FPÖ und ÖVP wollen im Zuge ihrer angekündigten Sparmaßnahmen die Bildungskarenz abschaffen. Sie machen damit kurzen Prozess mit den viel diskutierten Reformen der zunehmend in die Kritik geratenen Bildungskarenz. Auf lautstarken Protest dagegen wartet man vergeblich. mosaik-Redakteur*innen Agnes Sieben und Raphael Deindl zu den aktuellen Entwicklungen.
Die Bildungskarenz ist ein erstaunlich progressives Instrument der österreichischen Arbeitsmarktpolitik, von dem Arbeitnehmer*innen in vielen Ländern nur träumen können. Sie ermöglicht Arbeitnehmer*innen mit Einverständnis des Arbeitgebenden eine zwei- bis zwölfmonatige berufliche Auszeit für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. In dieser Zeit erhalten Bezieher*innen vom Arbeitsmarktservice (AMS) ein Weiterbildungsgeld in Höhe des Arbeitslosengeldes.
Nachdem das seit 1998 bestehende Instrument lange Zeit kaum in Anspruch genommen wurde, hat sich die Zahl der Leistungsbezieher*innen zwischen 2010 und 2021 auf knapp 14.000 mehr als verdoppelt. Eine daraufhin vom Rechnungshof in Auftrag gegebene Studie kritisiert die geringen zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung. Es handle sich demnach um mit „öffentlichen Mitteln finanzierte ‚Auszeiten aus dem Arbeitsprozess‘“. Diese nehmen noch dazu mehrheitlich Akademiker*innen in Anspruch.
Nicht nur von arbeitgebernaher Seite, sondern auch von der Arbeiterkammer und dem Gewerkschaftsbund gab es in den letzten Monaten Reformbereitschaft, auf die Kritik des Rechnungshofes zu reagieren. Die künftige Koalition aus FPÖ und ÖVP sieht für eine Reform nun keine Notwendigkeit mehr und zieht einen Kahlschlag vor. Durch die Streichung der Bildungskarenz erhofft sich die kommende blau-schwarze Regierung Einsparungen von rund 350 Millionen Euro.
„Das Reich der Freiheit beginnt erst da, wo das Arbeiten […] aufhört.“
Marx schrieb diese Worte im dritten Band des Kapitals, weil für ihn Lohnarbeit Zwang und Ausbeutung bedeutete. Doch kaum jemand kritisiert heute noch in dieser Radikalität die Arbeit an sich. Selbst in weiten Teilen der Linken ist das Arbeitsethos tief verwurzelt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Abschaffung möglicher Erwerbsunterbrechungen weniger auf lautstarken Protest als auf Schweigen stößt. Vielleicht haben die meisten während ihrer eigenen Bildungskarenz wirklich ein wenig durchgeatmet und die Vorzüge eines Lebens abseits des Arbeitsmarktes oder ohne Doppelbelastung von Arbeit und Ausbildung zu schätzen gelernt. Dafür sollte man sich nicht schämen, sondern sich für einen kurzen Moment in Freiheit wähnen.
Doch letztlich war die Bildungskarenz von Anfang an eher ein arbeitsmarktpolitisches als ein bildungspolitisches, geschweige denn lohnarbeitskritisches Instrument. Als sie 1998 von der Großen Koalition eingeführt wurde, diente sie der Verlängerung des faktischen Pensionsantrittsalters. 2008 wurden die Zugangsvoraussetzungen zur Bildungskarenz durch eine Reform erleichtert. Sie sollte im Zuge der Finanzkrise vor allem die tatsächliche Arbeitslosigkeit abfedern. Zeitweise konnten Unternehmen so Lohnkosten sparen und für das AMS unterscheiden sich die Kosten zwischen Bezieher*innen von Bildungskarenz und Arbeitslosengeld nicht.
So kann vielmehr davon gesprochen werden, dass Arbeitgeber*innen die Bildungskarenz teilweise missbrauchen, um Krisenzeiten zu überbrücken. Somit könnte die Bildungskarenz aus wirtschaftsliberaler Sicht derzeit wieder als arbeitsmarktpolitisches Instrument gerechtfertigt werden. Auch wenn viel vom Fachkräftemangel gesprochen wird, wird die angekündigte Sparpolitik vor allem eine Kündigungswelle auslösen. So kämpft beispielsweise der Fonds Soziales Wien mit einem großen Budgetloch, was bereits zu Stellenstreichungen im Sozialbereich geführt hat. Die heftig kritisierte Bildungskarenz, die eine gängige Praxis von Arbeitgeber*innen war, um sich Lohnkosten zu sparen, könnte somit sowieso am AMS hängen bleiben.
Frauen an den Herd
Die geplante Abschaffung der Bildungskarenz könnte Frauen besonders hart treffen. 2021 waren 74 Prozent der Bezieher*innen Frauen. Viele von ihnen nutzen die Bildungskarenz nach der Elternkarenz, um den Übergang abzufedern und durch Weiterbildungsmaßnahmen wieder ins Berufsleben einzusteigen. Eine Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) zeigt, dass sich dies positiv sowohl auf die Erwerbsbeteiligung als auch auf das Einkommen von Frauen auswirkt.
Die geplanten Kürzungen entsprechen somit dem Hausfrauentraum der anstehenden rechtsnationalen Regierung. Sie wollen Frauen mit Sorgeverpflichtungen lieber ganz vom Arbeitsmarkt verbannen. So sprach die FPÖ-Nationalratsabgeordnete Dagmar Belakowitsch bereits im Vorjahr von der dringenden Notwendigkeit, den Missbrauch durch den Ausbau der Elternkarenz zu beenden. Die FPÖ plant demgegenüber eine Herdprämie oder, wie sie es selbst lieber nennt, einen Kinderbetreuungsbonus. 80 Euro monatlich für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und deshalb keinen Kindergartenplatz in Anspruch nehmen. Bei der Diskussion ähnlicher Modelle auf Bundesebene wird immer wieder die „Wahlfreiheit“ zwischen Kindergarten und Betreuung durch Familienangehörige propagiert. Tatsächlich fehlen aber vielerorts ausreichend Kindergartenplätze. Die angedachte Herdprämie nimmt den Staat aus der Verantwortung für die Schaffung von Betreuungsplätzen und bürdet die Betreuungsarbeit den Frauen auf.
Obwohl theoretisch auch Väter den Kinderbetreuungsbonus beziehen könnten, zeigt sich, dass Frauen nach wie vor doppelt so viel Zeit im Haushalt und insbesondere bei der Kinderbetreuung 70 Prozent übernehmen. Die weitere Auslagerung staatlicher Verantwortung für Sorgearbeit in die Familien, wie sie von FPÖ und ÖVP in den Bundesländern forciert wird, bedeutet somit: weitere unbezahlte Arbeitsstunden für Frauen im Haushalt, jedoch mit einer deutlich geringeren finanziellen Unterstützung.
Identitätspolitik à la FPÖ
Reformbedarf hätte es bei der Bildungskarenz hinsichtlich einer Ausweitung tatsächlich gegeben. So zeigt die WIFO-Studie auch, dass die Hälfte der Bezieher*innen von Bildungskarenz mindestens einen Maturaabschluss hat. Für Geringverdiener*innen stellt das Weiterbildungsgeld, das wie das Arbeitslosengeld lediglich 55 Prozent des Nettoeinkommens beträgt (mit Aufstockung auf die Mindestsicherung), wenn überhaupt ein Existenzminimum dar.
Die von FPÖ und ÖVP parallel zur Abschaffung der Bildungskarenz angekündigten Sparmaßnahmen machen jedoch deutlich, dass es bei ihren Plänen keineswegs um eine Unterstützung von Geringverdiener*innen geht. Vielmehr geht es um eine Orientierung an den Interessen der Unternehmen. Denn so belastet die fast ausschließliche Konzentration auf Kürzungen auf der Ausgabenseite des Staatshaushaltes einkommensschwache Bevölkerungsschichten besonders stark.
Allerdings versucht die FPÖ ihre arbeitgebernahe Position zu kaschieren, indem sie einen sozialen Konflikt zwischen „gendernden“ Akademiker*innen und Arbeiter*innen inszeniert. Gleichzeitig trägt sie aktiv dazu bei, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft. Egal wie viel die Armen arbeiten. Zu schön für die FPÖ, wenn dann niemand mehr Zeit für (Weiter-)Bildung hat. Denn was die FPÖ unter Bildung versteht, ist ohnehin nur ihre eigene Wahrheit. So heißt es in ihrem Parteiprogramm, Wissenschaft diene „ausschließlich der Wahrheitsfindung und bedarf weder sachfremder Bevormundung noch vermeintlich volkspädagogischer Ausrichtung oder Rücksichtnahme“.
Die angekündigte Abschaffung der Bildungskarenz steht somit nicht zufällig an erster Stelle der künftigen Regierungspolitik. Sie entspricht damit nicht nur der FPÖ-Wahrheitspropaganda, sondern ist Bestandteil einer grundlegenden rechts-konservativen Familienpolitik, die in Österreich eine lange Tradition hat. Größere Kritik, geschweige denn Protest gegen die geplanten Kürzungen ist weitestgehend ausgeblieben. Es darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, welche negativen Auswirkungen die Streichung von Leistungen wie etwa der Bildungskarenz insbesondere für Frauen mit sich bringt.
Foto: Luca Niederdorfer