Wie ein Öl-Konzern den Regenwald vergiftete und sich vor Entschädigungen drückt

Der US-amerikanische Öl-Konzern Chevron/Texaco leitete jahrzehntelang giftige Abfallstoffe in die Regenwälder Ecuadors. Die Betroffenen wehren sich vor Gericht, doch der Konzern setzt Justiz und Regierung unter Druck. Tobias Boos berichtet für mosaik aus Ecuador.

Donald ist Repräsentant der „Union der Betroffenen der Ölförderung durch Texaco“ (UDAPT). Mittlerweile mehrmals im Monat führt er durch den Regenwald rund um Lago Agrio und erzählt die Geschichte der Betroffenen. Prominente wie Brad Pitt, Angelina Jolie oder Trudie Styler mit ihrem Mann Sting waren seine BesucherInnen, berichtet Donald. Dann beschreibt er, wie sie als Kinder lernten, mit eingeseiften Händen kurzzeitig den Ölfilm von der Wasseroberfläche zu vertreiben, um im Fluss baden zu können.

Gigantisches Umweltdesaster

Der Fall Chevron/Texaco in Ecuador zählt zweifellos zu den größten Umweltkatastrophen weltweit. Von 1964 bis 1992 förderte die US-amerikanische Firma Öl im Amazonasgebiet Ecuadors. Um Kosten zu sparen, verwendete Texaco veraltete Fördertechnologien oder verzichtete gänzlich auf Sicherheitsvorkehrungen und Umweltstandards. Reste des Schweröls und Giftstoffe wurden in ungesicherte Erdbecken verfrachtet, in denen sie sich mit dem Regenwasser mischten. Systematisch leitet man dieses Giftgemisch in die umliegenden Sümpfe und Flüsse ab.

Schätzungen gehen davon aus, dass Chevron/Texaco in jenen Jahren mehr als 60 Milliarden Liter an toxischen Flüssigkeiten in die Umwelt abgelassen und mehr als 45.000 Hektar an Regenwald zerstört hat. Das Desaster kann man an den Ölschächten und -becken sehen und riechen. Unter der Oberfläche vergiften die seit Stoffe im Boden und im Wasser seit Jahrzehnten Pflanzen, Tiere und Menschen.

Laut einer jüngst gemeinsam mit der Centrale Sanitaire Suisse veröffentlichen Studie haben vier von zehn Familien einen Krebsfall zu beklagen. Besonders betroffen sind Frauen: Die Rate an Gebärmutterkrebs ist achtmal höher als im Durchschnitt. Obwohl das Problem bekannt ist, bleibt den betroffenen Bauern und Indigenen vor Ort nichts anderes übrig, als das verseuchte Wasser weiterhin für den alltäglichen Gebrauch zu nutzen und sich den Giftstoffen in Boden und Luft auszusetzen.

Juristischer Skandal

Der Fall Chevron/Texaco ist nicht nur eine soziale und ökologische Katastrophe, sondern auch ein juristischer Skandal. Seit 1993 wird die Klage der Betroffenen gegen den US-Multi verschleppt. Der Prozess füllt bereits ganze Räume mit Aktenbergen.

Hinzu kommen drei Schiedsverfahren von Chevron gegen den ecuadorianischen Staat, sowie eine Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen John Watson, den CEO von Chevron, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Während Chevron/Texaco auf juristische Tricks setzt, leiden die Menschen vor Ort weiterhin an den Schäden, die der multinationale Konzern verursacht hat.

Wie in einer Netflix-Serie

Eigentlich wäre die seit nunmehr 24 Jahren andauernde Geschichte eine ausgezeichnete Vorlage für eine Netflix-Serie: Von Bestechung und Erpressung bis zu möglichen Morden ist alles dabei. (Vieles davon kann man in dieser Dokumentation sehen). Nachdem die Betroffenen 1993 in New York Klage eingereicht hatten, dauerte es alleine neun Jahre, bis der Fall schließlich auf Druck von Chevron nach Ecuador überwiesen wurde. Der Ol-Konzern hatte sich bessere Einflussmöglichkeiten auf die lokalen Gerichte in Ecuador ausgerechnet.

Allerdings drehte sich der politische Wind in Lateinamerika in den folgenden Jahren. Die Regierung unter Rafael Correa (2007-2017) inszenierte sich als Kämpferin gegen den Neoliberalismus und transnationale Unternehmen (auch wenn sie weiterhin auf die Förderung von fossilen Brennstoffen setzte). 2011 verurteile das zuständige Gericht in Ecuador Chevron/Texaco schließlich zu einer kollektiven Entschädigungszahlung von 9,5 Milliarden, die zur Sanierung der Schäden aufgewendet werden muss.

Nachdem das Urteil in zweiter und dritter Instanz bestätigt wurde, liegt es nun seit mehr als vier Jahren beim ecuadorianischen Verfassungsgerichtshof. Einiges deutet derzeit darauf hin, dass das Gericht sein Urteil aktuell noch zurückhält und Entscheidungen auf internationaler Ebene sowie die Marschrute der neuen Regierung unter Lenin Moreno abwartet.

Druck auf Lateinamerikas Regierungen

Genau das ist es, was den Betroffenen aktuell Angst macht. Ökonomische und politische Schwächephasen von Regierungen auszunutzen, hat schon immer zum Repertoire von Chevron/Texaco gehört. Das erzählt Pablo Fajardo, Aktivist und Anwalt der Betroffenen. Erste Äußerungen des aktuellen Außenhandelsministers wurden zwar später von Seiten der Regierung dementiert, lassen aber nichts Gutes für die Betroffenen erahnen. Fajardo vermutet, dass Chevron aktuell auf eine altbewährte Taktik zurückgreift. „Wir sind besorgt, dass Chevron Investitionen im Gegenzug für ein Einwirken in der juristischen Fragen anbietet. Wir haben immer das Beispiel Argentinien vor Augen, wo sie genau das gemacht haben.“

Das Problem der Betroffenen ist, dass das Urteil von 2011 in Ecuador derzeit nicht vollzogen werden kann, weil Chevron all seine Werte aus dem Land abgezogen hat. Deshalb klagt die UDAPT in unterschiedlichen Ländern auf dessen Vollstreckung. Nachdem diese in Argentinien 2012 zunächst anerkannt worden war, kassierte der Oberste Gerichtshof die Entscheidung im Juni 2013, mit dem Argument, dass Chevron Argentinien ein anderes Unternehmen als Chevron Corporations wäre. Wenige Tage später unterschrieb die Regierung einen nicht-öffentlichen Vertrag mit Chevron über die Erschließung der Vorkommen an Schieferöl und -gas im Ölfeld von Vaca Muerta. Mit dem gleichen Argument lehnte ein Brasilianisches Gericht Ende 2017 den Anspruch der Betroffenen ab. Einmal mehr zeigt sich, wie schwer es für die Betroffenen ist zu ihrem Recht zu kommen, wenn Chevron alle Register zieht und politischen Druck auf die wirtschaftlich verwundbaren Regierungen ausübt.

„Wir haben Hoffnung“

Auch die aktuelle Regierung in Ecuador versucht derzeit, internationale Investitionen anzuziehen, nachdem die Wirtschaft des Landes durch die gesunkenen Rohstoffpreise in eine Krise geraten ist. Zudem tobt ein Machtkampf zwischen dem Flügel des amtierenden Präsidenten Moreno und den AnhängerInnen seines Vorgängers Rafael Correa. Letztere bezichtigen den Amtsinhaber des Verrats an der von Correa ausgerufenen Revolución Ciudadana und sehen dessen aktuelle politische Schwäche als neues Einfallstor für die Interessen von Unternehmen wie Chevron.

All das nährt die Befürchtungen, dass das Urteil nun doch noch zugunsten Chevrons ausfallen könnte. Während die Betroffenen also einerseits die endgültige Bestätigung durch das ecuadorianische Verfassungsgericht abwarten, steht Anfang April ein wegweisendes Urteil in Kanada an. Fajardo erklärt, dass die dortigen Richter sich in der Vergangenheit empfänglicher für die Argumente der Betroffenen gezeigt und anerkannt hätten, dass diese für ein Gemeingut kämpfen. Sollten sie den Ansprüchen der KlägerInnen stattgeben, könnten sie versuchen, diese endlich in Kanada geltend zu machen. „Wir haben Hoffnung, dass es gut für uns läuft“, meint Fajardo mit einem Lächeln im Gesicht.

 

Tobias Boos ist Politikwissenschaftler und forscht zur Zeit an der Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales in Quito, Ecuador.

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