Das Apple-Proletariat. Wie chinesische Arbeiter_innen für iPhones und MacBooks ausgebeutet werden

Heute eröffnet Österreichs erster offizieller Apple-Store in der Wiener Kärntner Straße. Hergestellt werden die schicken iPhones und MacBooks in chinesischen Fabriken, zu niedrigsten Löhnen und unter erbärmlichen Bedingungen. China-Experte Daniel Fuchs berichtet im Interview, wie Apples ArbeiterInnen ausgebeutet werden, wie sie sich zur Wehr setzen und wie wir sie am besten unterstützen können. 

mosaik: Wenn ich mein iPhone umdrehe, steht da: „Designed by Apple in California. Assembled in China“. Warum lässt Apple seine Geräte gerade in China herstellen?

Daniel Fuchs: Das hat drei Gründe. Erstens ist die Produktion von iPhones und anderen Elektronikgeräten dort billig, weil die Löhne relativ niedrig sind. Apple lagert die Produktion an sogenannte Auftragshersteller aus, um Kosten zu sparen. Ein zweiter Grund ist, dass Arbeitskräfte in China sehr gut ausgebildet sind. Es gibt etwa einen großen Pool an gut ausgebildeten IngenieurInnen, die in der Hochtechnologieproduktion eingesetzt werden können. Und drittens gibt es in China etablierte, gut strukturierte Zulieferketten. Das reicht von Einzelteilen, die in Mobiltelefonen oder Laptops verbaut werden, bis zu Rohstoffen wie seltenen Erden, die für die Herstellung von Mikrochips gebraucht werden.

Das Produktionsmodell funktioniert so, dass Markenunternehmen wie Apple keine eigenen Fabriken und Auftragsunternehmen wie etwa Foxconn keine eigenen Marken haben. Foxconn ist der wichtigste Auftragshersteller für Apple. In der Hochphase, im Jahr 2012, waren 1,3 Millionen Menschen weltweit bei Foxconn beschäftigt, davon über eine Million alleine in China. Mittlerweile ist die Zahl der Beschäftigten aufgrund von Automatisierung und des Einsatzes von Robotern auf 870.000 gesunken. Sie arbeiten nicht nur in den mehr als 30 Produktionsanlagen in China, sondern auch an Standorten etwa in Brasilien, Indien und Mexiko sowie in Ungarn, Tschechien oder der Slowakei.

In den chinesischen Foxconn-Fabriken sind mehr als 80 Prozent der Beschäftigten sogenannte WanderarbeiterInnen, die aus den ländlichen Gebieten Chinas in die Industriezentren migrieren. Die meisten sind sehr jung, zwischen 16 und 25 Jahre alt, rund 40 Prozent sind Frauen.

Foxconn kam ja weltweit in die Medien, als im Jahr 2010 eine Selbstmord-Serie unter Foxconn-ArbeiterInnen bekannt wurde.

Ja, damals haben sich innerhalb von zwölf Monaten 14 Foxconn-ArbeiterInnen umgebracht, vier weitere wurden bei Selbstmordversuchen verletzt. Foxconn hat darauf zunächst reagiert, indem sie Auffangnetze rund um die Fabriksgebäude und Wohnheime gespannt haben.

Aber auch danach gab es weitere Selbstmorde. Der bekannteste Fall war jener von Xu Lizhi, ein Foxconn-Arbeiter, der sich 2014, im Alter von 24 Jahren, von seinem Foxconn-Wohngebäude in Shenzhen in den Tod gestürzt hat. Xu hatte davor sehr eindrucksvolle Gedichte über seine Arbeit bei Foxconn und das Leben als Wanderarbeiter geschrieben, die nach seinem Tod auch auf Englisch und Deutsch übersetzt wurden.

Wurden die Arbeitsbedingungen seither verbessert?

Es gibt inzwischen mehrere Organisationen, die die Arbeitsbedingungen bei Foxconn und anderen Apple-Produzenten dokumentieren und sich für Verbesserungen einsetzen. Hervorzuheben ist hier vor allem die NGO Sacom – Students and Scholars against Corporate Misbehaviour.

Die Untersuchungen von Sacom und anderen zeigen, dass sich die Arbeitsbedingungen seither nicht wesentlich verbessert haben. Nach der Selbstmordserie 2010 hat Foxconn angekündigt, die Löhne um 30 Prozent zu erhöhen. Tatsächlich sind die realen Monatseinkommen nicht gestiegen, weil Foxconn zugleich Zulagen und Bonuszahlungen gestrichen hat. Die ArbeiterInnen erhalten also weiterhin sehr niedrige Löhne. Das bedeutet, dass die Beschäftigten gezwungen sind, viele Überstunden zu leisten, wenn sie etwa ihre Familie oder Kinder mitversorgen müssen.

Eine weitere Reaktion von Foxconn auf die Selbstmordserie war die Einrichtung von Mitarbeiter-Betreuungszentren und Hotlines. Doch stellte sich heraus, dass diese Beschwerden von ArbeiterInnen direkt an das Management weiterleiten und eher als Kontrollinstrument für „problematische“ ArbeiterInnen funktionieren.

Schließlich kündigte Foxconn an, die Betriebsgewerkschaften zu stärken. Laut Angaben des Unternehmens sind inzwischen 93 Prozent der Beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder. Unabhängige Untersuchungen haben aber gezeigt, dass weniger als zwanzig Prozent der ArbeiterInnen angeben, gewerkschaftlich organisiert zu sein. Diese Diskrepanz rührt daher, dass ArbeiterInnen gar nicht wissen, dass sie von der Gewerkschaft als Mitglieder geführt werden – und oft auch gar nicht, was die Gewerkschaft überhaupt macht. Wenn sie überhaupt wahrgenommen wird, dann als verlängerter Arm des Managements.

Zuletzt ging durch die Medien, dass Foxconn immer mehr PraktikantInnen anstellt. Was hat es damit auf sich?

Das ist zu einem wichtigen Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Foxconn und anderen Weltmarktfabriken geworden. PraktikantInnen, also SchülerInnen von Berufs- und Fachschulen, werden als billige und flexible Arbeitskräfte in der Produktion eingesetzt. 2010 machten die PraktikantInnen bei Foxconn etwa 15 Prozent der Gesamtbelegschaft aus.

Häufig werden sie illegal eingesetzt, weil ihre Arbeitszeit weit über die rechtlich vorgeschriebene Maximalarbeitszeit von 40 Wochenstunden hinaus ausgedehnt wird. Das war zuletzt etwa bei der Produktion des neuen iPhone X der Fall.

Gibt es denn auch Widerstand von ArbeiterInnen in den Foxconn-Fabriken?

Ja, das ist besonders wichtig zu betonen. Es gibt unterschiedliche Formen des Widerstands. Einerseits gibt es eine extrem hohe Fluktuation. Es gibt Foxconn-Fabriken, in denen täglich mehrere hundert ArbeiterInnen den Betrieb verlassen. Wenn jemand sechs Monate durchgehend in einer Foxconn-Fabrik arbeitet, gehört er oder sie oft schon zu den Dienstältesten.

Dann gibt es offene Formen des Widerstands, die von Streiks bis zu Ausschreitungen und Aufständen reichen. So haben sich ArbeiterInnen auf die Dächer von Wohnheimen oder Fabriken gestellt und gedroht, und gedroht, sich kollektiv umzubringen. Aber es gibt auch immer wieder Arbeitsniederlegungen, an denen sich manchmal mehr als tausend Beschäftigte beteiligen. Im Oktober 2014 haben etwa in Chongqing eintausend Foxconn-ArbeiterInnen für höhere Löhne gestreikt.

Das chinesische Modell wirkt trotzdem sehr stabil. Die Wirtschaft wächst, der Staat legt langfristige Pläne auf, investiert in Infrastruktur und ökologische Modernisierung. Wie passt das mit den schlechten Arbeitsbedingungen, den Streiks und Kämpfen zusammen?

Es stimmt, dass das chinesische Regime seit 40 Jahren als wirtschaftlich erfolgreich und politisch weitgehend stabil gelten kann. Gleichzeitig täuscht dieses Bild, weil seit etwa 15 Jahren die Zahl der Streiks und Unruhen deutlich zunimmt. Im Jahr 2016 waren es alleine über 2.600 Streiks und Proteste von ArbeiterInnen.

Der Grund, warum diese Kämpfe noch keine Gefahr für die Stabilität des Regimes darstellen, ist, dass sie meistens auf den Kampf um Löhne abzielen und fast immer lokal, auf einzelne Produktionsstandorte begrenzt bleiben. Das beginnt sich seit einigen Jahren zu ändern, die Kommunikation zwischen protestierenden ArbeiterInnen an verschiedenen Orten in China wird besser. Aber die Proteste richten sich weiterhin in der Regel an den jeweiligen Betrieb, nicht an den Staat.

Zentral für die Unterstützung des Regimes ist auch, dass die wachsende chinesische Mittelklasse ökonomisch eingebunden werden konnte. Das ist – zumindest jetzt noch – eine der wichtigsten Legitimationsreserven der Kommunistischen Partei und des chinesischen Staates.

Zugleich darf man aber nicht vergessen, dass der chinesische Staat in den letzten Jahren sehr viel Geld in Militär, Polizei und Überwachungssysteme investiert hat und Repressionsmaßnahmen gegenüber AktivistInnen seit der Machtübernahme von Xi Jinping deutlich zugenommen haben. Die chinesische Regierung scheint also weniger von einer stabilen Situation auszugehen, als das von außen den Anschein hat.

Soll man angesichts der Bedingungen, unter denen Apple produziert, also besser auf Apple-Produkte verzichten?

Die Bedingungen bei Foxconn sind schrecklich, tatsächlich stellen sie aber eher die Norm von Ausbeutungsverhältnissen in Weltmarktfabriken dar. Es bringt also nichts, einfach andere Produkte anderer Marken zu kaufen. Vor allem, weil Auftragshersteller wie Foxconn ja nicht nur Apple-Produkte herstellen, sondern auch Geräte für Sony, HP und viele andere große Elektronikmarken.

Trotzdem sollte man sich mit den Produktionsbedingungen auseinandersetzen. In Österreich hat die Kampagne Clean-IT der NGO Südwind viel zur Aufklärung beigetragen. Mittlerweile gibt es etwa auch das Fairphone, bei dem die Produktionsbedingungen transparent gemacht werden. Aber die Möglichkeiten des individuellen Boykotts bleiben doch sehr beschränkt.

Zudem wird damit oft die Distanz zwischen uns als KonsumentInnen im globalen Norden und den Anderen, den „armen ArbeiterInnen“ im globalen Süden, noch vergrößert. Viel wichtiger wäre es, diese Differenzen zu verkleinern und die Kämpfe von ArbeiterInnen etwa bei Foxconn zu unterstützen. Dafür müsste man bei den eigenen Kämpfen ansetzen und solidarische Bezüge auf Augenhöhe mit den Kämpfen in China ermöglichen.

Ein Beispiel: Foxconn-Fabriken gibt es auch in Tschechien und der Slowakei, wo Beschäftigte ebenfalls Widerstand organisieren. Eine Möglichkeit des solidarischen Bezugs wäre es, Informationen über die Auseinandersetzungen an den unterschiedlichen Standorten in China und Europa bereitzustellen. Inzwischen gibt es diese Informationen in vielen Sprachen, etwa über die Website gongchao.

Oder man überlegt, wie die Arbeitsbedingungen etwa im neu eröffneten Apple Store in Wien sind. Wir wissen, dass die Handelsangestellten dort unter enormen Druck und starker Überwachung arbeiten. Wichtig ist immer, vor Ort zu beginnen, um dann Bezüge zu anderen Kämpfen herstellen zu können.

Daniel Fuchs, Politikwissenschaftler und Sinologe, forscht an der School of Oriental and African Studies (London) zu Arbeitskämpfen in China.

Er hat als Herausgeber und Übersetzer an den Büchern „iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken“ (Mandelbaum Verlag, 2013) und „Arbeitskämpfe in China“ (Promedia Verlag, 2013) mitgewirkt.

Interview: Benjamin Opratko

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