In seinem Artikel vom 19. Oktober 2015 auf mosaik-Blog lehnt Franz Parteder dezidiert einen linken Populismus als Antwort auf das Erstarken der Rechten ab. Er legt ihn als hochmütig gegenüber Menschen ohne akademischer Bildung aus und würde ihn durch „sinnvolle Arbeit an der Basis“ ersetzen, um gewünschtes Vertrauen und Zustimmung zu erlangen. Eine Antwort von Barbara Stefan.
Meine Replik kritisiert den Artikel auf 3 Ebenen: 1) dem Begriffsverständnis von Populismus; 2) der fehlenden Berücksichtigung einer emotionalen Ebene in der Politik und 3) der unzureichenden Differenzierung zwischen rechtem und linkem Populismus.
In seiner Argumentation assoziiert Parteder den Begriff des Populismus mit plakativer Sprache, vereinfachten und zugespitzten Zusammenhängen, dem Aufbau von Feindbildern sowie einfachen Formeln wie jene, die die FPÖ verwendet. Er identifiziert linken Populismus als einen strategischen Vorschlag „universitärer Links- oder Grün-Gruppierungen“, der die angeblich „dummen“ FPÖ-WählerInnen einfangen soll.
Mit diesem Verständnis ordnet er „Populismus“ der Demagogie unter und stellt sie sozusagen einer vernünftigen Politik gegenüber, die er mit vertrauensschaffender Kleinarbeit gleichsetzt. Dies fußt wiederum auf der Annahme, dass eine Emotionalisierung von Politik grundsätzlich unerwünscht, vermeidbar und verzichtbar wäre, und deckt sich mit dem generell weitverbreiteten Verständnis von Populismus.
Emotionen in der Politik
Trotzdem stellen sich mir nun mehrere Fragen: Ist Populismus tatsächlich Demagogie oder gibt es noch andere Blickwinkel, die versuchen, sich von seiner negativen Konnotation zu lösen? Richtet sich Populismus an „die Dummen“? Ist rechter und linker Populismus wirklich das Gleiche? Und kann erfolgreiche Politik ohne Mobilisierung von Affekten auskommen?
Folgt man dem argentinisch-britischen Philosophen Ernesto Laclau, so ist Populismus ein Mittel, die Einheit einer Gruppe zu schaffen. Dies geschieht einerseits durch Abgrenzung gegenüber etwas anderem und andererseits durch Hinweise auf Parallelen zwischen unterschiedlichen, rechtmäßigen sozialen Ansprüchen, z.B. leistbares Wohnen, medizinische Versorgung, gesichertes Einkommen, Mobilität, Sicherheit etc.. Ein solcher Diskurs stellt sowohl ein „Wir“-Gefühl als auch die Wahrnehmung her, dass die „Anderen“ für die Misere verantwortlich sind. Populismus adressiert nicht die „Dummen“, sondern die populare Klasse allgemein, die unter- und weniger-Privilegierten, deren legitime demokratische Rechte gegenüber einer herrschenden Elite durchgesetzt werden müssen. Er spricht dabei immer eine bereits bestehende Unzufriedenheit, Angst vor Statusverlust oder frustrierte Erfolgserwartungen von Menschen an, die der Lösungsfähigkeit des politischen Systems nicht mehr trauen. Populismus ist sozusagen die Stimme derjenigen, die von der Politik enttäuscht wurden.
Damit steht Populismus in engem Zusammenhang mit der Art und Weise, wie Demokratie konstituiert ist. Er bezieht sich auf das legitime Recht der Regierten, auf das Nicht-Funktionieren der demokratischen Ordnung hinzuweisen. Zudem weist er darauf hin, dass die enttäuschten Regierten der eigentliche und einzig legitime „Populus“ sind, dessen Interessen zu befolgen sind. Er stiftet eine gemeinsame Identität zwischen unterschiedlichen Personen(gruppen) und stellt eine politische Grundsatzfrage: Wer sind „wir“? Und damit auch: Wer sind „wir“ nicht?
Bei Populismus geht es also in erster Linie nicht um Reduktion und Vereinfachung von Inhalten, sondern um die demokratische Klärung der Frage, wer „Wir“ sind. Wer ist das „Volk“, die „Nation“, der „Staat“ etc.? Diese Kategorien des „Gemeinsamen“ sind also nicht von vornherein da, sondern müssen erst artikuliert und hervorgebracht werden, damit sie existieren können. Der Populismus ist daher weder Ideologie noch politischer Stil der Reduktion, sondern eine Form, das Politische und zu konstruieren.
Die Beantwortung der Frage nach dem „Wir“ und wer Teil der Gesellschaft sein soll, wird immer umstritten bleiben. Und sie wird nie ohne Emotion beantwortet werden können, denn Emotion ist der Ausgangspunkt von kollektiven Identifikationsprozessen. Erst das Gefühl, sich mit dem „Wir“ identifizieren zu können, schafft Zugehörigkeit zu dem „Volk“, der „Nation“, dem „Staat“ etc. Das Feld bei der Beantwortung dieser Frage, rechten Kräften zu überlassen ist nicht nur gefährlich, sondern auch verantwortungslos. Während Rechte generell auf Ausgrenzung, Rassismus und Exklusion von sogenannten „Ausländern“ – oder einfach: von konstruierten „Anderen“ als populistisches Mittel setzen, versuchen Linke auf Ursachen und Effekte sozialer Ungleichheit hinzuweisen, die in der kapitalistischen Funktionsweise und ihren spezifischen Ausprägungen zu suchen sind. Menschen aufgrund ihres Geburtsorts, ihrer Religion oder bestimmter optischer Merkmale auszuschließen, zu kriminalisieren, zu verarmen oder im Fall von größter Schutzbedürftigkeit sich selbst zu überlassen, ist nicht mit einer Politik zu vergleichen, die mächtige Institutionen wie Banken und Konzerne als Ausdruck eines Ungleichheit produzierenden Systems zum Gegner politisiert. Linker und rechter Populismus sind nicht gleichzusetzen, da die Frage wer „wir“ sind, und was die Ursachen und Effekte sozialer Missstände sind, grundverschieden beantwortet wird.
Die Frage, ob linke Politik ohne Populismus auskommen soll, ist demnach die falsche Frage. Es ist in jedem Falle zentral, politische Kleinarbeit zu leisten und Menschen bei der Bewältigung ihrer Alltagsprobleme aktiv zu unterstützen. Dies sollte den Kern von Politik im Allgemeinen darstellen. Dennoch ist Populismus geradewegs Voraussetzung und sozio-historische Bedingung erfolgreicher linker Politik, insbesondere im aktuellen österreichischen Kontext, wo ausschließlich rechte und rechtskonservative Kräfte diese emotionale Form der Konstruktion des Politischen bedienen.
Barbara Stefan ist Dissertantin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und forscht zur Rolle von sozialen Bewegungen in Österreich.