Was meint Kulturminister Gernot Blümel, wenn er Kultur sagt?

Kürzlich wurde eine dubiose Anfrage aus dem Ministerium an die Akademie des Österreichischen Films bekannt. Der Verdacht besteht, dass Kulturminister Gernot Blümel mit Kritik nicht umgehen kann. Ohnehin sieht es für kritische Kunst in Österreich nicht gut aus.

Ende März berichtete der Standard von zwei Briefen an das Bundeskanzleramt, die in der heimischen Filmbranche für Unruhe sorgen. Der eine stammt vom Produzentenverband Film Austria und bezieht sich auf eine  Rede im Rahmen der Verleihung des österreichischen Filmpreises im Jänner. Gehalten hat sie Gerald Kerkletz, ein Sprecher der regierungskritischen Initiative „Klappe auf“, die zuletzt auch an der Donnerstagsdemo beteiligt war. Laut Standard beschwerte sich die wirtschaftsnahe Film Austria über die politische „Instrumentalisierung“ des Filmpreises.

Blümel lässt anrufen

Als Reaktion auf diesen Brief griff eine ungenannte Person aus Gernot Blümels Einflussbereich im Bundeskanzleramt zum Telefon und rief Josef Aichholzer an. Aichholzer ist Obmann der Akademie des österreichischen Films, die die Preisverleihung veranstaltete, auf der es zur genannten Rede gekommen war. Die Person verlangte offensichtlich eine Erklärung für die Causa. Daraufhin fühlten sich Aichholzer und Akademie-Präsident Stefan Ruzowitzky gezwungen, ihrerseits einen klärenden Brief an das Bundeskanzleramt zu verfassen.

Neu sind derartige Differenzen innerhalb der Filmbranche nicht. Wie überall, wo Wirtschaftstreibende und Künstler_innen unterschiedlicher Weltanschauungen aufeinandertreffen, fliegen manchmal die Fetzen. Doch ein Anruf aus dem Ministerium? Das erstaunt.

Desinteressierter Machtpolitiker

Die Angst vor Einflussnahme „von oben“ stellt die Frage, wer denn „da oben“ sitzt. Die Formalitäten sind schnell geklärt: Blümel hat in Wien Philosophie und Business Administration studiert. Doch zentraler scheint seine Karriere innerhalb der ÖVP zu sein. Seit 2015 ist er in Wien Landesparteiobmann, seit Jänner 2018 Bundesminister im Bundeskanzleramt. Zu seinen Agenden zählen neben der Verfassung und den Medien eben auch Kunst und Kultur.

Bisher fiel der Kulturminister hauptsächlich durch geringe Kenntnis heimischer Kunst- und Kulturproduktion auf. In Reden und öffentlichen Statements entfaltet sich einerseits das schimmernde Bild eines reaktionären Europapolitikers, der von der antiquierten, privilegierten und unkritischen Version einer Europäischen Idee aus dem 19. Jahrhundert beseelt scheint. Andererseits tritt darunter das Gesicht eines uninformierten und desinteressierten Machtpolitikers zutage, dem Fragen um gesellschaftliche Veränderung in Richtung Gerechtigkeit und gleichberechtigter Teilhabe nicht wirklich den Schlaf rauben.

Gernot Antoinette

Besonders deutlich wurde das im Juli vergangenen Jahres. Bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele erklärte er dem Publikum: „Das beste Mittel gegen Europaskepsis und Krisenbeschwörer wäre wohl, wenn sich alle Pessimisten auf die Festspiele einlassen würden. Fast traue ich mich zu behaupten: Viele wären auf einen Schlag von ihrem Pessimismus kuriert. Alleine durch die Wirkung der Kunst und Kultur in dieser künstlerischen Hauptstadt Europas!” – Der Subtext ist eindeutig: „Sollen sie doch Kuchen essen“. Blümels Kulturbegriff steht dem bourgeoisen Tourismus näher als heimischen Kulturvereinen.

Der Minister hat schlicht kein Interesse an kritischer Kunst. Wäre es anders, hätte Blümel gegen die Streichung der Fördermittel für das Anschläge-Magazin sowie viele andere kritische Kunst- und Kulturinitiativen, allen voran feministische und migrantische, protestiert. Aussagen über die gesellschaftspolitische Aufgabe von Kunst und Kultur muss man in Blümels Texten suchen gehen. Das Staatsbudget wird zunehmend aristokratisch verteilt. Dem Kulturgenuss bourgeoiser Tourist_innen wird die Kunst des Bewahrens längst vergangener Werke aus Musik und Malerei vorgelegt. Alteingesessenes erhält Förderungen, Sponsoring, mediale Aufmerksamkeit und wird international zum Stolz der Nation erklärt.

Es geht auch anders

Österreichs Kunst- und Kulturschaffende haben, so scheint es, nur eines zu erwarten: Weitere Kürzungen, noch weniger Aufmerksamkeit, noch weniger Mitsprache. Verdrängung ins Ehrenamt, in die Armut oder in andere (nicht-künstlerische) Branchen. Die Filmbranche sei von Nervosität und Konkurrenzdruck gezeichnet, schreibt der Standard. Briefe wie jener der Film Austria an Blümels Ministerium deuten auf die Tendenz hin, „sich gegenüber der Politik einen gewissen Startvorteil zu verschaffen“, stellt Dominik Kamalzadeh fest.

Was der Kulturminister mit „Kultur“ meint, ist also im Vergleich zur wahren Diversität heimischen kulturellen Schaffens reichlich wenig: ein Trostpflaster für kritische Menschen und stolzes Kapital für den Tourismus.

Doch zeigen Initiativen wie „Klappe auf“ oder „DIE VIELEN“, neue Preise wie der „Filmpreis Gloria“ oder öffentliche Texte wie der von Verena Humer, dass es auch anders geht. Österreichs Künstler_innen und Kulturschaffende entscheiden sich immer mehr bewusst zur Angstfreiheit, zur Selbstorganisation und zum Zusammenschluss. Dass die Abgewöhnung staatlicher Finanzierung ganz im Sinne des Regierungsprogramms ist, bleibt als bitterer Geschmack bei aller Freude um die Solidarität unter Kunst- und Kulturschaffenden zurück.

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