COP26: Was bei den Protesten während der Weltklimakonferenz passiert

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Im schottischen Glasgow findet zurzeit die 26. Weltklimakonferenz statt. Durch vielfältige Aktionen leistet die globale Zivilgesellschaft Widerstand, um Druck auf die politischen Entscheidungsträger*innen auszuüben. Über die Ereignisse vor Ort berichtet Judith Neumann.

Massendemos, Protest und Austausch in Glasgow. Am 31. Oktober startete mit einem Jahr Verspätung der 26. Weltklimagipfel – auch genannt COP26 (Conference of the parties, dt.: Vertragsstaatenkonferenz) – bei dem die Vereinten Nationen zwei Wochen lang über die zukünftigen Klimaschutzmaßnahmen verhandeln. Zeitgleich begannen Proteste und Aktionen zahlreicher sozialen Bewegungen im Rahmen des globalen Bündnisses COP26 Coalition. Das Bündnis organisierte eine eigene Konferenz, schaffte Austauschräume für Aktivist*innen und rief zu gemeinsamen Demonstrationen auf. Das Ziel: Globale Ungleichheiten in den Kampf gegen die Klimakrise miteinbeziehen.

Klimakrise als massive Gerechtigkeitskrise

Bei den Protesten und Aktionen steht eines im Vordergrund: Keine andere Klimakonferenz war jemals so ausgrenzend wie die diesjährige. Menschen aus dem globalen Süden haben aufgrund der ungerechten, globalen Covid19-Impfstoffverteilung erschwerte Teilnahmebedingungen. Das bedeutet, diejenigen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind und am wenigsten dazu beigetragen haben, haben die geringste Möglichkeit mitzubestimmen. Indigene Gemeinschaften, die fünf Prozent der Menschheit ausmachen und 80 Prozent der weltweiten Artenvielfalt schützen, sind in den Klimaverhandlungen unterrepräsentiert. Obwohl sie eine der führenden Stimmen sein sollten.

Ironischerweise ist stattdessen die Lobby für fossile Energieträger (Gas, Öl und Kohle) auf dem Klimagipfel mit der größten Delegation vertreten. Dabei sind die Auswirkungen der globalen Erderwärmung im Jahr 2021 spürbarer als je zuvor: Überschwemmungen, Waldbrände, Dürreperioden. Obwohl die Klimakonferenzen seit den 1990er Jahren stattfinden, sind die Treibhausgasemissionen in den letzten Jahrzehnten konstant gestiegen. Und obwohl vor sechs Jahren das berühmte Pariser Klimaabkommen mit Fokus auf das Einhalten der 1,5 Grad beschlossen wurde, fand kein systematischer Wandel statt. Das liegt auch daran, dass keine rechtlichen Bindungen und keine Sanktionen bei Nichteinhaltung bestehen. Mit diesen lockeren Umsetzungen der Maßnahmen steuert die Welt eher auf eine 2,7 Grad Erderwärmung zu. Jedes Zehntelgrad zählt.

COP26 Coalition gegen Ungerechtigkeiten

Die politischen Entscheidungsträger*innen sehen keine Notwendigkeit für systemische Veränderungen. Sie treiben Lösungen voran, die rein auf technologische Innovation und Machterhalt der Industrienationen setzen. Deswegen machen sich die zahlreichen Bewegungen in Abgrenzung zur profitorientierte, neoliberalen Klimapolitik der UN gemeinsam für einen tiefgreifenden Wandel stark. Unter dem Slogan „Die Ära der Ungerechtigkeiten ist vorbei“ ruft das Bündnis COP26 Coalition zu Protesten und Aktionen auf. So nutzen die Aktivist*innen die Zeit in Glasgow, um sich zu vernetzen und die globale Klimagerechtigkeitsbewegung zu stärken. Indem sich die Bewegungen gemeinsam für das Einhalten der 1,5 Grad-Grenze, sowie für ein sofortiges Ende von fossilen Energieträgern und das Ende von Scheinlösungen im Sinne von Green Washing stark machen, werden die Grundvoraussetzungen für eine gerechte Welt geschaffen, in der die Bedürfnisse aller Menschen für ein gutes Leben erfüllt werden sollen.

Globaler Aktionstag

Im Rahmen des Global Day of Action am sechsten November hat die COP26 Coalition sowohl in Glasgow als auch durch dezentrale Massenmobilisierungen zahlreiche Menschen auf die Straßen gebracht und mediale Aufmerksamkeit generiert. Allein in Glasgow waren 250.000 Menschen auf den Straßen. Der Demonstrationszug war in verschiedene Blöcke unterteilt – vom indigenen Block, über den Block der jungen Generation bis hin zum gewerkschaftlichen Block, waren verschiedene Bewegungen vertreten, die gemeinsam für Klimagerechtigkeit einstehen. Bei den Kundgebungen forderten Betroffene, die Ausbeutung der Natur und der Menschen sofort zu beenden und indigene Rechte sowie eine Dekolonisierung der Klimapolitik in den Mittelpunkt der Diskussionen zu stellen.

Gegenentwurf zum COP26

Während des sogenannten People’s Summit von siebten bis zehnten November tauschten sich Aktivist*innen vor Ort über Alternativen und Strategien aus, um einen Gegenentwurf zur UN-Klimakonferenz zu setzen. Es gab Inputs, Paneldiskussionen, Workshops und Skillshares zu alternativen Wirtschaftsformen, zum gemeinsamen Entwickeln von Utopien oder zur Umsetzung einer gerechten Energiewende oder Mobilitätswende. Die Veranstaltungen trugen zu einer Verknüpfung und Stärkung der Klimagerechtigkeitsbewegung bei, indem Aktivist*innen miteinander ins Gespräch kommen konnten. Auch bei den sogenannten Movement Assemblies versammelten sich die verschiedenen Bewegungen, um gemeinsam globale Strategien zu diskutieren. Diese verlagerten den Fokus auf ökonomische Gerechtigkeit oder Arbeiter*innenrechte, Feminismus, Dekolonisierung, indigene Rechte oder auf die Rechte für Menschen mit Behinderung – Aspekte, die schon längst auf der COP26 mitverhandelt werden sollten.

Gegen jede Krise

Das Klimagerechtigkeitsbündnis macht klar: Es geht nicht um „grüne“ Forderungen allein, sondern in erster Linie darum, globale Ungleichheiten und Anti-Diskriminierung in den Kampf gegen die Klimakrise miteinzubeziehen, um in einer sozialeren Welt leben zu können. Die diesjährige UN-Klimakonferenz bringt nicht die notwendige, gesellschaftspolitische Veränderung und keine Abkehr der gegenwärtigen Wirtschaftsweise. Was auf den Konferenzen verhandelt wird, geht an den Lebensrealitäten der Betroffenen vorbei. Es fehlen nicht Fakten und Lösungsansätze, es fehlt der politische Umsetzungswille. Um die Zeit der Krisen zu überwinden, müssen die am stärksten Betroffenen in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindung gestellt werden. Es gibt bereits Lösungsansätze, die auf Umverteilung, Gerechtigkeit und vor allem Dezentralisierung von Macht basieren. Zurzeit erleben wir eine Welle des Widerstands, über die COP26 hinaus. Sie zeigt, dass es bereits starke, globale Bündnisse in der Klimagerechtigkeitsbewegung gibt, die für globale Gerechtigkeit und Solidarität einstehen und einen Systemwandel vorantreiben.

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