Jenseits der Straßenschlachten – 25 Jahre Attac Österreich

Attac Österreich Sommerakademie

Attac Österreich feiert seinen 25. Geburtstag. mosaik-Redakteur Hannes Grohs war bei der Pressekonferenz zum Jubiläum und hat mit Beteiligten gesprochen. Eine Reportage von Seattle bis nach Wien.

Scheiben zerbersten unterlegt von dramatischer Musik. Bilder von Polizisten, die Tränengas einsetzen, flimmern über die Leinwand. Es kommt nicht häufig vor, dass linke Proteste die Vorlage für Blockbuster-Filme liefern. Bei „Battle in Seattle“ ist das anders. Der 2007 veröffentliche Film basiert auf dem Widerstand, der sich 1999 in den Straßen der us-amerikanischen Stadt Seattle Bahn brach. Der Protest richtete sich gegen das Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation – WTO. Schnell geschnitten zeigt der Film gut organisierte Demonstrierende, die in ‚affinity groups‘ (Bezugsgruppen) Straßen sperren; Polizisten, die hin- und hergerissen sind, zwischen ausführender Gewalt und Privatleben; und nervöse Politiker*innen, die um den Erfolg ihres Gipfels fürchten. Selbstverständlich – und zu recht – führte die Sensationalisierung (und Vereinfachung) der Proteste im Film zu Kritik. Dennoch ist er ein Zeitzeugnis der Hochphase der globalisierungskritischen Bewegung. Diese organisierte sich ab den späten 1990er-Jahre gegen die Macht von Weltbank, WTO und Co.

Es ist diese Zeit der Hochphase, in der sich auch in Österreich die globalisierungskritische NGO Attac gründete. Mit Blick nach Frankreich, wo die „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger“ (association pour la taxation des transactions financières et pour l’action citoyenne) bereits 1998 ins Leben gerufen wurde, entsteht 2000 auch hierzulande eine entsprechende Organisation. Ihr Ziel: eine grundlegende Kritik am neoliberalen Kapitalismus mit Fokus auf die globalen Finanzmärkten und ihre Akteur*innen.

25 Jahre Attac Österreich

25 Jahre später erinnert an einem Dienstagvormittag in der Blumenfabrik in Wien Neubau nur mehr wenig an die Auseinandersetzungen in den Straßen von Seattle. Ihr Geist ist aber trotzdem da. Denn Attac Österreich hat anlässlich seines Gründungsjubiläums zur Pressekonferenz geladen. Am Podium sitzen Alexandra Strickner und Lena Gerdes. Alexandra war Gründungsmitglied und langjährige Obfrau von Attac Österreich. Lena wird ab Juli das Amt der Geschäftsführerin übernehmen. Der dritte Platz an dem länglichen Tisch des Podiums gehört Kurt Bayer. Als ehemaliger Exekutivdirektor der Weltbank und ehemaliger Gruppenleiter für österreichische und internationale Wirtschaftspolitik im Finanzministerium steuert er zusätzliche inhaltliche Expertise bei.

Die Pressekonferenz beginnt mit einem Rückblick Alexandras auf ein Vierteljahrhundert Attac in Österreich. Die nunmehrige Geschäftsführerin von Global2000 beginnt bei der Rolle von Attac als Mahnerin vor wirtschaftspolitischen Verwerfungen, die sich in der Finanzkrise 2007/08 bestätigen sollten. Sie berichtet von politischer Bildungsarbeit. Attac sei es gelungen, wirtschaftspolitisches Wissen als Spezialwissen zu entmystifizieren und breiter zugänglich zu machen. Und sie erinnert an Kampagnen von internationalem und kollektivem Ausmaß. Diese sollten Handelsabkommen wie das Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommen (TTIP) zu Fall bringen. Alexandra streicht aber auch hervor, dass es Attac Österreich immer wichtig war, Alternativen aufzuzeigen – unter anderem im Rahmen der Allianz Wege aus der Krise oder auch im Kontext der Nyéléni-Bewegung für Ernährungssouveränität.

Attac Österreich Kampagne TTIP Stoppen
Die Kampagne TTIP STOPPEN war einer der großen Erfolge | (c) attac Österreich

Eine schwindende Weltordnung

Kurt Bayer setzt das Handeln von Attac Österreich anschließend in einen geopolitischen Kontext. Dabei beginnt er mit der Feststellung, dass die regelbasierte, liberale Weltordnung bzw. die sogenannte Pax Americana gegenwärtig an ein Ende gekommen sei. Wären seit Ende des 2. Weltkriegs Angelegenheiten, die die Welt betroffen hätten, noch in Institutionen wie der Weltbank, Weltwährungsfonds und WTO besprochen worden, sei diese Zeit heute vorbei. Spätestens seit der Finanzkrise 2007/08 habe sich das kooperative Modell der globalen Weltordnung zusehends aufgelöst. Wobei Kurt Bayer unterstreicht, dass dieses kooperative Modell nie ein ausgewogenes war. In der Nachkriegsordnung dominierten westliche Staaten die entsprechenden Institutionen und sorgten auch dafür, dass das so blieb. Dagegen regte sich Widerstand. Dieser fand unter anderem in der Gründung des BRICS-Länderbündnis Ausdruck.

Die Situation sei angesichts der derzeitigen Umbrüche offen. Die Zukunftsperspektiven, die Kurt Bayer zeichnet, sind jedoch eher düster. Eine Reform der jetzt zerfallenden Institutionen sei illusorisch. Für wahrscheinlicher hält er eine Aufteilung der Welt in einzelne, von den USA, Russland und China dominierte Einflusszonen oder eine noch stärkere Fragmentierung der Weltwirtschaft. Auch ein Zustand, in dem – wie aktuell – Chaos und das Faustrecht der Stärkeren auf längere Zeit herrschten, sei nicht auszuschließen.

Was tun, wenn alles zerfällt?

Eine schwierige Ausgangslage für Attac – setzte die NGO doch mit ihrer Kritik am neoliberalen Kapitalismus und ihren alternativen Vorschlägen dazu oft an bestehenden Regulatorien an. Doch was tun, wenn alles zerfällt? Darauf gibt Lena in ihren abschließenden Ausführungen keine Antwort. Stattdessen stellt sie die Forderungen von Attac auf drei alt bekannte Säulen: Globale Kooperation und Solidarität, soziale und ökologische Regionalisierung in Europa und Demokratisierung der Wirtschaft. Ziel seien Kooperationsabkommen, die den Schutz von Mensch und Natur anstatt Profite ins Zentrum stellten. Menschen- und Arbeiter*innenrechte müssen hierbei genauso gestärkt werden, wie jene indigener Gemeinschaften und des Klimaschutzes. Die Stichworte Transparenz und Mitbestimmung fallen ebenso wie Grundbedürfnisorientierung und sozial-ökologische Transformation.

Aktion von Attac Österreich
Standardrepertoire von Attac: kreative Fotoaktionen. Hier anlässlich der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft 2018 | (c) attac Österreich

Im Grunde genommen alles Ziele, auf die sich aus emanzipatorischer Sicht schnell geeinigt werden kann. Doch wie lassen sie sich angesichts der aktuellen Kriege, dem damit verbundenen Wettrüsten sowie der schwindenden Lösungskompetenz politischer Institutionen verwirklichen? Dazu stellte Lena nur eines klar: Gesellschaftliche Veränderungen sind eine Frage von sozialen Kämpfen. In welche Richtung sich Machtverhältnisse verschieben, hängt auch davon ab, wie wirksam soziale Bewegungen wie Attac sind.

Attac Österreich aus Bewegungsperspektive

Steilvorlage also für das Gespräch, das ich nach der offiziellen Pressekonferenz mit Alexandra und Lena führe. Kurz heißt es aber noch warten. David – der Attac-Presseverantwortliche – drückt den Zweien abwechselnd das Handy in die Hand. Das Ö1-Mittagjournal hat zum Interview gebeten. Danach können wir uns dem gemeinsamen Gespräch widmen und Attac aus einer etwas anderen Perspektive besprechen – der Bewegungsperspektive. Attac Österreich ist nämlich nicht nur der NGO-Thinktank mit Büro in Wien und Expertise zu globaler Wirtschaft und Steuergerechtigkeit. Attac ist auch eine soziale Bewegung mit quer über das Land verteilten Aktivist*innen, Inhaltsgruppen und Kennenlern-Abenden.

Dass das auch schon von Anfang an so war, bestätigt Alexandra. Die Gründung von Attac Österreich vor 25 Jahren sei ein Bottom-Up-Prozess gewesen. Anders als in Frankreich oder auch Deutschland hatten sich die Initiator_innen dagegen entschieden, Attac als Zusammenschluss bestehender Organisationen zu gründen. Attac Österreich sollte eine von Mitgliedern getragene Bewegung sein – lokal verankert und international vernetzt.

Zwischen globalen Netzwerke und Regionalgruppen

Dass sich das bis heute nicht verändert hat, macht Lena deutlich. Kooperationen gäbe es auf verschiedensten Ebenen mit verschiedensten Organisationen. Das europäische Attac-Netzwerk bestehe weiterhin. Gleichzeitig ist Attac Österreich Teil von Zusammenschlüssen wie anders Handeln, der Europäischen Trade Justice Coalition oder der Global Alliance for Tax Justice. Auch beim Thema Ernährungssouveränität mische man mit oder zuletzt bei den Protesten gegen die European Gas Conference in Wien.

Zur selben Zeit hat Attac auch nie sein Ziel aus den Augen verloren, in ganz Österreich regional verankert zu sein. Auch hier betont Alexandra, dass es von Anfang an eine bewusste Entscheidung war, Regionalgruppen zu gründen. Bis heute sei hier das Zusammenspiel zwischen Büro in Wien und den einzelnen Gruppen wichtig, ergänzt Lena. Das Büro stelle Infrastruktur, Informationen und sei Ansprechpartnerin. Gleichzeitig hätten die Gruppen vor Ort die Freiheit, ihre eigenen Ideen und Aktionen zu entwickeln. Auf Versammlungen oder Sommerakademien kämen die verschiedenen Gruppen und Aktivist*innen dann auch regelmäßig zusammen. Diese Momente seien wichtig, um das Gefühl des Ganzen zu stärken, sich auszutauschen und voneinander zu lernen.

attac Österreich Sommerakademie 2023
Diskussionen in der Turnhalle bei der Sommerakademie 2023 in Traiskirchen | (c) Attac Österreich

Auch das gemeinsame Feiern von Erfolgen sei wichtig. Darum freuen sich Lena und Alexandra auch schon auf das Festival zu 25 Jahre Attac, das vom 19.-21. Juni im Wiener WUK stattfinden wird. Neben inhaltlichen Workshops, Rückschauen und ‘Stargästen’ wie Didier Eribon bietet das Festival auch Musik und ausgelassen Stimmung und die Möglichkeit „zu sehen wie viele wir sind“, wie Lena es beschreibt und so „die Bewegung Attac zu stärken“.

Keine Illusionen

Sowohl eine starke Bewegung als auch die Vielen wird es brauchen. Denn weder Alexandra noch Lena geben sich Illusionen hin, dass die aktuellen Zeiten nicht herausfordernd wären. Während der Generationenwechsel innerhalb von Attac Österreich gut gelungen sei, sehe sich die Organisation gegenwärtig einer politischen Phase gegenüber, in der sich die zivilgesellschaftlichen Spielräume verringern, so Alexandra. Nicht nur in der EU werden soziale und ökologische Errungenschaften gerade massiv angegriffen. Angesichts dieser Attacken spricht Alexandra davon, dass die Kämpfe um soziale und ökologische Sicherheit über Organisationsgrenzen hinweg, in Abstimmung und kollektiv angegangen werden müsse.

Bei diesen Kämpfen gehe es nicht nur darum, dagegen zuhalten, sondern auch die eigenen Alternativen voranzubringen, ergänzt Lena. Die primäre Aufgabe sei, die Krisen zu benennen und gleichzeitig mit den Alternativen Hoffnung zu machen und zum Aktiv werden aufzurufen. Dafür seien verschiedene Formate notwendig, die Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen die Teilnahme ermöglichen. Zusätzlich brauche es aber auch neue Strategien, betont Alexandra. Denn die Gegenwart zeichne sich durch eine besorgniserregende Dramatik aus.

Vom „Battle in Seattle” in die Gegenwart

Dass auch die Vergangenheit dramatisch war, zeigt der Film „Battle in Seattle“. Natürlich ist er fiktiv ausgeschmückt. Doch die Ereignisse, die darunter liegen, sind real. So wie auch der Tod von Carlo Guiliani. Der 23-jährige wurde im Zuge der Proteste gegen den G-8 Gipfel in Genua von einem italienischen Carabinieri erschossen. Die Proteste 2001, die von enormer Polizeigewalt begleitet waren, stellten einen weiteren Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung dar. Sie sollte in der Folge noch zusätzliche Widerstandsformen wie die Einrichtung des Weltsozialforum und ihrer regionalen Ableger finden.

Fragt man Lena und Alexandra nach Kontinuitäten aus dieser Zeit, so bestehen diese weniger in einem Niedergang oder Zerschlagung, sondern vielmehr in einer Transformation der globalisierungskritischen Bewegung. Der Fokus habe sich verschoben. Erfahrungen, Skills und Fähigkeiten seien etwa in den Aufbau der Klimabewegung und entsprechende Proteste eingeflossen. Netzwerke bestünden weiter und könnten schnell aktiviert werden – wie die Proteste gegen TTIP und CETA gezeigt haben. Die Vielschichtigkeit der Krisen erfordere es an den Schnittpunkten der verschiedenen Krisenphänomene zusammenzuarbeiten. Das nehme den Fokus von einer großen Bewegung. Stattdessen rücke es die Zivilgesellschaft mit den vielen verschiedenen Themen an sich in den Mittelpunkt.

Proteste gegen die European Gas Conference 2023
Mit Tausenden auf der Straße: Proteste gegen die European Gas Conference 2023 | (c) Bianka Csenki

Es ist diese Zivilgesellschaft, der Attac Österreich versucht seit 25 Jahren eine politische Form und Struktur zu geben. Dabei ist vieles gelungen. Wie sich heute darauf aufbauen lässt, ist die Frage der Zeit. Denn sowohl Lena als auch Alexandra machen deutlich: Es braucht starke soziale Bewegungen, die in der Arena der gesellschaftlichen Machtverhältnisse mitmischen.

Veranstaltungshinweis:
Von 19. bis 21. Juni 2025 feiert Attac das 25-jährige Bestehen mit einem großen dreitägigen Festival mit internationalen Gästen wie Didier Eribon, Diskussionen, Workshops & Konzerten. Alle Informationen: www.attac.at/festival

25 Jahre Attac. Das Festival.
Donnerstag, 19. Juni bis Samstag, 21. Juni 2025
WUK – Werkstätten- und Kulturhaus, Währinger Straße 59, 1090 Wien

Titelfoto: Attac Österreich

Spenden CTA Image

Dir hat der Text gefallen?

Unsere Texte sind für alle gedacht, und alle sollen unsere Texte lesen können. Allerdings ist unsere Arbeit nur durch die Unterstützung unserer Leser*innen möglich. Nur durch freiwillige Spenden können wir linken, kritischen, unabhängigen Journalismus in Österreich weiterführen – jeder Betrag hilft uns!

Nach oben scrollen