Die Straßen zu, die Gärten auf! Für eine Umverteilung des städtischen Raums

In Zeiten von Corona feiert das Auto ein Comeback als Inbegriff der Sicherheit. Doch weil Autos einen Großteil des städtischen Raums besetzen, können Menschen auf engen Gehsteigen nicht den geforderten Abstand halten. Es ist Zeit gegenzusteuern, schreibt Matthias Krams, und gewisse Straßen für Autos zu sperren.

Das Privatauto erlebt in Zeiten der Corona-Krise ein Comeback in Wien. Entgegen der langfristigen Stadtentwicklungsstrategie zur Reduzierung des Autoverkehrs hob die Stadt vor zwei Wochen Kurzparkzonen auf und regte zum Umstieg von Öffis auf das Auto an. Das Privatauto wird damit zum Inbegriff von Sicherheit stilisiert. Abgeriegelt von der Außenwelt sollen wir durch die Corona-verseuchte Stadt gleiten und virenfrei unser Ziel erreichen.

Blöd nur, wenn man kein Auto besitzt. Und das sind in Wien bei 374 Autos auf 1.000 EinwohnerInnen rund 42 Prozent aller Haushalte. Damit stellt sich eine alte Frage mit neuer Dringlichkeit: Wer hat überhaupt das Privileg, automobile – und nun auch coronafreie – Mobilität in Anspruch zu nehmen? Und wer bekommt die negativen Folgen verstärkter Auto-Nutzung wie Lärm und Luftverschmutzung zu spüren?

Autos: 67 Prozent der Fläche für 25 Prozent der Wege

Das sind Fragen, die schon länger unter dem Schlagwort “Mobilitätsgerechtigkeit” diskutiert werden. Das von Mimi Sheller geprägte Konzept verweist auf die Rolle von Macht und Ungleichheit für die Regulierung von Bewegung, sei es von Menschen, Ressourcen oder Informationen. Mobilitätsgerechtigkeit ist also ein Konzept, das uns bei der Frage von nachhaltiger Mobilität und sozial-ökologischer Verkehrswende in den Städten ebenso weiterhilft wie in Bezug auf Ungleichheiten in der transnationalen Migration.

Aber auch wenn wir uns auf die Raumnutzung im Stadtgebiet Wien beschränken, werden die Ungleichheiten schnell deutlich. Autos nehmen hier 67 Prozent der Verkehrsflächen in Anspruch. Doch nur rund 25 Prozent der Wege werden mit dem Auto zurückgelegt. In ihnen sitzen dabei durchschnittlich 1,15 Personen. Das Auto ist damit, gemessen an Ressourcen- und Platzverbrauch, das ineffizienteste aller Transportmittel. Seine Dominanz im Stadtverkehr führt zu verhältnismäßig geringen Freiflächen für nicht-motorisierte Mobilität. Das wird zu Zeiten von Corona besonders spürbar.

Ein-Meter-Abstand kaum einzuhalten

Wenn ich meine Wohnung verlasse, um etwas frische Luft zu schnappen, Sonnenlicht zu erhaschen und dabei außerdem den Autolärm meiden möchte, ist meine Auswahl an zu Fuß erreichbaren Orten sehr beschränkt. Zwangsläufig tauche ich in ein Gewusel aus JoggerInnen, RadfahrerInnen und SpaziergängerInnen ein. Auch wenn sich alle größte Mühe geben, den Ein-Meter-Abstand einzuhalten – die Vorgabe ist bei so wenig Platz für ‚sanfte Mobilität‘ kaum durchgängig realisierbar.

Für die Gesamtgesellschaft – jenseits der privilegierten AutofahrerInnen – führt die Dominanz des Autos in der Stadt damit nicht zum Schutz vor dem Virus. Vielmehr erhöht sie die Ansteckungsgefahr im öffentlichen Raum weiter.

SPÖ spielt Bundesgärten gegen Straßen aus

Um den Ein-Meter-Abstand beim Spazieren einhaltbar zu machen, fordert die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein, ausgewählte Straßen für Autos zu sperren und für FußgängerInnen freizugeben. Diese Initiative ist nur folgerichtig und zeigt, wie in Zeiten der Corona-Krise Mobilitätsgerechtigkeit hergestellt werden kann. Das „Njet“ der ‚Auto-Partei‘ SPÖ ließ erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten.

Wie zuletzt in den Debatten um eine Temporeduktion auf der Praterstraße, um die Ausweitung von Begegnungszonen oder um die Lobau-Autobahn verteidigt die SPÖ vehement die Privilegien der Autos. Anstatt den Vorschlag der Grünen zur Umwidmung von Straßenflächen ernsthaft zu diskutieren, verweist die Stadt-SPÖ darauf, dass die Öffnung der Bundesgärten viel dringlicher sei. Damit spielt die SPÖ den Zugang zu öffentlichen Grünflächen gegen Corona-freie FußgängerInnen-Mobilität aus – als ob es um eine Entscheidung zwischen der einen oder der anderen Maßnahme ginge.

Wir brauchen beides

Für eine sichere Mobilität und ein gutes Leben für alle auch in Zeiten von Corona braucht es beides: Zugang zu Grünflächen und die gerechte Verteilung des öffentlichen Straßenraums. Nur so sind die alltägliche Mobilität und der erholsame Aufenthalt im Freien mit möglichst geringer Ansteckungsgefahr möglich. Dafür müssen wir die Privilegien des Autos zurückfahren, statt sie auszubauen. Der Einfluss der Autolobby macht das zur großen Herausforderung.

Doch um Mobilitätsgerechtigkeit herzustellen, bleibt uns keine andere Wahl: Öffentlicher Raum muss zugunsten von FußgängerInnen und RadfahrerInnen umverteilt werden. Das würde ihrer tatsächliche Bedeutung für die alltägliche Mobilität – gerade in Zeiten von Corona – gerecht werden.

Mathias Krams forscht am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien zu politischer Ökologie und Verkehrspolitik.

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