich die deutsche Rüstungsindustrie. Der Aktienkurs von Rheinmetall geht seit 2022 durch die Decke. Das Unternehmen durfte die Schmuddelecke verlassen und gehört mittlerweile zu den systemrelevanten Lebensrettern. „Frieden ist eben kein Normalzustand – sondern eine wertvolle zivilisatorische Errungenschaft, die vor Bedrohungen zu beschützen ist und dazu auch einer Wehrhaftigkeit bedarf“, so der Pressesprecher von Rheinmetall zum neuen Pazifismus der alten Todesproduzenten.

Letztendlich einigten sich Unionsparteien und Sozialdemokrat*innen Anfang März darauf, alle Ausgaben fürs Militär, die 1 Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen, von der Schuldenbremse auszunehmen. Faktisch bedeutet das, dass „der Spielraum für die Verteidigungsausgaben fast unbegrenzt ist“. Die Zinsen für diese in der Verfassung verankerten Kriegskredite müssen in Zukunft jedoch aus dem laufenden Haushalt beglichen werden. Das wird einen massiven Angriff auf den Sozialstaat zur Folge haben, der jedoch der politischen Verhandlung entzogen sein wird, da er im Grundgesetz verankert wurde. Für die Lohnabhängigen und die Reste der Arbeiter*innenbewegung gleicht das einer gigantischen Katastrophe mit Ansage.

„Koste es, was es wolle“ (Friedrich Merz)

Diese nach oben offenen Rüstungsausgaben wurden strategisch klug durch ein sogenanntes Infrastrukturprogramm begleitet. Doch das auf zwölf Jahre angelegte 500 Milliarden Euro schwere Finanzpaket ist keineswegs ein harmloses ziviles Projekt zum Wohle der Arbeiter*innen. Vielmehr sorgt es für die notwendige Militär- und Sicherheitsinfrastruktur, die die Logistik des Krieges benötigt. Deutschland ist momentan kaum in der Lage Truppen und Kriegsgerät in größerem Ausmaß in Bewegung zu setzen. Ein Aufmarsch nach Osten muss jedoch über die deutsche Infrastruktur erfolgen können. Hierfür werden Stück für Stück die Anforderungen des sogenannten „Operationsplans Deutschland“ implementiert, der die zivil-militärische Zusammenarbeit und das militärische Funktionieren der Logistik regelt.

Neben diesen massiven Ausbau der stofflichen Seite der Militarisierung, von der man sich auch wirtschaftlich positive Effekte erwartet, tritt die zu fördernde „Kriegstüchtigkeit der gesamten Gesellschaft“, wie es Boris Pistorius ausdrückte. Zu diesem Zweck plant die neue Regierungskoalition die Wehrpflicht offenbar in langsamen Schritten einzuführen. Statt der Wiedereinführung der harten Wehrpflicht ist im Koalitionsvertrag von der Schaffung eines neuen attraktiven Wehrdienstes die Rede. Er ist „zunächst (!) auf Freiwilligkeit basiert“. Zudem soll ein geplantes Bundeswehrfördergesetz die deutschen Bildungsinstitutionen eng an die Bundeswehr binden und auf militärische Zwecke verpflichten. Ein Gesundheitssicherstellungsgesetz soll die Kriegstüchtigkeit des Gesundheitswesens sicherstellen.

Auf Kriegskurs ist zudem bereits der deutsche Repressions- und Medienapparat. Seit Beginn des genozidalen israelischen Kriegs gegen Gaza wird jeder Widerspruch gegen die israelischen Gräueltaten als antisemitisch diffamiert. Demonstrationen von Palästinenser*innen werden brutal angegriffen und Veranstaltungen sowie Gruppen werden unter juristisch unhaltbaren Begründungen verboten. So wird seit Anfang April mit der Ausweisung von propalästinensischen Aktivist*innen begonnen. Diese Repression gegen die zumeist migrantischen Kriegsgegner*innen, die in der deutschen Gesellschaft keinerlei Lobby besitzen und der Staatsgewalt deshalb besonders schutzlos ausgeliefert sind, dient zugleich als Übungsterrain und Signal der Abschreckung an alle kommenden Bewegungen, die sich gegen die Interessen des deutschen Imperialismus richten.

Wo bleibt der linke Widerstand?

Doch linker Widerstand gegen diese untragbaren Zustände ist gegenwärtig rar. Die Partei Die Linke ist in dieser gegenwärtig zentralen Frage völlig uneinig. So stimmten, entgegen der Parteiführung, die Linken in den Landesregierungen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern für die Aufrüstung. Doch auch außerhalb des Parlaments sieht es nicht viel besser aus. Eine Kundgebung vor dem Bundestag am 21. März, dem Tag der Grundgesetzänderung, war mit 500 Menschen nur spärlich besucht. Dieses Fehlen einer antimilitaristischen Bewegung hat vielfache Gründe. Die Friedensbewegung, die noch in den 1980er Jahren zehntausende Menschen gegen Aufrüstung mobilisieren konnte, ist alt geworden und zugleich in verfeindete Fraktionen zerfallen. Ein nicht unwesentlicher Teil der noch aktiven Friedensbewegung hat sich prorussischen und rechten Positionen angenähert und vertritt die Logik, der Feind der NATO kann nur ein Freund des Friedens sein.

Diametral zu dieser Position befinden sich andere, die die Friedensbewegung längst hinter sich ließen und ins Lager der Kriegsbefürworter wechselten. Paradigmatisch hierfür steht die Grüne Partei und ihre Anhängerschaft. Diese schufen in den letzten Jahren die Ideologie eines progressiven Militarismus, deren zentrales Credo lautet: „Frieden schaffen mit Waffen“. Hierbei wird die schrankenlose Militarisierung der deutschen Gesellschaft zur Bedingung der Sicherung der freien Welt erklärt, die sich gegen die faschistische Gefahr aus dem Osten oder die asiatische Barbarei absichern muss. Rüstungskritische oder pazifistische Haltungen werden seit der russischen Invasion in der Ukraine durch diese in den deutschen Medien hegemoniale Erzählung stets angegriffen und des Putinismus bezichtigt. Statt diese ideologische Offensive zu kritisieren, fühlen sich viele Linke eingeschüchtert oder sind selbst gar Sprachrohre dieses progressiven Militarismus.

Kein Kompromiss mit der herrschenden Klasse

Doch es sollte für alle Linken eigentlich klar sein, dass die geplante Aufrüstung mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch die verbliebenen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung und der Neuen Linken, die noch nicht vollständig dem neoliberalen Kapitalismus zum Opfer gefallen sind, vollends zerstören wird. Um den gegenwärtigen Haushalt zu konsolidieren, kündigt die CDU bereits jetzt einen Großangriff auf die Lohnabhängigen an. Beinahe alles steht zur Disposition: Bürgergeld, Rente mit 63, Grundrente, der Acht-Stunden-Tag, das Streikrecht oder der Kündigungsschutz. Wer also denkt, den Feinden der Menschheit wäre durch Aufrüstung beizukommen, der irrt gewaltig. Es sind genau Aufrüstung und Krieg, die alle sozialen Errungenschaften – ja die Menschheit selbst – infrage stellen. Das wird von Tag zu Tag eindeutiger. Das einzige Mittel gegen die kommende Barbarei, wäre daher ein breites linkes Widerstandsbündnis im Sinne einer sozialistischen Antikriegsbewegung, die sich auf keinen Kompromiss mehr mit der herrschenden Klasse einlässt.

Titelbild: Joachim Schnurle auf Unsplash

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Autor

  • Thomas Waimer

    Thomas Waimer lebt und arbeitet in Berlin. Er ist Redakteur des Onlinemagazins Communaut und Mitherausgeber des Buches „Sterben und sterben lassen – Der Ukrainekrieg als Klassenkonflikt“.

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