Das Theaterstück “Bei den Linken” handelt vom Versuch politischen Austauschs und daraus resultierenden Missverständnissen. Es zeigt der deutschsprachigen Linken eine humorvolle Außensicht und stellt dabei ein Thema ins Zentrum. Bewegungsfreiheit für alle.
„Wer sind diese Leute? Warum haben die diese alten Klamotten an? Die wollen uns helfen? Ich war so durcheinander“. Vor ertapptem Gelächter erzählt Riadh Ben Ammar in seinem neuen Theaterstück „Bei den Linken“ von ersten Begegnungen mit linken Aktivist*innen in Deutschland. Am vergangenen Samstag führte er das Stück in der Pankahyttn im 15. Wiener Gemeindebezirk zum ersten Mal vor Österreichischem Publikum auf. Nach dem Stück sagte er, dass er sich Sorgen gemacht habe, ob es in Wien auch funktionieren würde. Aber als er angekommen ist und gesehen hat, dass die Leute in der Pankahyttn die gleichen alten Klamotten anhaben wie die Leute in Berlin, da war er sich nicht mehr unsicher.
In „Bei den Linken“ verhandelt Riadh Ben Ammar seine Erfahrungen im Kontakt mit deutschen Aktivist*innen und Gruppen. Es ist eine humorvolle Erzählung, die der deutschsprachigen Linken auf eine wertschätzende, aber auch treffsichere Art den Spiegel vorhält und daran erinnert, die eigenen Praktiken zu hinterfragen und sich selbst manchmal ein bisschen weniger ernst zu nehmen. Im Kern geht es jedoch um Austausch und die dafür notwendigen politischen Änderungen. Ganz konkret, das Ende der geschlossenen Grenzen.
Vermittlung durch Humor
Riadh Ben Ammar ist Anfang der 2000er von Tunesien nach Deutschland gekommen und blickt in seinem neuen Stück auf über 20 Jahre politischer Auseinandersetzungen und Kämpfe zurück. Er selbst ist Mitbegründer des Netzwerks „Afrique Europe Interact“, das auch den Abend in der Pankahyttn veranstaltete. Nach verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen in den ersten Jahren entstand 2012 die Idee für eine neue Form der Vermittlung ihrer politischen Inhalte. Im Zuge des Projekts „Theater der Bewegungsfreiheit“ ist Riadh nun schon mit seinem dritten Theaterstück auf Tour. Das zentrale Thema all seiner Stücke ist ebendiese Bewegungsfreiheit. In “Bei den Linken” braucht es ein bisschen, bis diese Vision klar hervorkommt.
Bis dahin sorgt es aber für Unterhaltung und erzählt auf humorvolle Art von Demos und Plena, politischen Camps und Szenecodes. Das Wort, das Riadhs Charakter Sami wohl am häufigsten verwendet, um seinen Gefühlszustand zu beschreiben, ist “durcheinander”. Und natürlich ist es überspitzt dargestellt, aber es wird auch ganz klar, warum. Abläufe und Begriffe, die sich in deutschsprachigen linkspolitischen Kreisen etabliert haben, wirken aus einer Außenperspektive eher absurd und führen wohl auch zu Missverständnissen. “Was wollen diese Menschen in ihren alten Klamotten und ihren schwarz gestrichenen Häusern”, fragt sich Sami immer wieder, während er seine Hose bügelt.
Die Bühne als Spiegel
Das Stück führt nacheinander in – für uns Linke – bekannte Szenen. Eine schlecht besuchte Demo, nach der sich Sami fragt, was das denn gebracht hat, außer dass die Ausländerbehörde vielleicht ein paar von ihnen nun noch mehr im Blick hat. Oder die Erzählung des ersehnten ersten Ausflugs nach Berlin. Der Bus fuhr dann jedoch durch Berlin durch und Sami und sein Freund landeten in einem Politcamp irgendwo „in der Pampa“. Ein ganzes Wochenende nur Gemüse und vegane Brotaufstriche, schlafen im Zelt. Dazwischen wieder Plena und politische Debatten. Bemerkungen wie, die Klimabewegung hätte mehr Leute und „Kapazitäten“. Es wäre einfach leichter sich dort zu organisieren als in Unterstützungsgruppen für Migrant*innen, weil es psychisch nicht so anstrengend ist.
Nach dem Camp verbringt Sami ein paar Tage in Berlin und kommt in Kontakt mit Organisationen wie Alarm Phone und Seawatch. Wieder Verwirrung. Diese Menschen haben Schiffe gekauft? Die haben doch kein Geld. Dann die Auflösung. Viele der Aktivist*innen kommen aus dem Mittelstand, studieren und können ein gutes Leben führen. Das ermöglicht ihnen aber auch, das Leben abzulehnen, das sich viele wünschen. “Die sind Antikapitalisten, die hassen Geld”, erklärt Samis Freund. Immer wieder greift „Bei den Linken“ Themen und Szenen – mehrheitlich weißer – linker Bewegungen auf und zeigt sie aus der Perspektive von Migrant*innen. Das Stück zeigt die Bemühungen nach Austausch und Unterstützung und wie das eigentlich zentrale Thema manchmal in den Hintergrund rückt
Eine vermeintliche Utopie
Um wirklich in Austausch kommen zu können, müssen Menschen selbstbestimmt sein. Diese Selbstbestimmung kann sich auf verschiedene Weise ausdrücken. Bewegungsfreiheit ist eine davon. Sie ist zentral, um Menschen nicht nur in Extremsituationen die Flucht, sondern auch einfach das Menschsein zu ermöglichen. Riadh Ben Ammar erzählt nach dem Stück von einer andauernden und antreibenden Überlegung. Wie wäre sein Leben ohne Visum? Diese Frage formte auch seine Stücke.
Es sollte um offene Grenzen gehen und immer wieder diese scheinbare Utopie in Erinnerung rufen. Denn es ist noch gar nicht so lange her, dass die Situation noch anders war. Er erzählt von Reisen, die Menschen in Tunesien in den 70ern nach Sizilien oder Marseille gemacht haben und davon, wie sich die Lage seit den 90ern geändert hat. Menschen und Familien leiden nicht nur unter den geschlossenen Grenzen, die sie irgendwo draußen halten. Sobald sie einmal drinnen sind, kommen sie auch nicht mehr so leicht heraus. Niemand kehrt mehr zurück, auch wenn viele es gerne täten.
Bewegungsfreiheit als Grundrecht
Riadh kritisiert nach dem Stück in einer kurzen Ansprache ans Publikum den Spruch „Welcome to stay“. Natürlich sei es wichtig, Menschen dort zu unterstützen, wo sie gerade leben oder leben müssen. Es geht aber nicht nur darum, bleiben zu dürfen, sondern auch darum, zurückkehren zu können. Die aktuelle Grenzpolitik verhindert eben auch, dass Menschen zurückkehren. Sie wissen, dass sie den harten Weg zu einem Aufenthaltsstatus vermutlich kein zweites Mal erfolgreich bestreiten können. Das Ziel ist also echte Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung. Diese Wörter dürften nicht nur auf Flyern stehen, sondern müssten als konkrete und andauernde Forderungen im Vordergrund stehen. Es brauche Konzepte und politische Kräfte, die diese ernst nehmen und umsetzen wollen.
Und dabei gehe es, wie gesagt, nicht nur um die Möglichkeit der Flucht im Ernstfall. Es geht darum, jungen Menschen auf der ganzen Welt die Möglichkeit zu geben, diese sehen zu können. Jugendliche in Europa wollen doch auch andere Länder sehen und einmal für ein paar Monate etwas anderes erleben. Doch viele wollten dann auch wieder zurück. Das Grün hier wäre so langweilig geworden, doch von außen könne man es wieder wertschätzen. Riadh und „Afrique Europe Interact“ sehen in Bewegungsfreiheit einen zentralen Aspekt von Demokratien. Menschen müssen sich austauschen können und dafür braucht es offene Grenzen. Denn die Grenzen schaffen nur Diktaturen, sie schaffen keine Demokratien.
Riadh Ben Ammar ist aktuell mit zwei Stücken auf Tour und lebt mittlerweile von seinen Auftritten. Er freut sich über Anfragen für weitere Termine 2025. Mehr Infos dazu findet ihr hier.
Foto: Luca Niederdorfer