Weit größer als gedacht war der „Neujahrsempfang“ für die schwarz-blaue Regierung. Bis zu 70.000 protestierten in Wien zwischen Westbahnhof und Heldenplatz. Woran lag es, dass so viele an einem kaltnassen Samstag auf die Straße gingen? Und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für den Widerstand gegen Schwarz-Blau? David Sagner hat sich darüber Gedanken gemacht.
„Diesmal surft die neue ÖVP/FPÖ-Regierung ohne Störwellen in ihre ersten Wochen, freundlich begrüßt in Brüssel und Paris, begleitet von medialem Wohlwollen. Selbst erbitterte Gegner konnten sich allerhöchstens zu Mini-Demonstrationen aufraffen. Mehr Widerstand war nicht.“
So war es noch letzte Woche im Leitartikel vom Profil zu lesen. Jetzt kann man darüber streiten, ob 7.000 Menschen, die sich an einem Montagmorgen zum Protest gegen die Angelobung von Schwarz-Blau versammeln, als „Mini-Demonstration“ gelten können.
Mit der beeindruckenden Demo am letzten Samstag wurde aber eines klar gestellt: Mit Widerstand auf der Straße ist zu rechnen. Egal, ob es 40.000 oder 70.000 TeilnehmerInnen waren – viele, die dort waren, haben etwas zurückbekommen, das lange gefehlt hat: ein Gefühl der Stärke..
Warum kamen so viele?
Die Antwort auf die Frage, warum die Demonstration so überraschend groß wurde, ist sehr wichtig. Denn daraus ergeben sich Schlüsse für das weitere Vorgehen.
1) Sie meinen es ernst
Die Ankündigung, Studiengebühren und den 12-Stunden-Tag einzuführen, vor allem aber die Diskussionen zum Arbeitslosengeld bzw. zur Streichung der Notstandshilfe waren in den letzten zwei Wochen ein bestimmendes Thema. Sie haben auch schon zu kleineren Störwellen in den Reihen der Regierung geführt. Für viele Menschen wurde deutlich, wie ernst es die Regierung mit den Angriffen im Sozialbereich meint.
2) Empörung über „konzentrierte“ Lager
Die Aussage von Innenminister Herbert Kickl, Flüchtlinge sollten in Lagern „konzentriert“ werden, hat veranschaulicht, dass es der FPÖ um mehr geht als die Fortführung der repressiven Asylpolitik der letzten Regierungen. Es sind genau solche Aussagen, die bei vielen Menschen Erinnerungen an den historischen Faschismus hervorrufen. Das war ein bestimmendes Thema auf der Demonstration.
Zahlreiche selbstgemachte Transparente und Schilder gingen darauf ein: „Bitte nicht schon wieder“ (in Frakturschrift), „Wer Kurz und Strache toleriert – hätt’ 38 applaudiert“, „Braun war Österreich schon einmal – Nie Wieder!“, „1938 Gründe gegen Verhetzung“ oder schlicht „Konzentrier dich selbst du Arschloch!“ waren letzten Samstag zu lesen.
3) Das Vakuum einer fehlenden Opposition
Weder SPÖ, noch Grüne oder Liste Pilz schaffen es, eine konsequente Oppositionsrolle gegen Rassismus, Neofaschismus und Sozialabbau einzunehmen. Dadurch wurde es für viele Einzelne zur dringenden Notwendigkeit, sich selbst an der Demonstration zu beteiligen.
Dass die große Teilnahme so überraschend kam, lag daran, dass all die kritischen Stimmen gegen Schwarz-Blau derzeit keinen größeren politischen Ausdruck bekommen. Um diesen Faktor zu verdeutlichen: Der prominenteste Aufruf für die Demonstration kam nicht aus Parteien, Gewerkschaften oder Arbeiterkammer – sondern von der Cousine von Herbert Kickl.
4) Initiativen als politische Multiplikator_innen
„Omas gegen Rechts“, „System Change not Climate Change“, „Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft“, „Plattform 20.000 Frauen“, Aufrufe von Sozialarbeiter_innen und Wohninitiativen, Studierendenorganisationen und „Gewerkschafter_innen gegen Rassismus und Sozialabbau“… die Mobilisierung zur Demo wurde von einer Vielzahl an Initiativen getragen. Das sorgte auch dafür, dass auf der Demonstration die zahlreichen Fronten gegen Schwarz-Blau widergespiegelt wurden.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Erstens: Um der Regierung nachhaltig etwas entgegenzusetzen, müssen wir sowohl bei den Angriffen auf soziale Rechte, als auch bei Konflikten um Rassismus und Neofaschismus präsent sein und eine eigenständige politische Arbeit entwickeln. Wer den Anspruch hat, eine greifbare oppositionelle Kraft gegen Schwarz-Blau aufzubauen, kann sich nicht mit einzelnen Aspekten begnügen.
Zweitens: Das Dilemma Schieder vs. Ludwig in der Wiener SPÖ und die Anbiederung der SPÖ-Spitze an rassistische Agitation machen deutlich, dass die SPÖ weit davon entfernt ist, die Rolle als Oppositionspartei einzunehmen. Wer eine Opposition sucht, hat sie am Samstag gesehen. Es sind die verschiedenen Bündnisse, Initiativen und die vereinzelten Basisstrukturen von SPÖ, Grünen und Gewerkschaften, die diese Rolle einnehmen.
Drittens: Diese sichtbar gewordene Opposition erhält derzeit keinen Ausdruck in Form einer politischen Kraft. Dass es diese braucht, sollte aber weiter wichtiger Bestandteil unserer Überlegungen bleiben. Was aber jetzt möglich und durch Samstag greifbar geworden ist: Wir können dieser Regierung etwas entgegensetzen. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Bündnisse war ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Damit der Widerstand gegen diese Regierung eine nachhaltige Verankerung und Ausstrahlungskraft entwickelt, brauchen wir einen Austausch, der über klassische Bündnisstrukturen hinausgeht.
Widerstandskonferenz als nächster Schritt?
Wir brauchen solidarische Debatten darüber, wo die Schwächen der Regierung und wo unsere Stärken liegen. Wir brauchen strategische Überlegungen und gemeinsamen Output, der dem Widerstand gegen Schwarz-Blau eine längerfristige Perspektive gibt. Im Kleinen, wie auf der Uni oder in einzelnen Bezirken, gibt es Ansätze dafür. Eine Widerstandskonferenz könnte der größere Ausdruck dafür werden.