Das hat den Cum-Ex-Steuerbetrug ermöglicht

Seit Tagen ist der Steuerskandal Cum-Ex in allen Medien. Doch hinter der technischen Komplexität des Betrugs verschwinden schnell die politischen Hintergründe. Julia Litofcenko liefert eine kurze Analyse der strukturellen Bedingungen, die solche Geschäfte erst möglich machen.

Cum-Ex-Geschäfte – ein technischer Begriff für eine neue Dimension des Steuerbetrugs, bei dem private Investoren und Unternehmen nicht nur Steuern vermeiden, sondern sogar Geld vom Staat kassieren. Ganz so neu ist das allerdings nicht – der deutsche Fiskus wurde schon im Jahr 2001 über derartige Praktiken informiert. Ermittelt wurde allerdings erst ab 2012.

Konstruktionsfrage

Aber beginnen wir mit der Frage, wie diese Geschäfte überhaupt geschehen. Die Konstruktion eines solchen Cum-Ex-Geschäfts funktioniert folgendermaßen: Banken und Finanzdienstleister verschieben mittels „Leerverkäufen“ – dabei verkaufen sie, was sie gar nicht besitzen – Aktien rund um den Auszahlungstag der Dividende hin- und her. Dies geschieht in der Regel im Auftrag privater Investoren und Unternehmen. Dadurch kann nicht nur die Abführung der Kapitalertragssteuer (KESt) umgangen werden, sondern es ist möglich, sich die niemals gezahlte Steuer, vom Staat rückerstatten zu lassen. In Deutschland erzielten reiche Anleger damit eine sichere jährliche Rendite von 60 Prozent, in Österreich wären aufgrund der höheren KESt sogar noch höhere Renditen denkbar.

Der öffentliche Schaden in Deutschland dürfte bei rund 30 Milliarden Euro liegen – das entspricht etwa einem Prozent der jährlichen deutschen Staatsausgaben. Der österreichische Staat behauptet bisher, solche Praktiken de facto verhindert zu haben. Ein Insider gibt allerdings an, der österreichische Staat wäre aus Sicht der Finanz-Alchemist/innen, lächerlich einfach zu plündern gewesen. Der Schaden könnte sich auf bis zu 100 Millionen Euro belaufen. Auch der Rechnungshof kritisierte im vergangenen Sommer das Finanzministerium dafür, zu wenig Personal für die Aufarbeitung von Cum-Ex-Geschäften bereitzustellen.

Wenn Banken ihre eigenen Gesetze schreiben

Cum-Ex-Geschäfte sind seit der Jahrtausendwende in vielen europäischen Staaten gängige Praxis. Banken machten den deutschen Staat bereits 2001 darauf aufmerksam, dass die Gesetzgebung derartige Geschäfte ermöglichte. Eine Gesetzesnovelle 2006 sollte diese Lücke schließen. Sie wurde allerdings von der Interessensvertretung der Banken selbst verfasst, und „ohne Änderung auch nur eines Kommas“ direkt vom Staat übernommen. Durch die Novelle wurden Cum-Ex-Geschäfte weiter erleichtert und näher an die Legalität gerückt. Erst seit ein internationales Medienkollektiv die Praktiken ins Licht der Öffentlichkeit rückt, haben auch die Staaten reagiert und Ermittlungen eingeleitet.

Die Geschäfte fallen nicht einfach vom Himmel. Sie haben strukturelle Gründe und politische Entscheidungen ermöglichen sie. Dazu gehören das ungebremste Wachstum und die steigende Komplexität der Finanzmärkte, die staatlichen Kürzungen in der Steuer- und Finanzverwaltung und die Macht, die große Unternehmen und der Finanzsektor auf die höchsten Sphären der Politik ausüben.

Wieso Finanzmärkte eine Rolle spielen

In Folge der Deregulierung der Finanzmärkte in den letzten Jahrzehnten hat sich das dort gehandelte Volumen vervielfacht. Es entstanden immer undurchsichtigere Finanzprodukte, wie eben die Cum-Ex-Geschäfte. Solche betrügerischen Praktiken sind nur möglich, weil es hochspezialisierten Finanzakteur/innen erlaubt ist, immer neue, hochkomplexe Finanzprodukte zu kreieren. Sie setzen dafür unglaubliche Mittel ein, viel höher als die Aufwendungen der Nationalstaaten für die Kontrolle und Regulation derselben Instrumente. Dazu kommen die Aufwendungen der Finanzakteur/innen für politisches Lobbying, sowie die engen personellen Verflechtungen zwischen Finanzindustrie und Politik. Das eingangs erwähnte Beispiel, in dem die deutschen Banken selbst ein sie regulierendes Gesetz verfasst haben, stellt keinen Einzelfall dar. Den öffentlichen Regulierungsbehörden wird schon lange zu wenig Expertise und Ressourcen zur Verfügung gestellt. Eine reale Kontrolle und Aufsicht über die Finanzmärkte ist dadurch nicht mehr gewährleistet.

Es ist offensichtlich, dass diese Konstellation nicht dem Wohl der Allgemeinheit dient. Denn die Finanzindustrie ist daran interessiert, Profite zu erwirtschaften, nicht der Gesellschaft zu dienen. Hier regulierend einzugreifen, wäre die Rolle des Staates. Die Krise 2008 hat gezeigt hat, wie weit das Finanzsystem davon entfernt ist, sich selbst zu regulieren. Es kann jederzeit implodieren, eine neue Wirtschaftskrise folgen. Dann müssen die Staaten wieder zahlen, um das Finanzsystem zu stabilisieren, das währenddessen fröhlich Profite für einige Wenige erwirtschaftet. Die Finanzmärkte wachsen weiter, spielen eine immer größere Rolle in der Wirtschaft, werden dabei zusehends weniger transparent und reguliert – eine toxische Kombination.

Kürzungen bei Steuer- und Finanzverwaltung

Hinzu kommt, dass in Österreich wie in vielen anderen Ländern Steuer- und Finanzbehörden sukzessive die Möglichkeit verlieren, effektiv gegen Steuerhinterziehung vorzugehen. Unter dem ideologischen Vorwand des „schlanken Staates“ wurden die Behörden personell ausgedünnt. In der Steuer- und Finanzverwaltung waren die Kürzungen in der Zeit Karl-Heinz Grassers als Finanzminister besonders drastisch, die folgenden Regierungen setzten seinen Kurs jedoch fort.

Seither herrscht in der öffentlichen Finanzverwaltung ein genereller Aufnahmestopp und viele Positionen werden nicht nachbesetzt. Obwohl in den nächsten zehn Jahren die Pensionierung von mehr als 40 Prozent der Beschäftigten in der Steuer- und Zollverwaltung bevorsteht, werden nur zögerlich neue MitarbeiterInnen aufgenommen. Insgesamt plant das Ministerium laut eigenen Aussagen die Nachbesetzung lediglich jeder dritten Stelle. Der zu erwartende Verlust an Expertise dürfte nicht wieder gut zu machen sein.

Große Unternehmen und reiche Anleger profitieren

Staat und Finanzministerium agieren hier eindeutig gegen die Interessen der breiten Bevölkerung. Denn ein Rechnungshofbericht aus dem Jahr 2014 zeigt, dass jede/r Angestellte in Finanzämtern dem Staat mehr als doppelt so viel Einnahmen an Steuern bringt, wie er/sie kostet. Im Bereich der Großbetriebsprüfung beträgt das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer Prüferin/eines Prüfers sogar 1 zu 30.

Nun bindet eine neue Gesetzesänderung den Steuerbehörden noch zusätzlich die Hände. So werden große Unternehmen, die bisher in Steuerbelangen unauffällig waren, nicht mehr regelmäßig überprüft. Kleinen und mittleren Unternehmen schenkt das Finanzamt nicht so viel Vertrauen. Sie sollen weiterhin in regelmäßigem Rhythmus einer Steuerprüfung unterzogen werden.

Insgesamt führen die Kürzungen zur deutlichen Verringerung des Staatsbudgets, die Profiteure sind vor allem große Unternehmen und multinationale Konzerne. Also jene, die mithilfe von SteuerberaterInnen und anderen Finanzdienstleistern in der Lage sind, ihre Gewinne geschickt steuerschonend zu veranlagen. Die Cum-Ex-Enthüllungen machen die Dramatik der Situation deutlich: Nicht nur vermeiden Reiche und Konzerne das Zahlen von Steuern. Smarte Finanzdienstleister und ihre Anleger/innen bereichern sich nun auch direkt am Steuergeld.

Die Politik ist verantwortlich für Cum-Ex – und noch viel mehr

Politische Entscheidungen haben Gesetzeslücken geschaffen, die Geschäfte wie Cum-Ex zulassen. Politische Entscheidungen dünnen die Steuerbehörden aus und erschweren das Vorgehen gegen jene illegalen Praktiken. Es waren gezielte politische Entscheidungen, die deregulierte Finanzmärkte von so hoher Komplexität geschaffen haben, dass öffentliche Kontrolle nicht mehr möglich ist.

Die Profiteure all dessen schreiben sich ihr eigenes Regelwerk. Es ist anzunehmen, dass es sich bei Cum-Ex lediglich um die Spitze des Eisberges handelt. Die einzige Antwort darauf sind radikale Maßnahmen der Regulierung und Steuergerechtigkeit.

 Julia Litofcenko ist Volkswirtin und bei Attac zum Thema Finanzmärkte aktiv.

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