Vergangene Woche erklärte der Berliner Oberbürgermeister Michael Müller (SPD), dass er 65.000 Wohnungen des privaten Immobilienunternehmens Deutsche Wohnen zurückkaufen möchte. Bereits bis 2004 waren diese Wohnungen im Besitz der Stadt, wurden dann aber verkauft, um den Staatshaushalt zu sanieren. Auch damals wurde Berlin von der SPD und der Linkspartei regiert. Müller reagiert mit dem geplanten Rückkauf auf die immer größeren Proteste gegen die Missstände am Wohnungsmarkt der deutschen Hauptstadt.
Mosaik-Redakteur Moritz Ablinger hat mit Jonathan und Sanna von der Interventionistischen Linken Berlin über diesen Kurswechsel geredet. Die beiden sind in der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ und in Mieter*innen-Initiativen aktiv. Im Interview sprachen sie über die Skepsis gegenüber der Sozialdemokratie, die gesellschaftliche Akzeptanz für Enteignungen und die eigene Stärke.
Mosaik: Hat euch die Ankündigung von Bürgermeister Müller, 65.000 Wohnungen zurückzukaufen, überrascht?
Sanna: Ja, auf alle Fälle. Wir werden ab April Unterschriften für die Enteignung großer Immobilienunternehmen in Berlin sammeln und haben das auch angekündigt. Wir haben mit einer Reaktion gerechnet, aber dass sie so ausfällt, hat mich überrascht.
Jonathan: Aber bei allem Optimismus müssen wir misstrauisch bleiben. Uns war klar, dass uns die SPD Zugeständnisse machen und versuchen wird, so die Proteste einzudämmen. Die Ankündigung ist nicht sonderlich konkret: Es wird niemand enteignet und der Preis, zu dem die Wohnungen gekauft werden, ist noch völlig unklar. Wir haben noch lange nicht gewonnen.
Was heißt das für eure Arbeit?
Sanna: Die Diskussion um den Preis des Rückkaufs ist ganz zentral. Wenn sich die Landesregierung entschließt, marktübliche Summen zu bezahlen, wird das sehr teuer. Das sind völlige Fantasiepreise, die durch die Spekulation in die Höhe getrieben worden sind. Wir denken, dass bei einer Enteignung die Entschädigung für Deutsche Wohnen auch sehr viel niedriger ausfallen kann. Eine Enteignung nach Artikel 15 Grundgesetz, wie wir sie anstreben, kann nach nahezu allen bisherigen juristischen Kommentaren unter Marktwert erfolgen.
Jonathan: Ansonsten werden wir mit unserer Arbeit weitermachen. Einerseits läuft die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ weiter, schließlich ist ja noch niemand enteignet worden. Daneben wollen wir für einen Volksentscheid mobilisieren, der den Berliner Wohnungsmarkt radikal verändern soll. Das reicht von der Enteignung bis zur Vergesellschaftung der Wohnungen. Die Verstaatlichung kann nicht das Ende der Fahnenstange sein.
Was meinst du damit?
Jonathan: Wenn der Wohnraum in den Händen der Stadt ist, kann er bei nächster Gelegenheit wieder privatisiert werden. Das ist von der politischen Konjunktur abhängig. Außerdem sind ja die städtischen Eigentümer nicht demokratisch und haben in der Vergangenheit nicht gerade mieter*innenfreundlich agiert. Die Leute, die in den Wohnungen wohnen, können kaum Einfluss darauf ausüben, was mit ihrer Bleibe passiert. Das wäre bei einer Vergesellschaftung anders.
In einer Umfrage Anfang Jänner gab die Mehrheit der Berliner Bevölkerung an, dass sie kein Problem mit der Enteignung von Deutsche Wohnen hat. Wie erklärt ihr euch das?
Jonathan: Das hat einerseits sicher mit Deutsche Wohnen zu tun. Es gibt kein größeres Immobilienunternehmen in Berlin und es ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Mieten in den letzten Jahren durch die Decke gingen. Aber Deutsche Wohnen ist auch für die Mieter*innen nicht greifbar. Leute erzählen uns oft davon, dass ihre Heizungen oder Aufzüge nicht funktionieren, sie aber bei Deutsche Wohnen niemanden erreichen.
Sanna: Ein anderes Beispiel sind die „Energetischen Modernisierungen“. Da werden ganze Häuserblocks in Styropor gepackt, weil das Energie sparen würde, wie es heißt. Aber ob es wirklich besser dämmt oder nicht ist völlig egal. Deutsche Wohnen kann dann höhere Mieten verlangen. Das passiert ständig. Im Endeffekt geht es aber nicht um einen bösen Konzern. Deutsche Wohnen ist an der Börse notiert und ihr erstes Anliegen ist, dass ihre Aktionär*innen Gewinn machen.
Diese Probleme gibt es aber nicht nur in Berlin. Warum ist eure Mobilisierung so erfolgreich?
Sanna: Die Wohnungen waren hier lange Zeit relativ billig, zumindest im deutschen Vergleich. Heute zieht fast niemand mehr um, weil alle wissen, es gibt keine bezahlbaren Wohnungen mehr. Die meisten sind direkt von der Wohnungsmisere betroffen. Und weil Berlin eine arme Stadt ist, ist das Problem umso größer.
Jonathan: Da gibt es viele Faktoren. Die rot-rot-grüne Landesregierung eröffnet auch Spielräume für die Mieter*innenbewegung. Außerdem gibt es in Berlin seit Jahrzehnten eine starke außerparlamentarische Linke, die stärker ist als in anderen deutschen Städten.
Weil du das ansprichst: Seid ihr mit eurer Kampagne über das klassische linke Milieu hinausgekommen?
Jonathan: Ja, klar. Vor allem in Fragen der Selbstorganisierung zeigt sich deutlich, dass ganze Wohnhäuser zusammenarbeiten – und das sind eben nicht nur linke Student*innen. Die Menschen merken, dass sie sich nicht auf die Regierung und noch viel weniger auf ihre Vermieter*innen verlassen können. Die Probleme sind einfach zu krass.
Sanna: Wir haben auch ganz bewusst kommuniziert, dass es uns nicht um die Enteignung aller Wohnungseigentümer*innen geht. Wir wollen niemanden eine Wohnung abnehmen, für die er oder sie lange gespart hat. Uns geht es um die großen Immobilienunternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen. Das kommt gut an.
Kommen wir noch einmal zum Anfang zurück. Ihr habt den Verdacht, dass euch die SPD mit diesen Zugeständnissen ausbremsen will. Habt ihr Angst, dass das funktioniert?
Jonathan: Die Gefahr besteht natürlich. Aber ich denke, wir sind nicht die einzigen, die der SPD kein großes Vertrauen schenken. Die Partei war jahrzehntelang für die Stadtentwicklung zuständig und ist mit den großen Konzernen gut vernetzt. Das wissen nicht nur wir, sondern auch ein Großteil der Berliner*innen.
Sanna: Dazu kommt, dass wir jetzt erleben, was wir bewirken können. Der Politik waren die Missstände am Wohnungsmarkt lange Zeit völlig egal. Jetzt reden wir von Enteignungen und die Mehrheit der Bevölkerung hat kein Problem damit. Trotz aller Skepsis war die Ankündigung des Rückkaufs ein Riesenerfolg. Sie hat gezeigt, wie stark wir sind.