Christchurch: Mordideologie aus dem Ramschladen

Der Massenmord von Christchurch war keine Wahnsinnstat, sondern ein politischer Akt, schreibt Benjamin Opratko. Die Ideen, die den Terroristen antrieben, sind im politischen Mainstream fest verankert – auch und gerade in Österreich.

Es gibt einen Satz im Manifest des Massenmörders von Christchurch, der es wert ist, gelesen zu werden. Es ist ein Satz, der eine öffentliche Debatte überall in jenem „Westen“ anstoßen müsste, den der Täter zu schützen vorgibt. Auf die selbst gestellte Frage, weshalb er gerade MuslimInnen als Opfer ausgewählt hat, antwortet er: „Sie sind die am meisten gehasste Gruppe von Invasoren im Westen, sie anzugreifen erhält die größte Unterstützung.“

Was ist an diesem Satz so bemerkenswert? Er bringt auf den Punkt, was die Soziologie „Opportunitätsstrukturen“ nennt. Dieser Begriff beschreibt die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen eine soziale Handlung wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher wird. Es sind nicht die Bedingungen, die handeln, und der Verweis auf sie kann keine handelnde Person von der Verantwortung für ihr Handeln entbinden. Aber keine angemessene Erklärung einer Tat kann ohne Verweis darauf auskommen, was die Tat in dieser Form ermöglicht hat.

Eine Kultur des Misstrauens

Keine Erklärung des Massakers von Christchurch, Neuseeland, kann ohne Verweis auf eine global verbreitete, tief verankerte Kultur des alltäglichen Rassismus gegenüber Musliminnen und Muslimen auskommen. Es ist eine Kultur des Misstrauens und des Verdachts. Eine Kultur, die den Massenmord zur Randnotiz macht statt zur Schlagzeile. Die es ermöglicht, den Opfern selbst noch die Verantwortung für ihre Ermordung zuzuschieben. In der selbst Linke es für angebracht halten, nach dem Mord an 51 Betenden darauf hinzuweisen, dass sie Religion ja trotzdem ablehnen.

Überraschend bekannt

Alles andere als diesen einen Satz konnten wir in den letzten Jahren tausendfach lesen. In Bestseller-Büchern, in der Kronenzeitung, im Standard-Forum, auf Hauswänden. Wie die Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl schon bemerkte: Überraschend an dem Geschreibsel ist sonst höchstens, wie wenig überraschend es sich liest. „Nichts davon ist nicht in der Essenz schon einmal in den Kommentarspalten konservativer Zeitungen erschienen.“ (Sie hat sich trotzdem die Mühe gemacht, die ideengeschichtlichen Verweise und frauenfeindliche Grundierung des Manifests herauszuarbeiten.)

Das Grundmotiv des Mörders steht am Beginn des Manifests. Es geht ihm um Geburtenraten. Weiße, europäische Frauen bekämen zu wenige Kinder. Nicht-weiße und vor allem muslimische Frauen bekämen zu viele. Die weiße Rasse drohe zur Minderheit, die europäische Kultur verdrängt, die abendländische Zivilisation durch den „großen Austausch“ vernichtet zu werden. Das gelte es zu verhindern.

Kloakendiskurse aus dem Internet-Ramschladen

Manches an den Inhalten des Manifests mag für KommentatorInnen, die sich sonst nicht für Rechtsextremismus interessieren, bemerkenswert erscheinen. Etwa, dass der Mörder seine Vernichtungsorgie auch im Namen der Ökologie auslebte oder die gewerkschaftliche Organisierung weißer, europäischer Arbeiter fordert.

Das macht den rassistischen Mörder freilich weder zu einem „Linken“, noch seine Ideologie zu einem komplexen Phänomen. Sie besteht aus Versatzstücken rechtsextremer Kloakendiskurse, zusammengeklaubt aus den politischen Ramschläden des Internets und zusammengehalten vom banalsten aller rassistischen Klischees: Dass die Reinheit der weißen Rasse vor der Durchmischung mit den braunen Horden geschützt werden müsse.

2019 kleidet sich diese uralte Geschichte, auch das ist wenig überraschend, in die Formen der Netzkultur. Die Mordideologie kommt dabei als Troll-Posting daher, die Mordrechtfertigung als FAQ, die Mordtat als Facebook-Livestream.

Der „Große Austausch“

Das Massaker in der Moschee von Christchurch war keine Wahnsinnstat und kein Amoklauf, sondern ein politischer Akt. Das Anliegen, für das der Terrorist kalkuliert und gezielt 51 Menschen ermordet hat, ist heute in weiten Teilen der Welt anerkannter Bestandteil politischer Debatten.

Die rassistische Verschwörungstheorie, wonach MuslimInnen das Abendland unterwandern und finstere Mächte einen „großen Austausch“ der weißen Bevölkerung planen, mobilisierte schon vor bald fünf Jahren Zehntausende auf die Pegida-Demos. Sie ist eine Kernidee der AfD ebenso wie der FPÖ oder des neofaschistischen Netzwerks „Identitäre Bewegung“. Von letzteren entlehnte der Mörder auch den Titel seines Manifests: Der „Große Austausch“, das Kernkonzept der Identitären, heißt in der Übersetzung des Australiers „The great replacement“.

Kein FPÖler distanziert sich

Auch FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus meint, „stichhaltige Gerüchte“ zu kennen, dass George Soros daran beteiligt sei, „gezielt Migrantenströme nach Europa zu unterstützen“. Früher, als Obmann des Ring Freiheitlicher Jugendlicher, nannte er das noch „systematische Umvolkung“ und ließ seinen Verein fordern, Europa müsse „weiß“ bleiben.

Der Christchurch-Mörder selbst weiß, dass er seine Ansichten mit gar nicht wenigen PolitikerInnen teilt. Er ist sich mit ihnen bloß über die Wahl der Mittel uneins. Dass kein Strache, kein Gudenus, kein Hofer auf die Idee kommt, sich von dem Terror zu distanzieren, der im Namen ihrer Ideologie verübt wurde, versteht sich von selbst.

Ungleich noch im Tod

„Nicht alle Menschen sind gleich, noch im Tod gelten manche mehr als andere. Auch in Österreich haben wir diese Ideologie der Ungleichheit verinnerlicht. Auch in Österreich können und müssen wir dagegen angehen.“ Das haben Ines Mahmoud und ich 2015, anlässlich des Massakers an einer muslimischen Familie in der US-amerikanischen Universitätsstadt Chapel Hill, geschrieben.

Vier Jahre später hat der antimuslimische Rassismus seinen bislang tödlichsten Ausbruch gefunden. Der Mörder von Christchurch hat seine Opfer ausgewählt; zu Zielen haben sie andere gemacht.

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