Der Wiener Praterstern – ist er noch zu retten?

Der provokante Titel dieses Textes ist bewusst so gewählt, kann er doch auf zweierlei Arten interpretiert werden. Einerseits spiegelt er die aufgesetzt besorgte Linie der Mainstream-Medien wider, die den Praterstern „verfallen“ sehen. Andererseits müssen wir uns fragen, ob der Praterstern als öffentlicher Raum noch gerettet werden kann, als Raum, in dem Jede* und Jeder* einen Platz hat und sich nicht vor polizeilicher Gewalt, absoluter Überwachung, oder Vertreibung fürchten muss.

Der Praterstern – eine gefährliche Angelegenheit?

Der Praterstern, oder „Stern“ wie ihn viele, die dort ihre Tage verbringen, nennen, hat es seit einiger Zeit vermehrt in die Schlagzeilen geschafft. Er gilt – neben der U6-Linie –, als „Hot-Spot“ für Gewalt – insbesondere an Frauen* – und Drogenhandel. Ein weiterer Wiener Raum, der nicht „unter Kontrolle“ zu bekommen ist. Doch wer/was soll eigentlich unter Kontrolle gebracht werden? Um wessen Sicherheitsgefühl geht es? Und welche politischen und wirtschaftlichen Interessen stecken hinter der schrillen öffentlichen Debatte und werden von dieser überlagert?

Die Umgestaltung des Pratersterns – und was damit erreicht werden sollte

Der Praterstern ist ein Ort, an dem täglich hunderttausende Menschen vorbeikommen, verweilen und konsumieren. Er ist nicht nur Verkehrsknotenpunkt, sondern auch Tor zum grünen Prater sowie zum Wurstelprater. Gelegen im 2. Bezirk, ist er auch von zahlreichen Stadterneuerungs- und Aufwertungsprojekten der letzten Jahrzehnte erfasst worden. In den späten 1990ern startete die sogenannte „Bahnhofsoffensive“ von ÖBB und Verkehrsministerium. Ein milliardenschweres Projekt, mittels derer eine umfassende Modernisierung von österreichischen Bahnhöfen in Auftrag gegeben wurde. Der Bahnhof am Praterstern wurde im Zuge dessen von 2005-2007 umgebaut und pünktlich zur Europameisterschaft 2008 neu eröffnet. Der Bahnhof erstrahlte in verglastem Glanz und fügte sich optimal in den Trend ein: Bahnhöfe unter dem Deckmantel der „Modernisierung“ in Konsumtempel ohne öffentliche Räume zu verwandeln. Benutzer*innen des Bahnhofs wurden zu Konsument*innen gemacht und diejenigen, die aus der Rolle fielen, sei es durch Alkohol- oder Drogenkonsum oder auch einfach nur durch „Herumlungern“, wurden, noch stärker als zuvor, zu störenden Elementen.

Wessen „Sicherheit“ kommt auf die mediale und politische Agenda?

Medial und politisch wurde der Praterstern insbesondere mit Bezug auf zwei „Probleme“ zu einer „No-Go-Area“ erklärt. Im Mittelpunkt steht einerseits seine Rolle als Aufenthaltsort für Menschen, die zum Beispiel keine Wohnung haben oder kein Geld um Lokale mit Konsumpflicht zu nutzen. Bahnhöfe und ihrer unmittelbaren Umgebung kommt aber eine wichtige Aufgabe zu: Sie bieten Raum, Zuflucht, Treffpunkte – oft eine Art zu Hause. Ein Nutzer des Pratersterns sagt in der Dokumentationsserie „Am Schauplatz“: „Wennst Probleme hast, kommst daher und erzählst sie. (…) Ohne Stern hätte ich nicht überlebt. (…) Er hat mich aufgenommen, der Stern, wir sind eine Familie. Da sauft jeder mit jedem.“ Der Praterstern hat also eine wichtige soziale Funktion für Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind. Dass sich an Orten, an denen auch Alkohol oder Drogen konsumiert werden, das Konfliktpotential verdichtet, möchte ich gar nicht bestreiten. Doch statt dem Praterstern seine Rolle als soziales Zentrum zuzugestehen, werden bestimmte Nutzer*innen zu „Problemmachern“ erklärt, die „ausgelagert“ werden sollen.

Andererseits berichteten Medien in den letzten Wochen über stark zugenommene sexuelle Übergriffe an Frauen* in öffentlichen Räumen – auch am Praterstern. Dabei ist die Vermischung der unterschiedlichen instrumentalisierten Ängste und Bedrohungen aus mehreren Gründen problematisch, da Journalist*innen insbesondere einen Aspekt hervorheben: Die Herkunft oder die Religion der Täter*. Gewalt gegen Frauen* muss immer thematisiert und ernst genommen werden, allerdings nicht nur, wenn damit rassistische Vorurteile bedient werden können. Doch genau das ist passiert! Ausgeblendet bleibt hingegen der Großteil der Gewalt gegen Frauen*: alltägliche sexistische Grenzüberschreitungen, Gewalt an geflüchteten Frauen*, häusliche Gewalt oder auch rassistisch motivierte Übergriffe auf Musliminnen*. Ausgeklammert bleibt auch, dass es insgesamt keinen Anstieg an Sexualstraftaten gab – dies hat die Polizei im Mai diesen Jahres bestätigt. Übergriffe im öffentlichen Raum gegen Frauen* gab es immer schon, allerdings war das Interesse von Seiten der medialen und politischen Öffentlichkeit für eine Thematisierung nicht ausreichend. All dies zusammen zeigt insbesondere eines: wie heuchlerisch der plötzliche Aufschrei um den Praterstern ist.

Diese einseitige Berichterstattung sowie die Koppelung der beiden Probleme führte dazu, den Praterstern als insbesondere für Frauen* unsicheren Ort zu etablieren. Viele fühlen sich tatsächlich unsicherer, und es ist genau dieses „subjektive (Un-)Sicherheitsgefühl“, das schließlich für die Erhöhung von Polizeipräsenz, verstärkter Überwachung und Kontrolle immer wieder beschworen wird. Doch um wessen Sicherheitsgefühl und welche Sicherheit geht es eigentlich? Wir sollten uns die Frage stellen, warum das Gefühl von Unsicherheit momentan so stark an Bedrohungen „von außen“ oder an als „fremd“ bezeichnete Personen gekoppelt ist. Tatsächlich wird unser Leben doch durch so viel mehr immer unsicherer: Arbeitslosigkeit, schlecht bezahlte und unsichere Jobs, grassierenden Rassismus, unleistbare Mieten, das Leben am oder unter dem Existenzminimum oder durch den fehlenden Zugang zu Sozialleistungen oder Mitbestimmung (wie bei Asylwerber*innen).

Die Angst von Frauen* vor männlicher Gewalt und sexuellen Übergriffen ist selbstverständlich berechtigt. Denn Gewalt gegen Frauen* passiert täglich, in allen Kontexten und quer durch die Gesellschaft. Sie passiert zu Hause, am Arbeitsplatz, im Internet, und auch im öffentlichen Raum. Es ist aber nicht nur falsch und gefährlich, anzunehmen, dass unser aller Sicherheit erhöht wird, solange öffentliche Räume nur stark genug überwacht, kontrolliert und von als gefährlich eingestuften Menschen „gesäubert“ werden. Es lenkt in erster Linie auch von den strukturellen Unsicherheiten, die unser Leben bedrohen, ab.

Aufgewertete Räume – abgewertete Menschen

In dieser Debatte um „Sicherheit“ geht ein zentraler Aspekt unter: Prozesse städtischer Aufwertung und die Profitlogik, die auch vor urbanen Räumen nicht Halt macht – nicht mal im „Roten Wien“. Der Neubau des Bahnhofs am Praterstern sowie die Neugestaltung seines Vorplatzes ist Teil eines umfassenden Stadtentwicklungsplans, der unter anderem die Neugestaltung der Messe Wien, den Bau des WU Campus (Wirtschaftsuniversität), die Bebauung der Krieau sowie die beiden Stadtentwicklungsgebiete Nordbahnhof und Nordwestbahnhof beinhaltet. Vor dem Hintergrund, dieses Gebiet in der Leopoldstadt aufzuwerten und massiv darin zu investieren, verwundert es nicht, dass bestimmte Menschen und Gruppen nun als störend dargestellt werden. So wurde ja auch die jahrhundertealte Sexarbeitsszene im 2. Bezirk fast gänzlich illegalisiert.

Praterstern für alle! Wien für alle!

Dem gegenwärtigen Trend, öffentliche Räume immer weiter einzuschränken, zu überwachen und für bestimmte Menschen zu verbieten, muss entschieden entgegengetreten werden. Städte sind Orte des Aufeinandertreffens und der Diversität, sie müssen allen Menschen, nicht nur im Verborgenen, Platz bieten. Frauen* müssen öffentlichen Raum immer benutzen können – ohne Benimmregeln und Vorsichtsmaßnahmen. Ständige Identitätsfeststellungen im öffentlichen Raum von Menschen die als „fremd“ eingestuft werden, seitens der Polizei, müssen wir als diskriminierend benennen und bekämpfen. Der Praterstern ist ein Paradebeispiel für neoliberale Stadtentwicklung und die Vorstellung davon, wie „moderner“ öffentlicher Raum auszusehen hat und wer ihn benutzen darf. Dagegen müssen wir uns wehren und die Stadt zurückerobern, als Ort mit tatsächlich öffentlichen Räumen, ohne Konsumzwang und für alle – das ist unser urbanes Recht.

Anmerkung: Ich verwende in diesem Artikel das * statt dem Binnen-I, um auf die Vielfalt von Geschlechteridentitäten hinzuweisen und diesen Platz zu geben.

Franziska Wallner ist Redakteurin bei Mosaik, hat Politikwissenschaft und Geographie studiert und interessiert sich vor allem für kritische Stadtforschung und feministische Geographie.

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