Ende Jänner hat mosaik mit einer Podiumsdiskussion sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Hannah Eberle war im Publikum. Der Abend endete für sie mit einem großen Fragezeichen: Warum war die Bewegungslinke nicht auf der Bühne vertreten? Ein Plädoyer, die Machtfrage als gesellschaftliche Linke zu stellen.
Seit mehr als 19 Jahren bin ich in antifaschistischen, sozialen oder klimapolitischen Bewegungen bzw. in Kämpfen um Selbstverwaltung aktiv. Seit ich in Wien lebe u.a. bei der Gruppe Zinnoberrot. Noch in Deutschland gehörte ich nicht selten zu jenen, die in Bündnissen und zu anderen Gelegenheiten mit Genoss*innen der Linkspartei zusammenarbeiteten oder zumindest diskutierten. In der Interventionstischen Linken (IL) nannten wir das einst, „an der gesellschaftlichen Linken arbeiten“ – an einer Linken, wo (radikale) Bewegungslinke, Parteilinke und auch Links-Intellektuelle sich gemeinsamen Strategiefragen widmen, um insgesamt gesellschaftlich wirkmächtig und sichtbar zu werden. Im Wissen, dass dafür immer wieder verschiedene Taktiken anzuwenden und kurzfristige Ziele unterschiedlich sind.
Eine gesellschaftliche Linke in Österreich?
Szenenwechsel: Das Badeschiff Ende Jänner. Ein Podium zu zehn Jahre mosaik. Auf der Bühne eine Publizistin, ein Journalist, eine Parteilinke und eine Stimme, die entschieden hat, ihre kritische Perspektive in der Arbeiterkammer einzubringen. Abwesend? Die Bewegungslinke. Nicht grundsätzlich, denn natürlich gibt es Kämpfe zur Verhinderung von Zwangsräumungen, feministische Basisgruppen und nicht zuletzt eine seit Jahren stetig aktive Klimagerechtigkeitsbewegung. Sie sitzen auch im Publikum, nicht aber auf dem Podium. Einmal mehr wird mir an diesem Abend allerdings klar, dass die Bewegungslinke in Österreich bei Fragen um Macht und Strategien einer gesellschaftlichen Linke keine Rolle spielt.
Woran liegt das? Haben die Genoss*innen von mosaik sie vergessen? Oder werden sie von den ehemaligen und aktuellen Redakteur*innen nicht als Element einer gesellschaftlichen Linken gesehen? Lassen wir das einmal offen. Eine für mich entscheidende These ist, dass sich die Bewegungslinke eine Rolle in realen, gesellschaftlichen Kämpfen zu wenig zuschreibt. Das hat einerseits mit Szeneduktus und aufgeladenen, oftmals falsch verstandenen Konzepten einer Identitätspolitik in der radikalen Linken zu tun. Aber nicht nur: Es hat auch mit fehlendem Selbstvertrauen zu tun und einer völlig falschen Ablehnung, sich Macht zuzuschreiben und sich dadurch zum Teil einer gesellschaftlich wirkmächtigen Linken zu machen.
Parlamentarische Macht verschafft Zeit
Dass die Bewegungslinke jedoch sehr wohl eine Rolle in solch einer Linken hätte bzw. eine starke Bewegungslinke unbedingt notwendig ist, lässt sich anhand der Diskussion am Badeschiff gut nachzeichnen. Natascha Strobl wirft – angesprochen auf die Machtfrage – ein, dass die Linke momentan jede mögliche Option der Macht nützen müsste, um dem aufkommenden und bereits vorhandenen Faschismus etwas entgegenzusetzen. Ich stimme ihr hier zu. Bezieht sich die Aussage allerdings ausschließlich auf die parlamentarischen Ebene, wie das in der Diskussion suggeriert wurde, ist das zu kurz gedacht. Weder eine Regierungskoalition der „Demokrat*innen“ oder eine erstarkende SPÖ oder KPÖ/Links können in den kommenden Jahren eine ausreichende Macht aufbauen. Menschen auf der rein parlamentarischen Ebene von einer notwendigen Kehrtwende zu überzeugen, geschweige denn diese durchzusetzen, ist nicht möglich.
Eine Macht auf parlamentarischer Ebene verschafft lediglich Zeit. Zeit, in der eine gesellschaftliche Linke insgesamt Macht aufbauen muss. Macht, in der die dem Faschismus absolut gegensätzliche Idee der Solidarität und der verallgemeinerbaren Bedarfsorientierung aller Menschen zu einem Projekt ausgebaut werden kann. Dies wird ohne eine Bewegungslinke, die in die direkte Auseinandersetzung mit anderen gesellschaftlichen Akteur*innen geht, die blockiert, wo es notwendig ist, die den Widerspruch aufzeigt und dadurch, Menschen zum umdenken bringt, nicht gelingen. Die parlamentarische Linke allein kann nicht von oben in die Gesellschaft einwirken, dies muss auch von unten geschehen – das ist (auch) die Aufgabe der Bewegungslinken.
Das Scheitern der Alternativen 2015
Die Bewegungslinke hat hierbei einen Vorteil. Um diesen zu verstehen, muss etwas ausgeholt werden. Lukas Oberndorfer hat uns auf dem Podium in das Jahr 2015 mitgenommen; in eine Zeit, in der emanzipatorische Bewegungen um Ideen stritten, die ein gutes Leben forderten. Das Interessante an dieser Zeit war nicht nur, dass Bewegungen und neu entstandene linke Parteien eine Zeit lang Hand in Hand arbeiteten, sondern, dass sie gemeinsam die Macht beanspruchten, einer weiteren Neoliberalisierung den Kampf anzusagen.
Ausgelöst durch die Finanzkrise 2008 erfuhren hunderttausende Menschen vor allem in Südeuropa Armut, den Abbau von Gesundheitsversorgung, eine sich verschärfende Ära eines abbauenden Sozialstaats und öffentlichen Eigentums. Diese Entwicklung des Kapitalismus – eine seiner größten Krisen – machte mit brutalem Antlitz eine neue Dimension alltäglicher spürbarer Instabilität und Unsicherheit deutlich. Vor diesem Hintergrund beanspruchten die Bewegungen Macht, dem neoliberalisierten Kapitalismus Einhalt zu gebieten. Sie forderten Demokratie, Solidarität und – so erzählt es Lukas – schlossen alltagspraktisch zum Beispiel kurzerhand Wohnungen wieder an das Stromnetz an, sobald sie (wie in Griechenland) auch parlamentarisch Macht errungen hatten.
Im Ergebnis war die gesellschaftlich-parlamentarische Macht dieser linken Alternativen nicht stark genug. Niedergeschlagen durch die EU wüten seitdem Krisen überall und schufen den Nährboden für Faschismus. Lukas Oberndorfer erzählt an diesem Abend meines Erachtens diese Geschichte, um dieses Scheitern in seiner nicht zu unterschätzenden Wirkung deutlich zu machen: Die Instabilität ist das Einzige, was aus dieser Zeit übrig geblieben ist. Menschen leben zunehmend ohne eine Versprechen auf Solidarität in teils bitterer Armut. Sie werden an den Grenzen abgewiesen, mitten in Zeiten von Militarisierung und Klimakrisen. Es gibt auch keine Linke mehr, die machtvoll eine Alternative durchsetzen oder auch nur vorstellbar machen kann.
Das Versprechen auf Stabilität aufgeben
In der bewussten Verkennung dieser Realität versprechen aktuell demokratische Parlamentarier*innen Stabilität. Doch auf welcher Basis? Und über welche Stabilität für wen sprechen sie? Wäre es nicht viel eher notwendig die Instabilität, die Unsicherheit zu benennen und deutlich zu machen, dass die Rahmenbedingungen, wie sie derzeit existieren, keine Stabilität für viele mehr ermöglichen? Das Versprechen lautet noch immer, dass immer größeres Wachstum zu mehr Wohlstand führt. Doch de facto führt es zu immer schlechten Arbeitsbedingungen, um in der Konkurrenz mithalten zu können. Jüngste Forderungen nach immer mehr Freiheit des Marktes, die „unsere“ Wirtschaft schützen, führen in Wahrheit zu einer vertieften Spaltung zwischen Arm und Reich und sicherlich nicht zu einer ökologischen Kehrtwende.
Das Argument ist, dass all das den Menschen zugute kommt. Nach der Niederschlagung jeglicher Hoffnung auf Veränderung , sprechen dieselben Politiker*innen davon, eine vermeintliche Stabilität gegen den Faschismus zu verteidigen. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller, für die Stabilität längst ein Fremdwort geworden ist. Demokratien werden abgebaut und Hoffnung zerstört. Deshalb darf die gesellschaftliche Linke nicht den Fehler machen, Stabilität zu versprechen, wo keine ist. Ein Dilemma für linke Parteien, die Wahlen gewinnen wollen – und angesichts des drohenden Faschismus auch müssen! Die Bewegungslinke hat den Vorteil ehrlicher und offener sprechen zu können: Das Versprechen auf eine neue Stabilität wird im Kapitalismus nicht einlösbar sein. Somit haben parlamentarische und Bewegungslinke aktuell zwei unterschiedliche Rollen und Aufgaben. Aber sie brauchen einander, um eine Alternative durchzusetzen.
Gemeinsam gegen den Faschismus
Damit zurück an den Anfang. Mein Plädoyer ist also eigentlich ein altes: (linke) Parteien und Bewegungen bzw. außerparlamentarische Köpfe haben verschiedene Aufgaben, doch sie brauchen einander. Das gilt erst recht und vor allem im Angesicht des Faschismus. Wenn die Bewegungslinke in diesen Zeiten die Machtfrage ernst nimmt, muss sie bündnisfähiger werden – mit linken Parteien, links-liberalen, zivilgesellschaftlichen Akteuren oder den „ganz normalen Bürger*innen“, die ein Unbehagen spüren. Wir können aber auch tiefer stapeln: Mindestens wäre es notwendig, sich als Bewegungslinke zusammenzuraufen, um sichtbare Momente wie in Deutschland gegen die AfD zu schaffen und sich dadurch als Gegenspieler des Faschismus aufzubauen. All das gelingt derzeit nicht.
Ein nächster Schritt wäre, sich entsprechend schnell auch in Wien zusammenzusetzen, egal ob Parteibuch oder keines – legal, illegal, scheißegal – und zu überlegen, wo es gemeinsame Möglichkeiten des Widerstands gibt. Und ein weiterer Schritt wäre eine entsprechende Selbstverständlichkeit und Offenheit als radikale, außerparlamentarische oder soziale Linke zu entwickeln, weil wir Einfluss auf die Geschichte nehmen wollen – und in zehn Jahren sitzen wir selbstbewusst auf vielen Podien – nicht nur bei 20 Jahre mosaik.
Foto: Franz Hagmann