Bürgerasyl: Wie eine Kleinstadt ihre Flüchtlinge schützt

Aus der hessischen Kleinstadt Hanau soll niemand nach Afghanistan abgeschoben werden. HanauerInnen verstecken Geflüchtete notfalls, um sie vor der Abschiebung zu schützen. Bürgerasyl nennt sich diese Aktion zivilen Ungehorsams. Sie wird mittlerweile in weiteren Städten aufgegriffen.

Von GewerkschafterInnen bis zu kirchlich Aktiven, von LehrerInnen bis zu TherapeutInnen, von Partei-VertreterInnen bis zu SozialarbeiterInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen und TrainerInnen im lokalen Fußballverein – eine bunte Mischung hat den Hanauer Aufruf zum Bürgerasyl unterzeichnet. Sie alle wollen nicht tatenlos zusehen, wie Menschen in den Krieg abgeschoben werden. Dafür sind sie auch bereit, zivilen Ungehorsam zu leisten.

Bei einer Kundgebung im Mai 2017 in Hanau haben UnterzeichnerInnen dies öffentlich verlesen: „Wir werden von Abschiebungen bedrohten Flüchtlingen aus Afghanistan Bürgerasyl gewähren, das heißt, wir werden Platz machen in unseren Wohnungen und notfalls die Menschen verstecken, die in Krieg und Verfolgung zurückgeschickt werden sollen.“

Afghanistan ist nicht sicher

Der Hintergrund: Am Abend des 14. Dezember 2016 startete vom Frankfurter Flughafen eine Chartermaschine nach Kabul. An Bord befanden sich 34 abgelehnte afghanische Asylsuchende sowie 93 Bundespolizisten, die diesen Abschiebeflug „absicherten“.

Internationale Organisationen und ExpertInnen sind sich einig, dass sich die Sicherheitslage 2016 und 2017 in Afghanistan massiv verschärft hat. Trotzdem gab es – nur unterbrochen durch den verheerenden Anschlag vor der Deutschen Botschaft in Kabul im Mai 2017 – seither monatlich weitere Charterflüge der Schande nach Afghanistan. Unter maßgeblichem Einfluss deutscher Politiker hatte die EU der afghanischen Regierung im Herbst 2016 ein Abkommen aufgezwungen, das die Abschiebung von tausenden Geflüchteten ermöglicht.

Widerstand wirkt

Seit Beginn dieser Abschiebungen protestieren Menschen auf Straßen, in Flughäfen und in den Medien. Dass bislang „nur“ 128 Menschen abgeschoben wurden ist diesem Widerstand zu verdanken.

Dennoch hält das deutsche Bundesinnenministerium unter Thomas de Maizière verbissen an den Charterabschiebungen nach Afghanistan fest. Denn diese sollen Druck machen und in der afghanischen Community Angst erzeugen, damit sich mehr von ihnen für eine „freiwillige Ausreise“ entscheiden. Und sie sollen abschrecken, damit sich keine weiteren afghanische Schutzsuchenden auf den Weg nach Deutschland machen.

Der Ansatz des Bürgerasyls

In den letzten Jahren gab es in vielen Kirchengemeinden beachtliche Solidarisierungsprozesse unter dem Stichwort Kirchenasyl. Gleichzeitig wurde die große Mehrheit der Illegalisierten oder von Abschiebungen Bedrohten von ihren Verwandten und Bekannten geschützt. Diese Community-Solidarität kann kaum stark genug gewürdigt werden. Das Bürgerasyl soll ihr öffentliche Rückendeckung geben.

In der Regel werden die Daten und Orte der Abschiebecharter ein oder zwei Wochen vorher bekannt. Dann müssen potenziell Betroffene so schnell wie möglich „in Deckung gehen“, also aus ihren angemeldeten Wohnungen oder Zimmern in geschützte Räume wechseln. Betroffene und UnterstützerInnen brauchen also einen guten Überblick über die jeweilige rechtliche Situation der Betroffenen, um das Risiko einer Abschiebung einschätzen und vermeiden zu können, in der angemeldeten Wohnung überraschend abgeholt zu werden.

Legitim, nicht legal

Womöglich sind es zunächst recht kurze Risiko-Zeitfenster, die mit dem Bürgerasyl zu überbrücken sind. Wenn der oder die Betroffene in dieser Phase noch eine gültige Duldung hat – was oft der Fall ist – dann ist es nichts anderes als Gastfreundschaft, jemanden zu beherbergen und auch nicht möglich, die Bereitstellung einer schützenden Unterkunft zu kriminalisieren. Wenn die betroffene Person allerdings keinen Aufenthaltsstatus hat, kann es für die UnterstützerInnen rechtliche Folgen geben. Insofern mag im Bürgerasyl nicht immer alles legal sein, politisch aber dennoch legitim und notwendig.

Niemand, der oder die unterzeichnet, verpflichtet sich, Menschen bei sich zu Hause aufzunehmen. Trotzdem geht es mit dem Aufruf auch darum, konkrete solidarische Strukturen aufzubauen. Also im Notfall die von Abschiebung Betroffenen zu schützen und wirklich auch in privaten Wohnungen zu verstecken.

Auf dem Weg zur solidarischen Stadt

Mittlerweile hat auch der hessische Innenminister Beuth auf die Initiative reagiert und juristische Konsequenzen angedroht. Doch die Einschüchterungsversuche wirken nicht. Aktuell sind in weiteren hessischen Städten Aufrufe zum Bürgerasyl in Vorbereitung.

In Hanau, wie auch in anderen Städten, ist das Bürgerasyl Teil des Konzeptes für eine solidarische Stadt. Der Kampf gegen Abschiebungen von Geflüchteten und MigrantInnen ist darin eine zentrale Säule. Doch es geht um mehr als die Verteidigung des Bleiberechts. Das Verhindern von Abschiebungen wird mit übergreifenden Forderungen für Alle verbunden, etwa für bezahlbaren menschenwürdigen Wohnraum oder für fair bezahlte Jobs.

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