„Wir werden siegen, wenn wir zu lernen nicht verlernt haben“

Die Wahl ist geschlagen. Eine breite Allianz von UnterstützerInnen aus der so genannten „Zivilgesellschaft“, von GewerkschafterInnen, von Teilen der SPÖ, aber auch von UnternehmerInnen und sogar von einigen ehemaligen ÖVP-Granden hat den mehr oder weniger grünen Kandidaten Van der Bellen zum Bundespräsidenten gemacht. Oder besser gesagt: Sie hat Hofer verhindert. Und auch wenn nach Emma Goldman Wahlen nichts verändern können, weil sie ansonsten verboten wären, so hat diese Wahl möglicherweise vieles verhindert. Aber noch ist nichts gewonnen. Und doch hat diese Wahl, wie Stefan Steindl meint, das mögliche Potenzial einer Linken und die Grenzen einer FPÖ aufgezeigt.

Üble Szenarien

Viele Szenarien wurden im Fall eines Sieges von Hofer durchgespielt, und diese Szenarien waren noch vor wenige Wochen ausgesprochen düster und pessimistisch: Neuwahlen 2017, vielleicht sogar schon 2016; eine Faymann-SPÖ, die zerbröselt; eine FPÖ weit über 30 Prozent, die von Hofer ins Kanzleramt gehievt wird; eine ÖVP, die ihren „Konkurrenzfaschismus“ wieder entdeckt und die sich als Juniorpartnerin für die FPÖ anbietet. Eine ÖVP im Übrigen, von der man aus Gremien immer wieder hören konnte, dass sie unter Schüssel I und II zwei entscheidende Fehler begangen hat: zum ersten die Arbeiterkammer nicht ausgeschaltet und zum zweiten Wien nicht den Geldhahn abgedreht zu haben.

Viele Analogien zu den 1930ern wurden in diesen Szenarien bemüht. Und tatsächlich, wenn man sich die Machtübernahme durch Dollfuss anschaut, dann wurde im Austrofaschismus die Arbeiterkammer entmachtet (nicht einmal aufgelöst), und mithilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes (KWEG) wurden besonders für die Stadt Wien benachteiligende Notverordnungen erlassen. Die Fantasterein mancher ÖVPlerInnen erinnern damit fatal an vergangene Zeiten.

Jetzt gibt es aber kein KWEG mehr, und wir schreiben auch nicht 1930. Und doch, selbst nüchtern analysiert ergibt sich ein erschreckendes Bild für eine Blau-Schwarze-Zukunft. Es sei hier an die angedachte Reform der Sozialpartnerschaft erinnert, mit der die ÖVP-FPÖ-Koalition bereits 2000 das Kollektivvertragsrecht auf betriebliche Ebene verlagern und damit schwächen wollte. Gewerkschaften würden dann nur noch eine Nebenrolle spielen. Und vor wenigen Tagen forderte die FPÖ gemeinsam mit den Neos eine Halbierung der Arbeiterkammer-Umlage, was eine massive Schwächung für die Arbeiterkammer bedeuten würde, die Jahr für Jahr Hunderte Millionen an Euro für die ArbeitnehmerInnen erstreitet.

Eine treffende Analyse über die FPÖ und ihr Verhältnis zu Arbeits- und Sozialrecht,  Arbeiterkammer sowie Gewerkschaften ist auf dem Blog „GewerkschafterInnen für Van der Bellen“ nachzulesen.

Der Weg in die Barbarei?

Wer aber nun glaubt, mit dem Sieg Van der Bellens haben wir das Schlimmste abgewendet, der täuscht sich. Eine vollständige blaue Machtübernahme, bei der die FPÖ Bundespräsident, Bundeskanzler und Nationalratspräsident innehat, wurde zwar für zumindest sechs Jahre verhindert. Aber ein Kantersieg der FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl und eine Neuauflage von Blau-Schwarz sind deswegen noch lange nicht unwahrscheinlich geworden. Eine Verhinderung von Kanzler Strache durch den Bundespräsidenten, wie das immer wieder Van der Bellen andeutete, ist fragwürdig und könnte einen typisch österreichischen „Jetzt erst recht“-Effekt herausfordern und die Macht einer FPÖ auf Dauer einzementieren.

Blau-Schwarz würde neben einen unerträglichen, hetzerischen und tödlichen Rassismus einen Bruch des Sozialstaates versuchen. Ob die Gewerkschaften und andere emanzipatorische Kräfte diese Angriffe abwenden können, bleibt abzuwarten. Wäre das nur ein rein österreichisches Phänomen: ja. Gegen alle Unkenrufe ist die Gewerkschaft in Österreich wohl unvergleichlich stark. Aber die Angriffe erfolgen europaweit: Mit Griechenland wird ein ganzes Land diszipliniert. In Belgien, aber auch in den skandinavischen Ländern gibt es Angriffe auf die Gewerkschaften. Und in Spanien sitzen Hunderte GewerkschafterInnen im Gefängnis. Hier wird auf überstaatlicher Ebene versucht, Gewerkschaften zu schwächen und einen Marktfundamentalismus auf europäischer Ebene durchzusetzen.

Die Folgen einer blauen Machtübernahme wären unabsehbar. In einem Szenario, wo die FPÖ gemeinsam mit einer ÖVP die Macht übernimmt, eröffnen sich Optionen, die kaum abschätzbar sind. Stolpert die FPÖ wieder über ihre eigenen Füße oder ist die Burschenschafter-Partei inzwischen so diszipliniert und stabil, dass sie mithilfe der ÖVP die autoritäre Wende in Österreich schafft? Schafft es die FPÖ, ihre AnhängerInnen auf den Straßen zu mobilisieren, was ihr bisher nicht gelungen ist? Und werden dort dann Knüppelgarden des Kapitals die Macht und die marktfundamentalistischen Positionen der FPÖ durchsetzen? Das klingt aufgeregt, das klingt wie aus einer anderen Zeit. Es sei aber daran erinnert, dass bereits jetzt eine neofaschistische Gruppe mit guten Kontakten zur FPÖ mit Gewalt versucht, die Straße zu besetzen: Im Jänner 2016 griffen mit Totschläger bewaffnete und vermummte Identitäre antifaschistische KundgebungsteilnehmerInnen an.

Wir  leben in ungewissen Zeiten, ob wir wollen oder nicht …

Ebenso wie die Folgen von Blau-Schwarz nur schwer vorhersagbar sind, sind auch die Folgen dieser Bundespräsidentschaftswahl für die Linke kaum vorherzusagen. Es ergeben sich aber interessante Überlegungen und damit auch Handlungsfelder für sozialistische Bewegungen.

Das vielleicht Erfreulichste (zumindest für WienerInnen): Den Titel „Bürgermeister“ kann sich Strache abschminken. Diese Wahl war wie keine andere zuvor eine Richtungswahl, und Wien hat zu 63 Prozent gegen die FPÖ gestimmt. Das Ergebnis von knapp 37 Prozent für die FPÖ entspricht dem Wien-Wahl-Ergebnis von 2015 plus Stimmen von ÖVP-WählerInnen und wenigen SPÖ-WählerInnen. Mehr schafft die FPÖ in der Hauptstadt scheinbar nicht. Und wenn selbst Bezirke wie Favoriten, Floridsdorf, Donaustadt und Meidling mehrheitlich einen grünen Kandidaten wählen, nur um einen FPÖ-Kandidaten zu verhindern, und auch Simmering nur knapp an die FPÖ verloren geht, dann ist das ein Zeichen, dass die FPÖ ihren Zenit in Wien erreicht hat.

Mit Kern hat die SPÖ einen Wechsel an der Spitze vollzogen, der einerseits Van der Bellen wohl zum Sieg verholfen hat und andererseits eine Art Aufbruchstimmung innerhalb der SPÖ erzeugt. Es ist aber noch vollkommen ungewiss, wohin Kern die SPÖ führen wird. Obwohl die Antworten für eine erfolgreiche Politik auf der Hand liegen: Rechte Hetze, das Spielen mit Ängsten vor dem „Fremden“, die „Sündenbock-Strategie“ und das Vorgaukeln einer Sicherheit, wenn man sich nur genügend abgrenzt, ermöglichen der FPÖ zwar Erfolge, aber nur in einem absehbaren Ausmaß. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Wahltagsumfrage zur vergangenen Bundespräsidentschaftswahl, wonach Gewerkschaftsmitglieder zu 55 Prozent Van der Bellen wählten: Umso höher der Organisierungsgrad, umso weniger stimmten die Menschen für die FPÖ. Mit Organisierung wird die Möglichkeit einer Agitation und einer Bildung im proletarischen Sinne geschaffen („die Klasse für sich“).

Ein Projekt der SPÖ-Wien scheint genau in diese Richtung zu zielen: das Konzept der „Vertauensleute“. Es erinnert an Robert Dannebergs „Vertrauensmänner“ der 1920er, die die Aufgabe hatten, die Interessen der Sozialdemokratie zu vertreten, Menschen in behördlichen und rechtlichen Fragen zu beraten, die Politik und die Entscheidungen der Partei zu erläutern und die Organisation über die Wünsche der Menschen, die Stimmung und die Reaktion auf Aktivitäten zu informieren (vgl. Robert Danneberg, „Der Vertrauensmann. Winke für alle, die in der Arbeiterbewegung wirken“, 1928). Es bleibt abzuwarten, ob die SPÖ Wien es schafft, dieses Konzept erneut umzusetzen. Die Gewerkschaften übernehmen dabei den wichtigen Part, die sozialen Kämpfe im Betrieb und in der Wirtschaft zu führen. Die „Vertrauensleute“ gibt es hier schon: die BetriebsrätInnen (vgl. Anton Hueber, „Partei und Gewerkschaften in Österreich“, 1907). Aber auch hier braucht es neue Ideen sowie eine erneute Politisierung und Ideologisierung. Und auch andere linke Bewegungen werden sich an dem Konzept „Vertrauensarbeit“ messen lassen müssen. Wer erfolgreich soziale Kämpfe führen will, muss die Menschen organisieren.

Das sind alles Entwicklungen, die das Potenzial haben, FPÖ-WählerInnen zu demobilisieren, zu re-politisieren und für die gute Sache zu gewinnen. Kern hat dabei einen der wichtigsten Punkte angesprochen, der für viele Menschen wichtig ist: „Und unser Ziel muss es sein, dass die Menschen in diesem Land, die heute leben, fest davon überzeugt sind, dass es ihren Kindern eines Tages bessergehen wird als Ihnen.“ Diese Überzeugung war immer schon einer der wichtigsten Triebfedern sozialistischer Bewegungen. Ob Kern das tatsächlich umsetzen kann oder an den Strukturen innerhalb der SPÖ scheitert – auch das muss abgewartet werden.

Ebenso wichtig ist aber eine Analyse über das Wahlverhalten von Männern und Frauen: 60 Prozent der Frauen stimmten gegen Hofer, aber 60 Prozent der Männer für Hofer. Gerne wird das Wahlverhalten der Männer mit „Abstiegsängsten“ erklärt, aber es sind vor allem Frauen, die von prekären Arbeitsverhältnissen am meisten betroffen sind. Und doch wählen sie nicht die rechte Hetze. Wie kommt es dazu? Die echte Gleichstellung von Frauen in allen Bereichen des Lebens und die damit einhergehende Demontage eines reaktionären Männerbildes wird für den Kampf gegen Faschismus und Reaktion und für eine bessere Welt ebenso entscheidend sein, wie alle anderen gesellschaftlichen Kämpfe.

Wie bei jeder Wahl, ist auch das Wahlverhalten nach Bildungsabschluss Thema. Menschen mit Hauptschulabschluss oder Lehre wählen eher FPÖ, Menschen mit Matura oder Universitätsabschluss dagegen eher die Grüne. Die „ExpertInnen“, die solche Informationen verbreiten, enthalten sich meist einer Interpretation, aber implizit wird damit behauptet: „Die (auf dem Papier) ,schlechter Gebildeten‘ sind anfällig für die FPÖ-Hetze, die ,Gebildeten‘ durchschauen die Hetze.“ Aber nicht Bildung, sondern der frühe Einstieg in den hierarchisierten Arbeitsprozess und die fehlende Demokratie in Betrieb und Wirtschaft sind das eigentliche Problem. Auch das wird ein wichtiger Ansatzpunkt gerade für Gewerkschaften sein.

Wie die FPÖ darauf reagieren wird, muss nun beobachtet werden. Denkbar ist, dass die FPÖ versucht, mit erhöhter Aggressivität gegen eine mögliche Demobilisierung ihrer WählerInnen vorzugehen. Das würde unruhige Zeiten bedeuten. Vielleicht reicht es für die FPÖ aber auch, abzuwarten und dabei zuzuschauen, wie die Linke versagt.

Sozialismus oder Barbarei

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Rosa Luxemburgs Worte: „Aber wir sind nicht verloren, und wir werden siegen, wenn wir zu lernen nicht verlernt haben. Und sollte die heutige Führerin des Proletariats, die Sozialdemokratie, nicht zu lernen verstehen, dann wird sie untergehen, ,um den Menschen Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind‘.“

Stefan Steindl ist stellvertretender Landessprecher der AUGE/UG Wien, Betriebsrat und im GPA-djp-Bundesausschuss WB16.

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