Seit 1992 vertritt die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung (Dessi) Menschen bei asyl- und fremdenrechtlichen Belangen. Seit 30 Jahren bündelt sie ihren politischen Anspruch von Bewegungsfreiheit mit konkreter Dienstleistungsarbeit – unabhängig, basisdemokratisch und parteiisch. Ein Geburtstagsgespräch mit Aktivist*innen der Dessi über offene Grenzen, Fürsorge in der Organisationsarbeit und Schlupflöcher im Rechtssystem.
Diesen Samstag feiert die Dessi 30 Jahre Totalverweigerung. Was bedeutet das?
Unsere Beratungsstelle wurde 1992 als Deserteursberatung gegründet. Der immer schlimmer werdende Krieg im ehemaligen Jugoslawien brachte zahlreiche geflüchtete Wehrdienstverweigerer nach Österreich. Wehrdienstverweigerung ist und war auch in Österreich eine Straftat, seine Nachbar*innen nicht zu töten war kein anerkannter Fluchtgrund. Das war eine rechtliche Lücke für schutzsuchende Menschen – und unser Beginn.
Auch heute bieten wir Rechtsberatung im Asyl- und Fremdenrecht an. Wir haben einen starken Fokus auf Menschen die aus dem Netz fallen, illegalisierte Personen beispielsweise. Was uns von anderen Anlaufstellen unterscheidet ist, dass wir grundsätzlich für alle da sind, die Beratung oder Vertretung brauchen. Wir unterscheiden nicht in aussichtsreichere oder weniger aussichtsreiche Einzelfälle. Das geht sich nur aus, weil die Dessi zu 100 Prozent unabhängig ist, also außer Spenden keine Förderungen und ähnliches bezieht. Das bedeutet auch, zu 100 Prozent parteiisch zu Klient*innen zu halten. Und das ehrenamtlich und basisdemokratisch.
Weil wir bei Basisdemokratie sind: Warum funktioniert das seit 30 Jahren, während anderen Orgas schon nach kurzer Zeit die Luft ausgeht?
Das fragen wir uns auch manchmal (lacht). Es ist zum einen sicher das Commitment für die Sache, die uns verbindet. Bist du bei der Dessi, geht das über Rechtsberatung hinaus. Du bist ein Teil, der diese kontinuierliche Struktur am Laufen hält. Da ist für alle klar: Mittwochabend ist der wichtigste Tag in der Woche, da haben wir Plenum, Rechtsberatungen und Erstabklärungen. Zum anderen ist es das gemeinsame Selbstverständnis, Zugang zu unabhängiger und qualitativer Rechtsberatung für Alle bieten zu wollen; also die Ideale und Ideen, die wir teilen. Wir wissen, was wir bieten wollen und wie. Ein wichtiger Teil davon ist das Diskutieren darüber, wie wir unsere Arbeit verbessern können. In einem hierarchischen Konstrukt würde das niemals funktionieren. Auch nicht, so sehr aufeinander zu schauen.
Was meint ihr mit aufeinander schauen?
Unsere Arbeit ist oftmals emotional belastend, sehr herausfordernd. Einen Teil davon kann man in der Supervision bearbeiten, für den anderen Teil braucht man die Gruppe. Deshalb ist es so wichtig, dass wir füreinander da sind und das Projekt als etwas verstehen, das wir gemeinsam machen. Auch, dass man sich seine Bereiche suchen kann: Da gibt es welche von uns, die schreiben nicht gern Beschwerden, machen aber dafür viel mehr Beratungen, weil sie sich da wohler fühlen. Und das ist okay. Bisher haben sich immer, wenn es in einem Bereich personell enger wurde, wieder Leute gefunden, die das gerne übernehmen. Zusammen mit unserer Unabhängigkeit prägt das eine spürbare Freiheit, die auch Kreativität zulässt.
Wie zeigt sich diese Kreativität im Arbeitsalltag?
Das heißt einen Raum zu haben, ein bisserl schauen kann was geht. Wir probieren Sachen aus, beispielsweise mit dem Afghanistan-Gutachter Mahringer. Das von ihm erstellte Gutachten war eine politische Entscheidung, um Abschiebungen nach Afghanistan zu legitimieren. Das hat niemand angegriffen, das hat sich niemand getraut – wir haben es gemacht. Ein von uns beauftragter Plagiatsgutachter hat Mahringers Gutachten als schlechte Reiseberichte in der Luft zerrissen. Mahringer ist jetzt Geschichte.
Kann man mit Recht wirklich etwas Progressives anstellen?
Vorweg: Recht ist in sich konservativ, es setzt Grenzen innerhalb derer wir uns bewegen müssen. Und doch finden sich da und dort Lücken, in denen es sich recht progressiv anwenden lässt. Klar, wenn sich was ändert, müssen wir uns anpassen. Und trotzdem: Auf der Rechtsebene gibt es nicht völlig klare Begriffe. Begriffe sind oftmals Auslegungssache und schaffen für uns die Möglichkeit, Wege zu finden, für unsere Klient*innen zu argumentieren. Wir müssen rechtlich agieren, das geht sich nicht immer mit unseren politischen Überzeugungen aus.
Aber kann eine Rechtsberatungsstelle überhaupt politisch sein?
„Kein Mensch ist illegal“ ist für uns nicht nur ein Spruch auf einem T-Shirt, sondern unser Grundkonsens. Wir finden Schlupflöcher in Gesetzen, kritisieren diese Gesetze gegebenenfalls und stehen für eine kompromisslose Bewegungsfreiheit für Alle. Das Recht setzt unseren politischen Überzeugungen Grenzen. Und trotzdem hat unsere Arbeit einen politischen Anspruch. Zum Beispiel, dass Klient*innen bei uns die Letztentscheidung haben. Wir zeigen die Möglichkeiten auf, legen die auf den Tisch und die Klient*innen entscheiden am Ende, was wir tun sollen. Abseits der Einzelfallarbeit gibt es auch andere Arten, uns gesellschaftlich einzubringen.
Ihr interveniert seit 30 Jahren in ein restriktives Migrationsregime. Was hat sich verändert?
Mit Migration und Asyl wird viel politisches Kleingeld gemacht. Gesetzgebungen werden vermarktet, vieles verschärft. Es braucht viel Expertise, um diesen Bereich zu durchblicken: Verschiedenste Paragraphen werden entworfen, um Löcher zuzumachen, gleichzeitig tun sich neue Löcher auf, und die suchen wir. Und auch wenn wir Schlupflöcher finden, die Situation wird insgesamt schlechter. Einzelfälle, die vor ein paar Jahren noch durchgingen, funktionieren jetzt nicht mehr. Die Rechtslage wird komplizierter, was vor allem für uns als Ehrenamtliche herausfordernd ist.
Es gibt ein Fest?!
Ja, genau. Diesen Samstag im Fania Live ab 18:00 Uhr. Es gibt Konzerte und Auflegerei, Tombola und eine Gesprächsrunde mit der ersten Dessi-Generation. Wir freuen uns auf alle Leute, die vorbeikommen und mit ihren Spenden unsere parteiische und unabhängige Arbeit unterstützen. Obwohl vieles mit dem wir zu tun haben schwierig ist, ist es doch etwas Schönes, miteinander das Erreichte zu feiern.
Interview: Benjamin Herr