Rund 233 Euro zahlt jeder Österreicher und jede Österreicherin pro Monat für Autos, egal ob er/sie eines besitzt, oder nicht. Ungerecht, findet Rainer Stummer und fragt sich, warum die Sozialdemokratie die Aufgabe nicht wahrnehmen will, diese Situation zu beheben.
Am ersten Februar 2022 – dem Tag der Räumung des Protestcamps in Hirschstetten – schickte die SPÖ Wien per Newsletter folgende Zeilen an ihre tausenden Mitglieder:
Wien steht für Klimagerechtigkeit, das heißt der Schutz unserer Lebensgrundlage ist auch eine soziale Aufgabe. Im Mittelpunkt stehen daher Maßnahmen, die nicht nur gut für die Umwelt und das Klima, sondern auch gut für die Menschen sind. Darüber hinaus ist die Stadtstraße Teil eines klimagerechten und nachhaltigen Verkehrsgesamtkonzepts […].
Wie so oft versucht die SPÖ hier das Schlagwort der Klimagerechtigkeit mit jenem der Straße als sozialer Aufgabe in einen Sinnzusammenhang zu bringen. Um dies zu erreichen, geht sie sogar so weit, eine Dualität von Natur und Mensch anzudeuten. „Nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für die Menschen” suggeriert ein Entweder-Oder, das nicht zufällig mit den Schwerpunkten parteipolitischer Programme korrespondiert. Die behauptete Trennung soll eine Entsolidarisierung in der Vorstellung menschlichen Zusammenlebens bewirken: „Auto-Abgase sollen negative Auswirkungen auf das von allen geteilte Klima haben? There is no such thing! CO2-Ausstoß ist gut, wenn er den individuellen Wähler*innen nutzt!”
Rotes Greenwashing – Luftballons mit Abgasen füllen
Aber wem nutzt eine Autobahn wirklich? Zuallererst natürlich jenen, die darauf unterwegs sind: Autofahrer*innen. Und wie ich bereits anderswo darlegte und aus dem Newsletter-Auszug erneut deutlich wird, versucht die SPÖ den Luftballon der sozialen Gerechtigkeit mit den Abgasen des Autofahrens aufzufüllen, doch so wird er nicht abheben. Gerade am Wiener Modal Split – das ist die Verteilung der zurückgelegten Wege nach unterschiedlichen Verkehrsmitteln – zeigt sich, dass sich unter Erwerbstätigen Öffis, Räder und Fußwege größter Beliebtheit erfreuen. 62 Prozent legen hier ihre Arbeitswege im Umweltverbund zurück. In Restösterreich liegt dieser Wert mit 32 Prozent deutlich niedriger. Autofahren ist in Städten ein Minderheitenprogramm. Der auf das Auto angewiesene Arbeiter ist ein Mythos, gerade in Wien.
Die neoliberale, wirtschaftstreue Agenda der SPÖ lässt sich mittlerweile kaum mehr kaschieren: Im Namen von Bauwirtschaft und Standortentwicklung wird der Autobahnbau durchgesetzt. Zu Lasten aller kommender Generationen, gegen die Wissenschaft, gegen die Zivilgesellschaft. Da die türkise ÖVP ins rechts-populistische Lager gewechselt hat, fischt die SPÖ nun im Becken konservativer Wähler*innen und positioniert sich als bürgerliche Partei. Nichts führt das klarer vor Augen, als ihre Haltung zum Auto.
5.091.827 Autos waren in Österreich mit Stand 2020 zugelassen. Die Gruppe der Autobesitzer*innen ist ein nicht zu verachtender Wähler*innen-Pool, wenngleich der Autobesitz durch politische Maßnahmen regulierbar und keineswegs naturgegeben ist. Die Zahl der zugelassenen Autos möglichst hoch zu halten, steht im Interesse von Industriellen, Versicherern und Autolobbyisten gleichermaßen.
Verkehr frisst Österreichs CO2- Restbudget
Doch fossile Interessen lassen sich nicht mit dem Gemeinwohl in Einklang bringen: Der Verkehr macht die CO2-Einsparungen aus anderen Sektoren zunichte und verbraucht immer größere Teile unseres verbleibenden CO2-Budgets. Von den im Jahr 2019 in Österreich ausgestoßenen CO2- Emissionen von 79,8 Mt. (Megatonnen) machte der Verkehr 30 Prozent, also rund 24 Mt. aus.
Für den Zeitraum von 2021 bis 2030 errechneten Wissenschaftler*innen für Österreich ein CO2-Restbudget von 550 MtCO2eq., um auf dem 1,5 Grad- Zielerreichungspfad zu bleiben. Dieses wäre ohne Kursänderung bereits 2028 aufgebraucht. Das für 2040 errechnete Budget von 700 MtCO2eq. wäre schon 2030 überschritten – mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Umwelt. Angesichts der Ergebnisse dieser Berechnungen müssen wir uns die Frage stellen: Kann eine autozentrierte Verkehrspolitik überhaupt sozial sein?
Die sozialen Kosten der Autos – manche fahren, alle zahlen
Autobesitz und -nutzung verteilen sich nicht gleichmäßig in der Bevölkerung. Nicht jede*r hat ein Auto, weil sich nicht jede*r eines leisten kann und will. Im untersten Einkommensquartil leben 44 Prozent der österreichischen Haushalte autofrei. Im höchsten Einkommensquartil sinkt dieser Wert auf neun Prozent. Ein deutlicher Unterschied, der unter anderem mit den Kosten eines Fahrzeugs zusammenhängt. Und die Kosten des Autos sind für die meisten Menschen unerwartet hoch. Autobesitzer*innen schätzen die monatlichen Ausgaben für ihr Auto zumeist nur halb so hoch ein, wie sie wirklich sind.
Diese Schätzung betrifft wohlgemerkt nur die internen Kosten, also jene, die die Autonutzer*innen selber zahlen. Ein guter Teil der Kosten des Autoverkehrs wird jedoch externalisiert, d.h. der Gesellschaft aufgebürdet – manche fahren, alle zahlen. Die externen Kosten sind je nach Automodell unterschiedlich. Eine auf Deutschland bezogene Studie errechnete etwa für einen durchschnittlich genutzten Opel Corsa (Kleinwagen) 4674 Euro, einen VW Golf (Mittelklassewagen) 4755 Euro und einen Mercedes SUV 5273 Euro pro Jahr.
Mythos „Melkkuh der Nation”
Enthalten sind hier die Bepreisung von verursachter Luftverschmutzung, der Bodenzerstörung durch Fahrbahnen und der Instandhaltung genutzter Infrastruktur. Aber auch Lärm und Behinderung für andere Verkehrsteilnehmer*innen. Nachdem es sich um eine deutsche Studie handelt, können diese Werte für Österreich geringfügig anders ausfallen. Während ein Auto zwar gleich viel Luft verschmutzt, egal auf welcher Seite einer Grenze es sich befindet, sieht österreichische Infrastruktur etwas anders aus. Hierzulande ist das Autobahnnetz wesentlich dichter, die Kosten daher vermutlich höher.
Umgerechnet auf den KFZ-Bestand und die Einwohner*innen Österreichs bedeutet das, dass jeder Österreicher und jede Österreicherin monatlich 233 Euro fürs Autofahren zahlt. Egal ob er oder sie ein Auto nutzt oder nicht. Die jährlich vergesellschaftlichten Kosten pro Kopf überschreiten damit ein mittleres Nettomonatseinkommen bei Weitem. Die meisten von uns arbeiten also mehr als ein Monat pro Jahr, um den Reichen ihre Autofahrten zu finanzieren. Und die nächste Generation? Die kommt mit 15 Jahren und rund 42.000 Euro Autoverkehrs-Schulden aus der Schule. Sozial verträglich ist das nicht.
Nicht das Autofahren ist rechts, sondern seine politische Verteidigung
Nichts an dieser Situation ist gerecht. Nichts daran ist demokratisch. Eine zeitgemäße soziale Aufgabe wäre die Überwindung dieser Ungerechtigkeit. Das Bauen von neuer Autoinfrastruktur und die Verteidigung des aufs Auto zentrierten Mobilitätssystems unter seinen derzeitigen Bedingungen ist kein linkes oder sozialdemokratisches Projekt, sondern immer neoliberale Entsolidarisierung, Klassenkampf von Oben und Raubbau an der Zukunft anderer. Wer sich auf die Seite des Autos stellt, stellt sich gegen Mensch und Umwelt gleichermaßen. Hier liegt die eigentliche Dualität: im Sonderinteresse, das sich gegen das Wohl aller stellt.
Die Privilegierten empfinden Diskriminierung, wenn sie Gleichheit erfahren. Doch dass wir ein Mobilitätssystem aufrecht erhalten, das nur beim Bezahlen der Kosten Gleichheit verlangt, jedoch beim Verursachen der Probleme großzügig Ungleichheit zulässt, ist nicht länger tragbar. Darüber sollten wir 2022 nicht mehr streiten müssen.