Wir machen uns die Arbeit, wie sie uns gefällt

Was wir statt des 12-Stunden-Tages brauchen ist eine Diskussion darüber, wie wir gesellschaftliche Arbeit neu organisieren können. Ist Arbeitszeitverkürzung die richtige Antwort? Ein Blick hundert Jahre zurück auf die österreichische Rätebewegung eröffnet neue Perspektiven.

Am 1. September trat der von ÖVP, FPÖ und NEOS beschlossene 12-Stunden-Tag in Kraft. Bereits Ende Juni rief die Gewerkschaft zu einer Großdemo in Wien auf, 100.000 Menschen nahmen daran teil. Zu weiteren Kampfmaßnahmen wie einem Generalstreik kam es bisher jedoch nicht.

Zwischenfazit: Die Empörung über den 12-Stunden-Tag ist groß, der Protest bisher verhalten, die skandierten Sprüche mal mehr, mal weniger kreativ. Viele meinen, dass der 12-Stunden-Tag eine „rote Linie“ verletzt. Allerdings stellt die aktuelle Arbeitszeitverlängerung nur den Höhepunkt einer schon länger andauernden Flexibilisierungsoffensive von UnternehmerInnen und ihren politischen VertreterInnen dar. Bereits ab den 1990er-Jahren begann in Österreich eine arbeitszeitpolitische Flexibilisierung. Schritt für Schritt wurde seither die mögliche Maximalarbeitszeit ausgedehnt und die Auszahlung von Überstundenzuschlägen vermieden. Die aktuelle schwarz-blaue Regierung ist also nur konsequent, wenn sie im Jahr 2018 den 12-Stunden-Tag umsetzt.

Was es braucht: Arbeitszeitverkürzung…

Das Ziel des Widerstands gegen den 12-Stunden-Tag sollte nicht die Beibehaltung des 8-Stunden-Tags sein. Realität ist die 40-Stunden-Woche soundso für immer weniger Beschäftigte; prekäre, atypische und Teilzeitarbeit sind hingegen auf dem Vormarsch. Daneben stellt sich jedoch auch die Frage: Wie lange wollen wir überhaupt arbeiten? Für eine Verkürzung der wöchentlichen Erwerbsarbeitszeit auf 20, 25 oder 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich spricht vieles.

Ein offensichtlicher Widerspruch ist das Verhältnis zwischen Arbeitslosigkeit und Überstunden: Während in Österreich im EU-Vergleich die Zahl der Überstunden besonders hoch ist, gibt es fast 400.000 arbeitslose Menschen. Arbeitszeitverkürzung hat das Potenzial, Überstunden zu reduzieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Auch aus einer feministischen Perspektive birgt Arbeitszeitverkürzung radikales Potenzial, immerhin fordert sie die herrschende geschlechtliche Arbeitsteilung heraus. In Österreich arbeiten besonders viele Frauen in Teilzeitjobs und sind daher selten in der Lage, ein existenzsicherndes Einkommen bzw. eine Pension zu beziehen. Die hohe Teilzeitrate ergibt sich auch aus der Zuständigkeit von Frauen für unbezahlte Familien- und Hausarbeit. Putzen, waschen, kochen, Kinderbetreuung und die Pflege von alten oder kranken Familienmitgliedern erledigen noch immer zu zwei Drittel Frauen. Geschlechtliche Arbeitsteilung im Haushalt und am Arbeitsmarkt hängen also zusammen und verstärken sich gegenseitig.

Es ist überfällig, unbezahlte und bezahlte Arbeit neu zu organisieren. Durch eine Arbeitszeitverkürzung wird selbstverständlich auch Zeit frei, um sich Lebensbereichen abseits von Erwerbsarbeit zu widmen. Die Verkürzung von Arbeitszeit ermöglicht Lohnabhängigen einige Stunden mehr pro Woche, die sie selbstbestimmt gestalten können. Darunter kann mehr Zeit für sich selbst, für FreundInnen, Verwandte, politisches oder ehrenamtliches Engagement, Bildung, Hobbys und anderes fallen.

…und Neuorganisierung von Arbeit

Der Kampf für Arbeitszeitverkürzung kann ein erster wichtiger Schritt sein, um die Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems und gleichzeitig eine Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben aufzuzeigen. Neben der Frage „Wie lange wollen wir arbeiten?“ drängt sich jedoch auch die Frage „Wie wollen wir arbeiten?“ auf. Wie wollen wir produzieren, konsumieren und gesellschaftlichen Reichtum verteilen? Diese Fragen versuchte bereits im Jahr 1918 die österreichische Rätebewegung zu beantworten. Wenn heute 100 Jahre Republik Österreich gefeiert wird, gerät die widersprüchliche Entstehung dieser Republik mitsamt historischen Entwicklungen wie der österreichischen Rätebewegung allzu oft in Vergessenheit.

Die Radikalisierung von ArbeiterInnen (u. a. aufgrund von Hungersnot, Krieg, niedrigen Löhnen) führte zum „Jännerstreik“ 1918, der sich über Teile Wiens, Nieder- und Oberösterreichs, der Steiermark sowie Böhmen, Mähren, Galizien und Ungarn erstreckte. Im Zuge des „Jännerstreiks“ wurden nach russischem Vorbild Räte gewählt; die Produktion sollte ab sofort von unten kontrolliert und planmäßig von der Gesellschaft verwaltet werden. 100 Jahre nach Scheitern der Rätedemokratie in Österreich ist die Notwendigkeit einer Neuorganisierung und kollektiver Selbstbestimmung von gesellschaftlicher Arbeit aktueller denn je. Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung kann ein erster Schritt in diese Richtung sein.

Der Text erschien in der Festivalzeitschrift der diesjährigen WIENWOCHE, die mosaik produzierte. Das Festival dauert noch bis zum 23. September.

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