Berlin: Aus für Links-Koalition. Wie weiter für soziale Bewegungen?

Sozialbau in Berlin mit Enteignen-Banner

Die konservative CDU erreichte im bisher rot-grün-rot regierten Berlin einen enormen Wahlerfolg und stellt wahrscheinlich das erste Mal seit 22 Jahren den regierenden Bürgermeister. Wie konnte es trotz der Bewegungserfolge der letzten Jahre dazu kommen und was bedeutet das Ergebnis für zukünftige Bewegungsarbeit? Darüber berichtet Simon Toewe.

Das Image von Berlin hat sich gewandelt: von „arm aber Sexy“ zur gescheiterten, „unregierbaren“ Stadt . Die CDU nutzte das geschickt für ihren Wahlkampf. Unter dem Motto „Die Stadt muss endlich funktionieren“ ist sie seit 22 Jahren erstmals wieder stärkste Kraft und stellt mit Kai Wegner voraussichtlich den neuen Bürgermeister. Eine Ironie der Geschichte. Denn 2001 war es noch ihre Verwicklung in den Berliner Bankenskandal, der sie das Amt kostete. Doch vor zweieinhalb Wochen ritt die CDU bei der Landtagswahl erfolgreich auf der Welle der Frustration vieler Berliner*innen über die notwendige Wahlwiederholung.  Diese Frustration erklärt auch die geringe Wahlbeteiligung von gerade einmal 62,9 Prozent.

Konservativer Sieg in Stadt der Revolte

Trotz des Wahlsiegs der konservativen CDU gibt es in Berlin weiterhin eine linke Mehrheit. Auch die Kämpfe sozialer Bewegungen in Berlin bleiben von besonderer Bedeutung für die gesellschaftliche Linke in Deutschland. Nicht umsonst hat die Stadt den Ruf des Rebellischen. „Spätestens im 19. Jahrhundert hatte sich der Drang zum Aufstand in der Berliner DNA festgesetzt“, schreiben Michael Sontheimer und Peter Wensierski im Vorwort zu ihrem Berlin-Portrait „Stadt der Revolte“.

Es ist kein Zufall, dass der Wahlkampf von Themen geprägt war, in denen soziale Bewegungen Organisierung aufgebaut und erfolgreiche Kampagnen geführt haben. An den Kämpfen um Wohnungs- und Verkehrspolitik spitzen sich die gesellschaftlichen Konflikte momentan am deutlichsten zu. Doch warum hat sich das Mobilisierungspotential der erfolgreichen Kampagnen nicht auf die Berlin-Wahl übertragen? Warum ist es nicht gelungen, sie zu einer Abstimmung über die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheid von „Deutsche Wohnen & co Enteignen!“ (DWE) und einer klimagerechten Mobilitätswende zu machen? Welche Auswirkungen hat eine wahrscheinliche CDU-SPD Koalition auf die sozialen Bewegungen in diesen Feldern?

Vergesellschaftung ausgebremst

Die Kampagne DWE hat mit ihrem Volksentscheid am 26. September 2021 einen riesigen Erfolg gefeiert: 59,1 Prozent votierten für eine Enteignung großer privater Wohnungskonzerne. Doch der Volksentscheid wurde vom ersten Tag an von Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verschleppt. Anstatt eine zügige Umsetzung des Volksentscheids voranzutreiben, wie vom Berliner SPD-Parteitag gefordert, setzte Giffey eine Expert*innen-Kommission ein. Sie sollte überprüfen, ob die geforderte Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände verfassungskonform sei. Eine Einhegungsstrategie, um sozialen Bewegungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, mit der bereits die deutsche Klimabewegung anhand der Kohlekommission Bekanntschaft machte.

In dieser Situation hat DWE mit dem Motto „Immolobby abwählen“ auf einen „Abwahlkampf“ gegen die SPD gesetzt. Vermittelt wurde dabei vor allem: Immobilienlobby = SPD. Eine Stimmung, dass die Nachhol-Wahl nun endlich zur Umsetzung des Volksentscheids führe, kam dennoch nicht auf. Ein Grund dafür: es fehlte eine realistische Machtoption. Nicht nur Giffey schloss die geforderte Vergesellschaftung aus. Auch die Grünen legten sich nicht auf ein klares „Ja“ zum Volksentscheid fest.

Nach der Wahl ist vor der Mobilisierung

Noch im Frühjahr will die Expert*innenkommission ihren Abschlussbericht veröffentlichen. Die Zeichen stehen gut, dass sie sich für die Verfassungskonformität eines Vergesellschaftungsgesetztes aussprechen wird. Die Mieter*innenbewegung wird rund um die Veröffentlichung des Kommissions-Abschlussberichtes ein politisches Bewegungsmoment aufbauen. Doch ohne Grüne und Linke in der Regierung fehlen die realpolitschen Druckpunkte. Stattdessen sitzt die Immolobby so fest im Roten Rathaus wie lange nicht mehr. Wegner und Giffey wollen um keinen Preis vergesellschaften. Daher verständigten sie sich in den Sondierungen auch nur auf ein völlig wage gehaltenes „Rahmengesetz“. Es ist offensichtlich, dass es sich dabei um ein taktisches Manöver handelt, mit dem sie vorgeben, dem Volksentscheid und der Expert*innen-Kommission Rechnung zu tragen und ihn gleichzeitig ins Leere laufen lassen.

Fahrrad vs. Autos

Der Kampf um die Berliner Verkehrspolitik ist vor allem ein Kampf gegen das „System Auto“. Also die Privilegierung des motorisierten und COo2-intensiven Individualverkehrs gegenüber klimafreundlicher Mobilität wie dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Zwar argumentierte die CDU in ihrem Wahlkampf, die Grüne Verkehrspolitik ziele auf eine einseitige Bevorteilung von Fahrrädern gegenüber Autos ab. Doch die Realität sieht anders aus: Steuerprivilegien für Dieselfahrzeuge oder Dienstwagen sowie ein stetiger Ausbau des Autobahnnetzes auf der einen Seite. Ein viel zu zögerlicher Ausbau des Berliner Radnetzes sowie eine stetige Verringerung des Schienennetzes der Deutschen Bahn in den vergangenen Jahrzehnten auf der anderen Seite. Eine Verkehrswende findet in Berlin bislang laut eines aktuellen Berichts von Changing Cities „nur in homöopathischen Dosen“ statt . Das Volksbegehren der Initiative „Berlin autofrei“, die den Autoverkehr innerhalb des S-Bahn-Rings weitgehend verbieten will, erklärte der Senat erst einmal für unzulässig und legte ihm dem Landesverfassungsgericht vor.

„Lobau Bleibt“ als Vorbild

Konflikt-Thema Nummer Eins in der Berliner Verkehrspolitik ist allerdings die Stadtautobahn A100: Unter dem Einfluss von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wurde Ende 2022 die Planung für die Fertigstellung bis 2035 in Auftrag gegeben. Allerdings hat sich der Berliner Senat mehrheitlich dagegen ausgesprochen. Denn bei kaum einem anderen Thema stehen Grüne und Linke so fest wie bei ihrem „Nein“ zum Weiterbau der Autobahn. Unter Schwarz-Rot dürfte sich das Blatt wenden und freie Bahn für den Bau sein. Nun schlägt die Stunde der Berliner Verkehrswendebewegung: Fahrrad-Demos mit tausenden Teilnehmer*innen und Baustellen-Besetzungen haben das Potential dieses Konflikts bereits angedeutet. Solange Grüne und Linke mitregierten, war die Gefahr des Autobahnbaus vorläufig gebannt. Jetzt wäre es an der Zeit, in die Offensive zu kommen und die A100 nach dem Vorbild von „Lobau bleibt“ in Wien zum nächsten Kristallisationspunkt der Verkehrswendebewegung zu machen.

Auto-Koalition trifft Immolobby

Es sind Kämpfe um öffentliche Infrastruktur und den öffentlichen Raum, die Berlin derzeit und wohl auch in Zukunft prägen. Die ‚Recht auf Stadt‘-Bewegung wird trotz einer gefühlten „Wahlniederlage“ weiter für ein Gesetz zur Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen kämpfen. Auch wenn unter einer CDU-SPD Regierung die Bedingungen dafür so schlecht wie nie stehen. Die steigenden Mieten lassen keine andere Wahl.

In Sachen Verkehrspolitik bleibt aus der Berlin-Wahl die Erkenntnis, dass sich damit von Links im Autoland Deutschland keine Wahlen gewinnen lassen. Das Thema mobilisierte eher das konservative Pro-Auto-Lager, das nun seine Auto-Koalition bekommt. Verkehrspolitisch werden CDU und SPD Berlin nicht nur bremsen, sondern weit zurückwerfen. Der Weiterbau der A100 steht dafür symbolisch wie kein anderes Projekt und dürfte Gegenstand massiver Auseinandersetzungen werden. 

Insgesamt bleibt angesichts von Schwarz-Rot für Bewegungen einmal mehr die Frage, wie sehr sie ihre Kampagnen eigentlich auf Wahltermine ausrichten wollen. Denn der tatsächliche Einfluss auf deren Ausgang und auf die Koalitionsbildung scheint außerordentlich begrenzt zu bleiben. Der Aufbau von Gegenmacht durch die Organisierung von Betroffenen jenseits von Parteilogiken und die Setzung eigener Themen und Termine sollten Priorität haben, egal welche Parteien regieren.

Foto: Uwe Hiksch

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