Indigene Bevölkerung flüchtet vor Gewalt in Chiapas

Am ersten Oktober wird in Pantelhó in Chiapas, Mexiko, eine neue Bezirksregierung angelobt. Seit Tagen flüchten Menschen aus Angst vor Gewaltausbrüchen in die umliegenden Gemeinden. Don Manuel Pérez Gómez, Mitarbeiter der NGO SERAPAZ, berichtet über die Situation vor Ort.

Seit 1994 ist Chiapas durch den Aufstand der Zapatistas international bekannt. Während eine Delegation der Zapatistas Europa bereist, ist die Gemeinde Pantelhó in Chiapas ein Spiegelbild der systemischen Gewalt, die der indigenen Bevölkerung in Mexiko wiederfährt. Seit Tagen fliehen Menschen aus der Gemeinde. Aus Angst vor Gewalt, die den Machtwechsel der Bezirksregierung am ersten Oktober begleiten könnte.

Abgesehen von der jahrhundertealten Krise und der strukturellen Gewalt in Chiapas hat sich die Lage bei den Kommunalwahlen am sechsten Juni diesen Jahres weiter verschärft. Was ist passiert?

Manuel Pérez Gómez: Vor dem 6. Juni gab es Unstimmigkeiten aufgrund zahlreicher Verstöße des Gouverneurs und der amtierenden GemeindevorsteherInnen. Ab Mai gab es Proteste, bei denen Menschen aus den Gemeinden und den Bezirkshauptstädten anprangerten, dass die damaligen Amtsinhaber versuchten, die Auswahl der Kandidaten für die Gemeindevorstände zu manipulieren. Dagegen gab es Demonstrationen.

Soweit wir wissen, kam es im Zusammenhang mit den Wahlen am 6. Juni auch zu Gewalt.

Ja, es gab Gewalt, zum Beispiel in der ländlichen Schule von Mactumactza in Tuxtla Gutierrez. In verschiedenen Teilen des Bundesstaates verbrannten die Machthabenden außerdem Wahlurnen, ließen Wahlzettel stehlen, füllten Wahlzettel für andere aus, manipulierten die Leute und setzten viel Geld ein, um die Stimmen der Bevölkerung zu kaufen.

Worin besteht der Konflikt in Pantelhó?

Der Konflikt in Pantelhó ist darauf zurückzuführen, dass die Regierung der Gemeinde Pantelhó eng mit dem organisierten Verbrechen verbandelt ist. Die Menschen in den Gemeinden haben nicht mehr als 20 Jahre demonstriert und gekämpft, um jetzt unter solchen Zuständen zu leben.

Sie sprachen sich gegen Raquel Trujillo als neuen Bezirkspräsidenten aus, er gehört zum organisierten Verbrechen in Pantelhó. Und sie forderten, ihre AmtsträgerInnen mittels ihrer eigenen Sitten und Gebräuche ernennen zu können. Und zwar Autoritäten für alle der zum Bezirk gehörenden 86 Gemeinden: die Kommissariate, die öffentlich Bediensteten, einige kirchliche Behörden, einige der derzeitigen Bezirksräte. Damit sich die Lage beruhigt und es keine Gewalt mehr in dieser Region gibt.

Heute findet in der Gemeinde Pantelhó der Wechsel der AmtsinhaberInnen statt. Worum sorgen sich die Menschen?

Raquel Trujillo will trotz der Demonstrationen das Amt als Bezirkspräsident antreten. Deswegen haben die Menschen Angst vor seiner Rache. Schon vorgestern sind EinwohnerInnen aus Pantelhó in andere Dörfer und Städte geflüchtet. Sie fürchten, dass es erneut Blutvergießen geben könnte. Das besorgt uns, denn die neue Bezirksregierung wird die Situation keineswegs beruhigen, sondern eher verschlimmern.

Was verlangen die BürgerInnen von einer künftigen Bezirksverwaltung?

Sie verlangen, dass man ihnen zuhört, dass man sich um sie kümmert, dass geplante Projekte ausgeführt werden. Dem Bezirk steht eine Menge Geld zur Verfügung. Aber es wird nicht im Sinne der Gemeinden verwaltet. Vielmehr werden die Ressourcen für persönliche Zwecke oder für bestimmte Gruppen abgezweigt.

Was wird in Chiapas und insbesondere in Ihrer Region momentan am dringendsten gebraucht?

Generell fordern wir im Hochland von Chiapas die physische Unversehrtheit der indigenen Völker, der Tsotsil und Tseltal, zu gewährleisten.

Alejandro Gertz Manero, Generalstaatsanwalt der Republik, und Raciel López Salazar, Generalstaatsanwalt des Bundesstaates Chiapas, müssen eine unabhängige, sofortige, umfassende und unparteiische Untersuchung des Mordes an Simón Pedro Pérez López durchführen, um die Täter zu identifizieren, sie vor ein zuständiges Gericht zu stellen und die entsprechenden strafrechtlichen Sanktionen anzuwenden (Anm.: Der Menschenrechtsaktivist wurde im Juli auf offener Straße ermordet). Außerdem müssen die Verbindungen zwischen den Amtsträgern und dem organisierten Verbrechen im Bezirk Pantelhó untersucht werden.

Wir fordern die sofortige Beendigung aller Arten von Schikanen gegen VerteidigerInnen von Mutter Erde und Territorium sowie generell gegen alle MenschenrechtsverteidigerInnen in Mexiko. Die Übergriffe werden immer häufiger. Wir fordern dringend, auf nationaler und internationaler Ebene gehört zu werden.

Denn wir wollen kein neues Acteal wie im Jahr 1997. Damals haben sie 45 unschuldige Brüder und Schwestern massakriert. Wir wollen das nicht mehr, Ya Basta! – genug ist genug!

Das gesamte Interview kann im Original auf Medya TV nachgeschaut werden.

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