Bitcoin: Die Kryptowährung und der Wert einer Salami

Bibi K. schreibt in einer vierteiligen Serie, was Marx, Keynes und Mises über Bitcoin sagen würden.

Im zweiten Teil haben wir uns angesehen, wie sich Bitcoin zu Geld verhält und was ein Zahlungsmittel können muss. Im dritten Teil geht es ans Eingemachte: Wir begeben uns auf die Suche nach dem Wert.

Bitcoin wird nicht nur von Paul Krugmann „vorgeworfen“, nichts wert zu sein. Bitcoin ist keine Salami, die ich essen kann, wo ist da der Nutzen? Preise richten sich generell nicht am Nutzen einer Sache: Schon Ricardo stellt fest, dass lebensnotwendige Güter wie Wasser und Luft billig bis kostenlos sind. Funkelnde Diamanten, die eigentlich niemand braucht, sind viel wert. Bei Bitcoin ist es ähnlich, nur funkeln sie nicht einmal. Spätestens jetzt sprechen ÖkonomInnen von der Bitcoin-Blase, die jederzeit platzen kann. Die Vorstellung: Aufgeblasene Werte werden früher oder später korrigiert, wenn der Markt zur Vernunft kommt.

Woher wissen wir, ob etwas eine Blase ist?

In der ökonomischen Theorie gibt es zwei grobe Stränge: Den einen, der den Wert einer Sache in etwas Objektivem findet. Es sind die KlassikerInnen, Smith, Ricardo und in Weiterentwicklung Marx, bei denen sich der Wert einer Sache nach dem enthaltenen Arbeitsaufwand richtet. Die Abweichung von Marx zu den Vorgängern ist, dass nicht die jeweils konkrete menschliche Arbeit „Wertsubstanz“ einer Ware oder Dienstleistung ist. Vielmehr ist es die unter durchschnittlichen Bedingungen benötigte, um die Ware zu reproduzieren. Im Tausch zeigt sich, ob ich als konkrete Produzentin mit meiner Ware über oder unter ihrem Wert produziert habe. Die andere große Richtung ist jene, die den Wert subjektiv allein in den Wünschen der Tauschenden entstehen lässt.

Kommt Wert aus Arbeit, Nutzen oder Knappheit?

Die Arbeitswertlehre ist im 20. Jahrhundert aus der Mode gekommen. Neoklassik und (Post-) keynesianistische Theorien setzten sich durch. Brutal und wirklich nur für ein Grundverständnis zusammengefasst gilt:

Für die KlassikerInnen wie Mill, Smith und Ricardo ist Arbeit die Quelle allen Reichtums und Grundlage für einen Preisausdruck in Geld. Einzelne WarenbesitzerInnen wollen Produkte ihrer Mühe nur gegen Produkte von gleicher Mühe tauschen. Jedes Gut hat also einen geradezu natürlichen Wert in konkreter Arbeit.

Für MarxistInnen und Teile linker heterodoxer ÖkonomInnen ist der Preis ebenfalls Geldausdruck von Wert. Das ist aber die abstrakte menschliche Arbeit in einem Produkt. Der Preis eines Produkts oszilliert je nach Angebot und Nachfrage um seinen Wert, es fließt auch ein Durchschnittsprofit mit ein. Der Marktpreis ist daher nichts Willkürliches: Man versteht ihn nur aus diesen Werten heraus. Die Geldmenge beeinflusst die Preise nicht.

Für VertreterInnen der Neoklassik (Walras, Menger) ist etwas etwas wert, wenn es subjektiv nützlich und knapp ist. Statt objektivierten Produktionskosten wird der Preis durch „Grenznutzen“ des Konsumenten (Nachfrage) und „Grenzkosten“ der Produzentin (Angebot) im Tausch hin- und herverhandelt. Der Preis ist das Gleichgewicht davon. Die Geldmenge beeinflusst die Preise sofort: Wenn es weniger knapp ist, ist Geld für alle subjektiv weniger wert.

Der Wert von Champagner, Bitcoin und Sunkist

Für VertreterInnen der „österreichischen Schule“ der Nationalökonomie (Mises, Hayek) entstehen Preise überhaupt nur mehr in vielen Einzelfällen basierend auf Information und subjektiver Nützlichkeit. Champagner hat deshalb so hohen Wert, weil viele ihn lieber trinken, als Sunkist. Und weil der nächste Tauschende im Sunkist-Preis sieht, wie gern jemamd das letzte Mal Sunkist gehabt hat, tragen sich Preise ungefähr weiter (Preis ist Information!). Die Geldmenge beeinflusst Preise stark, aber kann die Werte von Sachen nie steigern. Geldpolitische Eingriffe stören daher die Gleichgewichtspreise und geben Grund für Finanzblasen. 

AnhängerInnen von Keynes schauen nur auf Preise, und fragen selten nach einem Wert. Die (zahlungskräftige) Nachfrage bestimmt die Preise. Die Nachfrage kann man aber steuern, ohne dass Preise steigen müssen: zum Beispiel über niedrige Zinsen, um die Investitionsnachfrage anzukurbeln. Die Geldmenge ist nicht das Entscheidende für die Preise. Preise und Werte, das kann in den ökonomischen Schulen schon verwirren.

Bei den KlassikerInnen und bei Marx wäre Bitcoin etwas wert, wenn (gesellschaftlich durchschnittliche) Arbeit für seine Erzeugung aufgewandt wurde. Neoklassik und Nationalökonomie versuchen, Bitcoin subjektiven Nutzen zuzuschreiben oder vom NULL-Wert auszugehen. Letzteres führt dazu, dass der Preis von Bitcoin wieder null werden muss.

Du bist noch nicht der größte Trottel

Es kann durchaus attraktiv sein, sich eine Zeit lang an der Blase zu beteiligen: Solange man meint, es finde sich schon noch ein größerer Trottel, der einem den Bitcoin abkauft. Das nennt sich „Greater Fool“-Theorie. Preise steigen eine längere Zeit, auch wenn alle wissen, dass etwas nichts wert ist. Der Preis entsteht dann als self-fulfilling-prophecy einzig aus der Vorwegnahme, dass andere glauben, der Preis steigt. Die OECD erklärt beispielsweise einen rasanten Preisanstieg von Bitcoin 2013 ausschließlich mit „Greater Fool“.

Wert der Ware Bitcoin

Behandeln wir Bitcoin als Ware können wir zunächst leicht feststellen, dass Bitcoin erzeugt werden. In Bitcoin steckt viel „tote Arbeit“, also Produkte, die die Bitcoin-Minerin selbst zukauft: Computer und Strom. Dafür wurde bereits menschliche Arbeit aufgewandt, die nun in die Bitcoin-Produktion übertragen wird. Bitcoin-Mining kommt aber nicht ohne menschliche Arbeit aus: Ein Computer kommt nicht auf die Idee, Bitcoin zu erzeugen. Die Verwandlung von Rechenleistung und Strom in eine neue Ware bleibt eine menschliche Handlung unter Zu-Hilfe-Name von Maschinen.

Tätigkeiten verschieben sich hin zu Planungs-, Steuerungs-, Kontroll- und Entwicklungstätigkeiten. Der technische Fortschritt, erzwungen durch die Konkurrenzsituation, erfordert, dass der Mensch die technischen Systeme, mit denen er/sie Bitcoin produziert, immer wieder erneuert. Es ist viel Einsatz von Investition und Innovation nötig, um im Wettstreit um die immer schwieriger zu erzeugenden Blocks bestehen zu können. Das beinhaltet Arbeit. Nicht umsonst heißt der Mechanismus zur Bitcoin-Erzeugung „Proof-of-Work“.

Arbeiten Maschinen für den Wert von Bitcoin?

Der technologische Fortschritt bringt es in vielen Bereichen mit sich, dass Waren durch minimalen Einsatz menschlichen Zutuns geschaffen werden. Es gab Zeiten, in denen konnte man Bitcoin mit einer Grafikkarte und dem eigenen Rechner daheim minen. Man war selbst Produzentin, setzte eine Maschine und Arbeitszeit ein (und sei es nur um Teile heranzuschaffen und zu warten) und streifte den geminten Bitcoin ein. Der produzierte Mehrwert wäre der Wert, um den der neue Bitcoin den aufgewandten Teil der Maschine und den Strom übersteigt. Anders läuft das heute, etwa in der Firma Greenidge Generation. Dort arbeiten mittlerweile dutzende Personen an riesigen sogenannten Mining-Rigs, bestehend aus 15.300 Servern. Die US-Firma erwarb ein eigenes Kraftwerk, um günstigeren Strom zu verwenden. Hier herrscht industrielle Bitcoin-Produktion. Die Angestellten erhalten einen Teil des Mehrwerts aus dem Mining als Lohn, den anderen Teil behalten sich die UnternehmenseigentümerInnen als Profit.

In Marx‘ politischer Ökonomie erzeugen Maschinen und Elektrizität keinen Mehrwert. Sie helfen aber der Mehrwertproduktion, in dem sie die Produktivkraft der menschlichen Arbeitskraft steigern. Das verbilligt die Produktion und lässt einen günstigeren Preis zu, mit dem man andere unterbieten kann. Die Maschine selbst ist aber bereits Wert, den die Kapitalistin als Input für ihre Produktion ankauft. Die Maschine gibt einen Teil ihres Werts in der Produktion des neuen Guts ab. Maschinen werden eingesetzt, wenn es die Konkurrenzsituation darauf anlegt. Im High-Tech-Kapitalismus ist der Einsatz von Maschinen und die konkurrenzgetriebene Innovation genauso die Regel, wie eintönige Fließbandproduktion durch Billigstarbeitskräfte. Wenn hundert Menschen die Rechenaufgaben im Bitcoin-Mining billiger lösen könnten, als die 15.300 Server der Firma Greenidge, würde das Unternehmen es durch menschliche Arbeitskraft erledigen lassen.

Krypto-Netzwerkeffekte

Der Wert einer Sache ist nichts Stoffliches, das ist in digitalen Zeiten leicht begreiflich. Er hängt davon ab, was es bräuchte, eine Sache zu (re-)produzieren. Darin fließt sogar ein, was in den letzten Jahren in der Krypto-Ökonomie an Markenwert und Netzwerkeffekten durch andere Coins und neue Einsatzmöglichkeiten erarbeitet wurde.

Von Wert und Müh‘

Damit etwas einen Wert hat, reicht es nicht, dass (Arbeits-)Mühe damit verbunden ist. Es muss einen Nutzen haben. Für viele ist das bei Bitcoin nicht ersichtlich. Die klassischen Beispiele für Gebrauchs- und Nutzwerte sind auch immer Stühle, Mehl und Leinwände. 

Der Nutzen von Bitcoin ist nicht für alle gleich, aber vielfältig: Als inflationsgeschütztere Geldanlage, als Zahlungsmittel, wenn traditionelle Kanäle nicht möglich sind (Stichwort Iran-Sanktionen), als anonymes Zahlungsmittel (hier sitzen einige dem Irrtum einer völligen Anonymität auf, Bitcoin ist aber pseudonym). Manche AutorInnen beschreiben einen psychologischen Nutzen, zu einer trendigen Community zu gehören. Vor allem aber ist Bitcoin alternative Geldanlage, eines der wenigen Assets, die im Niedrigzinsumfeld so richtig durch die Decke gegangen sind.

Nur etwas, das irgendeinen Nutzen für Viele hat, kann einen Preis haben. Knappheit alleine, die vor allem in der österreichischen Schule der Nationalökonomie den Grund für Wert sieht, ist noch kein Nutzen. Der Nutzen als Spekulationsobjekt kann jede Ware treffen, die schon einen Wert hat. Sämtliche subjektivistischen Theorien von Angebot und Nachfrage sind hier völlig nutzlos, weil sie nicht sagen, ob ein Preis weiter steigen kann. Ähnlich bei Krugmann: Vielleicht platzt die Bitcoin-Blase bald, vielleicht nicht.

Fassen wir zusammen:

Es ist keine schlüssige Erklärung für den Bitcoin-Preis, knapp und ein Spekulationsobjekt zu sein. Letzteres ist die Konsequenz davon, dass Bitcoin eine Ware mit Wert ist. Dass Bitcoin einen Nutzen hat, ist ausschlaggebend dafür, dass es getauscht wird. Die Höhe des Werts und damit ein Preis ergibt sich daraus noch nicht, da der Nutzen unterschiedlich für alle ist.

Folgt man Marx und KonsortInnen, wird sich der Preis immer wieder rund um die in Geld ausgedrückte gesellschaftlich durchschnittliche Arbeit bewegen, die in seiner Produktion aufgewandt wurde. Er wird nicht auf NULL platzen.

In Teil IV: Bitcoin ist für Viele ein Hafen für die drohende Hyper-Mega-Apokalypto-Inflation. Digitales Gold. Aber kann Bitcoin selbst keine Inflation haben? Könnte Bitcoin funktional vielleicht sogar Krisen verstärken? Wo sich neoliberale und kapitalismuskritische Voll-Geld-Afficionados einig werden.

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