Ende April endet das sogenannte Winterpaket. Wie auch in den vergangenen Jahren verlieren damit über den Sommer wieder rund 1.000 obdachlose Menschen ihren Schlafplatz. Die Initiative „Sozial Aber Nicht Blöd“ protestiert heute um 16.00 Uhr vor dem Fonds Soziales Wien gegen die Schließung von Notquartieren – wir haben uns mit zwei Betreuern unterhalten, die in der Wiener Wohnungslosenhilfe arbeiten und in der Initiative aktiv sind. Aus Angst vor Jobverlust wollen die beiden anonym bleiben.
mosaik: In diesen Tagen verlieren wieder viele obdachlose Menschen ihren Schlafplatz und viele von euren Kolleg*innen ihren Job. Warum?
N.: Bei der Entscheidung, die meisten Notquartiere von Mai bis September zu schließen, geht es vor allem um Geld. Was sehr kurzsichtig ist – mit dem Ende des Winterpakets werden Menschen auf die Straße gesetzt, worunter Menschen leiden, gleichzeitig entstehen dadurch auch zusätzliche Kosten – durch mehr Rettungseinsätze, Suchtprobleme und Straßenkriminalität. Diese Probleme werden von der Stadt Wien selbst mit geschaffen.
mosaik: Was bedeutet Winterpaket überhaupt? Könnt ihr uns einen kurzen Überblick geben?
A.: Über die Wintermonate schafft die Stadt Wien im Rahmen des Winterpakets rund 1.000 Plätze für obdachlose Menschen. Es ist ein System, das vor allem Leuten, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, zumindest ein Bett und etwas zu essen gewährleisten soll. Bei unseren Klient*innen handelt es sich oft um Menschen, die prekär arbeiten oder arbeitslos sind, teils auch um Menschen mit Suchtkrankheiten und psychischen Problemen.
Das Winterpaket wird vom Fonds Soziales Wien (FSW) und damit von der Stadt Wien finanziert, die Aufträge an Träger wie den Arbeiter Samariter Bund, die Caritas, das Rote Kreuz und weitere vergibt. Die Träger kümmern sich dann um den Betrieb der Notquartiere, nur wenige Einrichtungen werden vom FSW selbst betrieben. In den letzten Monaten gab es Notquartiere an 13 Standorte. Dazu gab es drei Wärmestuben, also Orte, an denen man nicht schlafen, aber sich aufhalten kann – wie in einem Tageszentrum, nur eben nachts. Ein Großteil der Einrichtungen schließt Ende April, genauer gesagt am 29. April.
mosaik: Ihr organisiert eine Kundgebung gegen das Winterpaket und die Schließungen, was sind eure Forderungen?
N.: Wir wollen, dass die Notquartiere auch im Sommer offen bleiben. Die Versorgung von obdachlosen Menschen muss ausgebaut werden, statt Menschen im Sommer auf die Straße zu setzen. Menschen nur dann ein Dach über dem Kopf zu gewähren, wenn man sonst Kältetote fürchtet, ist zynisch. Auch Hitzewellen und andere Extremwetter, die wegen der Klimakrise immer häufiger werden, sind für Menschen, die sich nicht schützen können, eine große Gefahr. Unsere Klient*innen berichten immer wieder davon, dass auch im Sommer Menschen auf der Straße sterben.
Außerdem wird die Betreuung, die wir machen, mit dem Winterpaket-System zur Saisonarbeit. Viele Kolleg*innen wissen nicht, wie es ab Mai weitergeht. Sich von befristeter Anstellung zu befristeter Anstellung zu hangeln, ist eine Belastung, vor allem dann, wenn Kolleg*innen Kinder oder andere Menschen haben, die von ihrem Einkommen abhängig sind. Wir wollen, dass die Notquartiere ganzjährig geöffnet sind und dass alle Leute, die dort arbeiten, fest angestellt werden. Aber auch das sind nur kleine Schritte in die richtige Richtung: Wir wollen eine bessere Unterbringung der Klient*innen. Wieso sollten Menschen in Wien in Stockbetten und Mehrbettzimmern schlafen, wo Immobilienfirmen gleichzeitig Wohnungen leer stehen lassen? Es gibt genug Platz. Dass es Obdachlosigkeit überhaupt gibt, ist eine politische Entscheidung.
mosaik: Einen Tag nach der Wien-Wahl ist bereits klar, dass das Rathaus weiter fest in der Hand der SPÖ ist. Was erwartet ihr euch in Bezug auf die Wohnungslosenhilfe von Seiten der Stadtregierung?
A.: Nicht so viel. Die SPÖ tut vor der Wahl sozial und nach der Wahl werden im Sozialbereich die Missstände fortgesetzt oder verschlimmern sich sogar. Das heißt aber nicht, dass wir den Kopf in den Sand stecken sollten – im Gegenteil. Dass die etablierten Parteien allesamt für Sozialabbau, prekäre Beschäftigungen und Kürzungen stehen, heißt, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen können und Druck aufbauen müssen. Die Notquartiere des Winterpakets sind dadurch entstanden, dass es Proteste gegen Obdachlosigkeit gab. Und auch jetzt können Verbesserungen nur erkämpft werden. Nur nett darum bitten bringt nichts – auch wenn uns das unsere Einrichtungs- und Fachbereichsleitungen gerne einreden wollen.
mosaik: Wenn in einem Industriebetrieb die Belegschaft für höhere Löhne streikt, dann stehen die Fließbänder still – in eurem Fall ist das mit dem Arbeitskampf aber komplizierter, weil es um Menschen geht. Wie geht ihr damit um?
N.: Es ist tatsächlich komplizierter, aber bei weitem nicht unmöglich. Das haben die Arbeitskämpfe der Berliner Charité 2015 und auch die Streik- und Protestwelle in der SWÖ [Sozialwirtschaft Österreich; Anm. Red.] 2020 gezeigt. Es braucht ein Verständnis darüber, dass ein Kampf um bessere Arbeitsbedingungen nicht nur für uns, sondern auch für unsere Klient*innen was bringt, beispielsweise einen besseren Betreuungsschlüssel und entspanntere Betreur*innen. Klient*innen und deren Angehörige können darüber aufgeklärt werden, dass ein Streik nicht gegen sie gerichtet ist, sondern gegen Arbeit- oder Geldgeber*innen.
Zudem ist es die Verantwortung der Arbeitgeber und nicht unsere, bei einem Streik dafür zu sorgen, dass die Klient*innen ausreichend versorgt sind. Wenn ein Kampf um bessere Arbeitsbedingungen geführt wird, ist es außerdem meistens so, dass auch weitergehende Forderungen dabei sind. Es geht nämlich nicht nur um einzelne Arbeitsplätze oder Schlafplätze: Es geht um eine ausreichende Ausfinanzierung des gesamten Gesundheits- und Sozialbereichs.
Sozial Aber Nicht Blöd ruft heute zur Kundgebung auf: „Gemeinsam für sichere Jobs, mehr Gehalt und mehr Personal. Gemeinsam für einen Ausbau der Wohnungslosen-Quartiere und eine menschenwürdige Versorgung! Kommt zur Kundgebung: 28.04. 16 Uhr vor dem Fonds Soziales Wien – Guglgasse 7-9, 1030 Wien.“
Foto: Initiative Sommerpaket

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