Im letzten halben Jahr hat sich in Spanien eine Bewegung gegen die steigenden Wohnkosten gebildet. mosaik-Redakteur Luca Niederdorfer war bei der Großdemo in Barcelona. Er erzählt von den Entwicklungen des spanischen Wohnungsmarktes und warum sie uns auch in Wien zu denken geben sollten.
An die 100.000 Menschen haben sich am vergangenen Samstag am Plaça Espanya in Barcelona versammelt, um gegen die hohen Wohnkosten in der Stadt zu demonstrieren. Bereits im November zogen zehntausende Menschen durch die Straßen. Auch dazwischen gab es kleinere Proteste und Aktionen. Es ist eine Bewegung entstanden, die auf einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis aufbaut. Aktivist*innen, Mieter*innen, Gewerkschaften und weitere Verbündete haben sich in den letzten Monaten zusammengeschlossen. Gemeinsam machen sie auf das Thema der explodierenden Kosten am Wohnungsmarkt aufmerksam.
Ein Thema, das nicht nur Barcelona betrifft, sondern auch über die katalanischen Grenzen hinaus in ganz Spanien die Menschen bewegt. Neben Barcelona gab es am Samstag auch in 40 weiteren spanischen Städten Proteste. Die hohen Mietpreise sind dabei jedoch nur ein Symptom. Den Demonstrierenden geht es um mehr, um das System und die Ursachen. Diese sind zwar vielfältig, aber recht einfach zu benennen. Und sie sind kein spanisches Alleinstellungsmerkmal. Vielmehr sind sie ein Zeichen dafür, was mit Wohnraum passiert, wenn er dem freien Markt überlassen wird.
Spielwiese der Investor*innen
Zwischen 2023 und 2024 stiegen die Mieten in Barcelona um fast 10%. Das ist jedoch nur die Spitze der Entwicklung der letzten Jahre. Nachdem sich die Preise nach der Finanzkrise 2008 für ein paar Jahre wieder erholten, stiegen sie seit 2014 rasant an. Nun sehen sich die Bewohner*innen mit Mieten konfrontiert, die in einem Zeitraum von zehn Jahren um fast zwei Drittel gestiegen sind. Demgegenüber steht eine Erhöhung der Löhne um nur ca. 25% im selben Zeitraum. Der Ursprung dieses Anstiegs geht wiederum zurück auf die Finanzkrise 2008. Viele Menschen waren gezwungen, ihre Wohnungen und Häuser zu verkaufen, da sie ihre Kredite an die Banken nicht mehr zurückzahlen konnten.
Nachdem die Banken aber ebenfalls nicht mehr zahlungsfähig waren, stürzten sich internationale Investmentfonds auf den spanischen Wohnungsmarkt und kauften riesige Wohnungsportfolios zu Spottpreisen. In dieser Finanzialisierung, also dem zunehmenden Einfluss des Finanzsektors, liegt bis heute der Kern der spanischen Wohnungskrise. Internationale Investmentfonds kontrollieren große Teile des Wohnungsmarktes und Wohnraum wird zunehmend zum Spekulationsobjekt. Sie halten Instandhaltungskosten gering und die Nachfrage ist groß genug, um weiter Profit aus den Wohnungen zu schlagen.
Gesetz mit Schlupfloch
Stetig steigende Zahlen von Tourist*innen und der Zuzug von Menschen, die zum Studieren oder Arbeiten aus dem Ausland kommen, spielen den Investor*innen hier in die Karten. Sie setzen auf Wohnungen zur Kurzzeitvermietung auf Plattformen wie airbnb oder für Menschen, die nur für einen befristeten Zeitraum in der Stadt leben. Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz sollte die Entwicklung der Mietpreise in Spanien einbremsen und die maximale jährliche Erhöhung gesetzlich verankern. Zusätzlich sollten auch Erhöhungen bei neuen Verträgen und Vertragsverlängerungen gedeckelt werden.
Das Gesetz ließ aber ein Schlupfloch, das Vermieter*innen in Barcelona eiskalt ausnutzen: Es gilt nicht für Mietverträge unter zwölf Monaten. Die Konsequenz? In den letzten Monaten wurden viele Mietverträge auf elf Monate befristet ausgestellt. Bereits davor war es kaum möglich, sich mit einem Mietvertrag längerfristig abzusichern. Mietverträge in Barcelona werden in der Regel nicht länger als auf drei bis fünf Jahre befristet vergeben. Danach muss ein neuer Vertrag abgeschlossen werden. Vermieter*innen nutzen das, um die Miete zu erhöhen. Ob das neue Gesetz hier langfristig Abhilfe schafft, muss sich erst zeigen. Die Regelungen für neue Verträge und Verlängerungen sind schließlich erst kürzlich in Kraft getreten. An den über die letzten Jahre gestiegenen Mieten wird das Gesetz jedenfalls rückwirkend nichts mehr ändern.
Mietkampf in einem ausbeuterischen System
Die Stadt hat währenddessen kaum Möglichkeiten, die Mieten kurzfristig zu regulieren. Der Anteil an sozialem Wohnbau in Barcelona beträgt unter 2%. Er ist damit so niedrig wie in kaum einer anderen europäischen Großstadt. Mehr als ein Drittel der Mietwohnungen ist im Besitz von sogenannten gran tenedors. Das sind Personen oder Unternehmen, die mehr als zehn Immobilien besitzen. Oft eben riesige Unternehmen und Investmentfonds. Diese Entwicklung stellt für die Protestbewegung einen zentralen Punkt dar. Sie kritisiert die Untätigkeit der spanischen Regierung, während sich der Wohnungsmarkt zu einem Spielplatz der Spekulation für nationale und internationale Investor*innen entwickelt hat. Die Protestierenden fordern eine rückwirkende Senkung der Mieten, die Rückführung von Wohnungen für Kurzzeitvermietung in den Wohnungsmarkt und das sofortige Einstellen aller drohenden Räumungen. Der Aufruf macht dabei eines klar: Der Kampf um leistbaren Wohnraum ist ein Klassenkampf.
Übertourismus und Wohnungsknappheit sorgt in Barcelona für viel Unmut. Rechte Medien und Parteien versuchen, den Diskurs zu kapern und ihn mit xenophoben und rassistischen Narrativen zu prägen. Die aktuelle Bewegung versucht diese Entwicklung zu kontern und das ausbeuterische System dahinter anzugreifen. Die Knappheit am Wohnungsmarkt entsteht nicht durch Tourismus und Zuzug aus dem Ausland, sondern durch Spekulation mit Wohnraum. Mit diesem Ansatz stößt die Bewegung auf viel Zuspruch. Der Ausgangspunkt der Bewegung sind die sindicats de l’habitatge, die Mieter*innengewerkschaften. Die sindicats sind Interessengemeinschaften, die klassenbewusste und antikapitalistische kollektive Organisierung unter Mieter*innen vorantreiben. Um sie bildete sich in den letzten Monaten ein breites Bündnis aus Gewerkschafter*innen, Aktivist*innen und Mieter*innen.
Gemeinsame Stärke
Die Kampagne forcierte dabei neben klassischer Öffentlichkeitsarbeit vor allem eine Strategie: dezentrale Organisation in den Vierteln. Die Mobilisierung setzt auf Haustürgespräche und Versammlungen zur Vorbereitung der Demonstrationen und konnte so eine breite Basis in der Bevölkerung aufbauen. Einzelne Blöcke aus den Vierteln marschieren durch die Stadt zum gemeinsamen Treffpunkt, um dort in gemeinsamer Stärke aufzutreten. Neben den Protesten kündigte die Gewerkschaft Sindicat de Llogateres erste Mietstreiks an, um große Eigentümer*innen, wie die Bank Caixa unter Druck zu bringen.

Doch nicht nur im Großen, sondern auch im Kleineren entstehen in der Bewegung Protestformen, die Wirkung zeigen. So konnte im Jänner eine Räumung zumindest fürs Erste verhindert werden, nachdem Aktivist*innen mehrere Räumungsversuche durch Protestaktionen blockierten. Die Kernaussage der Bewegung wird dabei immer wieder klar gemacht: Gemeinsam sind Mieter*innen stark. Die Gemeinsamkeiten werden dabei auch inhaltlich gesucht. Der Kampf gegen hohe Mieten stellt eine breite Klassenfrage, indem er antikapitalistische, feministische, antirassistische und Kämpfe der Klimabewegung zusammenbringt. Die Bewegung macht klar, dass für leistbaren Wohnraum nicht nach links und rechts, sondern nach oben getreten werden muss.
Wien: Auf den Lorbeeren ausgeruht
Die Entwicklungen in Barcelona sollten ein Weckruf für Bewegungen in ganz Europa sein. Rasant steigende Mietkosten sind kein spanisches Problem. Auch in Wien sind derartige Dynamiken zu erkennen. Das Kernproblem ist dasselbe: Die zunehmende Privatisierung und Finanzialisierung von Wohnraum. Der Anteil an Gemeindewohnungen ging in Wien über die letzten Jahrzehnte leicht zurück. Nachdem die Stadt Wien im Jahr 2004 den Gemeindebau in der Rößlergasse im 23. Bezirk fertiggestellt hatte, dauerte es über 15 Jahre, bis wieder ein Gemeindebau in Wien eröffnet wurde. Mit der Initiative Gemeindebau NEU wurden zwar seitdem wieder neue Wohnungen der Stadt Wien gebaut oder geplant. Im Vergleich zum Privatmarkt ist allerdings ein klares Ungleichgewicht zu erkennen. Während in den letzten zwanzig Jahren über 60.000 neue Wohnungen in Wien gebaut wurden, sind nur knapp 6.000 Gemeindewohnungen im Rahmen der Initiative Gemeindebau NEU in Bau oder Planung.
Dazu kommt das Problem des Leerstands, das aufgrund mangelnder Daten nur schwer zu greifen ist. Auch wenn Wien wohl die niedrigste Leerstandsquote in Österreich hat, dürften es doch einige zehntausend Wohnungen sein, die am Wohnungsmarkt fehlen, während weitere gebaut werden. Gleichzeitig wird Altbestand abgerissen, Mieter*innen vertrieben und stattdessen teurer Wohnraum für Kurzzeitvermietung geschaffen. All diese Entwicklungen schlagen sich auch in den Mietpreisen nieder. Allein zwischen 2023 und 2024 sind die Mieten in Wien im Schnitt um 11% gestiegen – in manchen Bezirken sogar über 20%.
Die Teuerung der letzten Jahre ist natürlich ein Extremfall, der aber durch die unregulierte Spirale von Inflation und Mietsteigerungen noch schlimmer wurde. In den Jahren vor der Teuerungswelle stiegen die Mieten ebenfalls schon kontinuierlich schneller als die Löhne. Die Initiativen der Stadt und auch auf Bundesebene kommen dabei immer zu spät. Die Mieten sind jetzt zu hoch und viele Leute können sich das Leben jetzt schon nicht mehr leisten.
Nachhaltiger Kampf um Wohnraum
Auch wenn leistbares Wohnen in den letzten Wahlkämpfen in Österreich Thema war, bleibt eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung aus. An den Erfolgen der KPÖ lässt sich erkennen, dass es durchaus Leute bewegt. Doch konkrete Mobilisierungen gibt es kaum. In Wien macht en commun immer wieder auf das Thema aufmerksam und versucht auch Mieter*innen zu vernetzen, um sich zur Wehr zu setzen. Das Bündnis Es reicht! versuchte in einem breiten Ansatz gegen die Teuerung zu mobilisieren, doch der Zulauf ebbte schnell wieder ab. Dabei wäre es so wichtig, das Thema immer wieder auf den Tisch zu bringen und klare Forderungen zu stellen.
Es braucht eine Quote, die den Anteil an Gemeindewohnungen in Wien im Vergleich zum Neubau sichert. Es braucht sofortige und wirksame Mietpreisbremsen ohne Schlupflöcher, an denen sich Eigentümer*innen bereichern können. Es braucht eine Leerstandsabgabe, die nicht nur eine nervige Kostenstelle ist, sondern eine klare Aufforderung dazu, leere Wohnungen auf den Mietmarkt zu bringen. Außerdem braucht es rückwirkende Mietsenkungen, die den Leuten wieder ein leistbares Leben ermöglichen. Und es braucht zivilgesellschaftliches Engagement, das Forderungen danach auf den Tisch bringt und die Parteien zum Handeln auffordert. Der Wohnungsmarkt kann sich nicht selbst überlassen werden. Denn leistbarer Wohnraum sollte ein Grundrecht für alle Menschen sein.
Foto: Luca Niederdorfer

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