Antikriegsbewegung: Wo der Hauptfeind steht

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Eine linke Antikriegsbewegung ist nicht trotz, sondern wegen der Ukraine wichtig. Kritik sollte bei den Kriegsprofiteuren ansetzen, schreibt Anselm Schindler.

Seit 14 Monaten fallen in der Ukraine Bomben auf Häuser und Menschen. Trümmer begraben Leben unter sich, Hoffnungen und Träume. Aber was dagegen tun? Martin Konecny hat auf mosaik ganz richtig erklärt, dass die gesellschaftliche Linke durch einen Verzicht auf die Positionierung zum Krieg weiter marginalisiert wird. Er hat Recht, wenn er meint, dass wir es uns als Linke nicht leisten können, Themen aus Angst, etwas Falsches zu sagen, nicht anzupacken. Noch wichtiger wäre, aus den Positionen etwas Praktisches werden zu lassen.

Schwache Anläufe

Liberale bis nationalistische Proteste für die Ukraine brachten auch in Wien bereits tausende Menschen unter ukrainischem Banner auf die Straße. Kampagnen von links nicht. Bisherige Versuche, wie die „Jugend gegen Krieg“, ein Projekt das die Kommunistische Jugend Österreichs (KJÖ) und die Junge Linke im letzten Jahr gestartet haben, waren mehr Schein als Sein und brachten, außer ein paar Likes auf Instagram – an dieser Stelle geht Ehrlichkeit vor Sympathie – nur wenig zusammen. Was wohl nicht zuletzt auch am Unwillen lag, sich breiter zu organisieren. Nennenswerte linke Antikriegsproteste auf der Straße gab es nicht, die größte dezidiert linke Friedensdemo fand im März letzten Jahres mit einigen hundert Leuten statt. Der Versuch einiger Kommunist:innen und der vernünftigeren Überreste der  gealterten Friedensbewegung, zu den letzten beiden Nationalfeiertagen für eine aktive Neutralitäts- und Friedenspolitik zu werben, endete am Infostand. Vielleicht, weil ihnen der konkrete Gegner fehlte.

Es gibt nicht wenige Analyst:innen, die zu Recht davor warnen, dass der Krieg in der Ukraine nur ein weiterer Schritt in Richtung einer noch größeren Auseinandersetzung ist. Nicht nur eines eskalierenden Konfliktes zwischen den USA und anderen Nato-Staaten auf der einen- und Russland auf der anderen Seite. Sondern auch einer militärischen Konfrontation zwischen „dem Westen“ und China. Und der offenen Frage, wie sich die aufsteigende Militärmacht Indien und ihre rechtsextreme Führung künftig geopolitisch verhalten. Geschichte wiederholt sich nicht, aber die Muster ähneln sich. Es wäre gut, wenn die gesellschaftliche Linke dieses Mal nicht auf den nationalistischen Taschenspielertrick der Herrschenden hereinfallen würde.

Liebknecht heute

Die Parole des deutschen Sozialisten und Antimilitaristen, Karl Liebknecht, „der Hauptfeind steht ihm eigenen Land“ kann uns dabei auch heute noch als Orientierungshilfe dienen. Mag heißen: Von Kriegen profitieren immer Reiche und Mächtige, während die, die wenig oder nichts haben, an der Front sterben. Der globale Verteilungskrieg um Ressourcen, Infrastruktur und Land endet dann, wenn die Menschen beginnen, zu verstehen, wem Krieg in erster Linie dient. Die Suche nach den Kriegsprofiteuren, nach dem Gegner im „eigenen“ Land ist die beste Prävention gegen nationalistische Kriegshetze.

Was im globalen Maßstab passieren kann, wenn man auf die Hetze hereinfällt, zeigt das Zerbrechen der Zweiten Sozialistischen Internationale im Ersten Weltkrieg. Damals haben sich nicht zuletzt deutsche und österreichische Sozialist:innen und Sozialdemokrat:innen auf die Seite „ihres“ Landes gestellt, anstatt sich dem Krieg zu verweigern und sich die Kriegsprofiteure im „eigenen“ Land vorzuknöpfen. Das Ergebnis der Burgfriedenspolitik waren Millionen Tote. Im Giftgasnebel des Stellungskrieges erstickte auch die in diesen Zeiten recht greifbare Option auf eine Welt, die den Arbeiter:innen gehört.

Die Argumentationsmuster derer, die damals das „eigene“ Land oder den „eigenen“ Machtblock verteidigen wollten, ähneln denen von heute. Nur heißt der Zar heute Putin oder wahlweise Xi Jinping und die, die damals für die Verteidigung des Deutschen Kaiserreiches geschrieben und geschrien haben, oder, rot angestrichen, für die Verteidigung der sozialen Errungenschaften gegen das reaktionäre Russland, die fänden sich heute an den Tastaturen der Nato-Trolle wieder. Was sich verändert hat: Heute haben die Herrschenden neben Giftgas auch noch Atomwaffen.

Grund- und Bodenpolitik

Dass der Krieg in der Ukraine, der durch den Einmarsch Russlands eskaliert ist, vor allem ein Krieg UM die Ukraine ist, es den Herrschenden also nicht um die Eigenständigkeit des Landes geht, sondern um die Frage, in welchen Machtblock es sich eingliedert, darüber wenigstens sind sich viele Linke einig. An dieser Stelle gilt es sich, auch mit Blick auf Österreich, genauer anzuschauen, um welche ökonomischen und geopolitischen Interessen es geht. Beginnen wir mit der Agroindustrie. In der Ukraine geht es auch um Boden, genauer gesagt, die viel beschworene ukrainische Schwarzerde. Die Ukraine verfügt mit ihren 32 Millionen Hektar fruchtbarer Schwarzerde über weit mehr landwirtschaftliche Flächen als jedes andere Land in Europa. Mit mehr als 60 Millionen Tonnen Getreide und Saatgut gehört sie zu den weltweit größten Erzeugern von Sonnenblumenöl, Gerste und Weizen.

Das Land wurde mit dem Ende der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik einer „Schocktherapie“ unterzogen, so wie auch die anderen Länder des ehemaligen Ostblocks. Mit allen Folgen, die man aus eben jenen Ländern kennt: Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit, Rückgang der Lebenserwartung, Verfall. Oder, neoliberal formuliert: „schlanker Staat“ und Durchsetzung von „Reformen“. Profitiert haben vom großen Ausverkauf vor allem westliche Konzerne. Das gilt auch für die Landwirtschaft: Mit dem Ende der sozialistischen Kollektivierung wurde eine noch nie dagewesene Anzahl Hektar auf den Weltmarkt frei und damit Bankern und transnationalen Agrarkonzernen zum Fraß vorgeworfen. Davon profitierte auch ein österreichischer Agrarkonzern: MCB Agricole. Das Unternehmen baut in der Ukraine Raps, Gerste, Sonnenblumen, Mais und Roggen an. MCB Agricole kontrolliert dort bereits mehr als100.000 Hektar Land und will das noch weiter ausbauen.

Profiteur Energiesektor

Dann ist da natürlich der Energiesektor, über dessen Kriegsprofite in diesem Blog bereits geschrieben wurde. Die Eskalation des Ukraine-Krieges durch den russischen Einmarsch hat zu stärkeren Sanktionen, vor allem gegen die russische Energiewirtschaft geführt. Die Profite von Gazprom sind dadurch aber nicht eingebrochen, im Gegenteil: Teilweise scheint Gazprom sogar von den Sanktionen zu profitieren. Denn sie haben die Preisspirale zusätzlich angekurbelt (oder zumindest einen Vorwand für die Ankurbelung geliefert). Verkaufen lässt sich russisches Gas auch trotz des Krieges noch recht gut, nun aber eben zu höheren Preisen.

Nicht nur Gazprom profitiert vom Krieg und den Sanktionen, sondern auch westliche fossile Industrie, insbesondere Konzerne und Investoren, die ihren Sitz in den USA haben. Aber auch die Vorstände und Aktionäre von österreichischen Energieriesen wie der OMV profitieren vom Krieg. Es geht jetzt darum, mit diesen Erkenntnissen zu arbeiten.

Vom Reden zum Handeln

Martin Konecny warnt gemeinsam mit anderen davor, dass die Linke zwischen einer Putin-verharmlosenden Querfront und einem linken Anhängsel einer liberalen Pro-Nato-Position zerrieben wird. Was es braucht, ist eine Position, die klar sagt: Weder Putin noch Nato! Eine Position, die klar für eine aktive Neutralität Österreichs eintritt. Es braucht eine linke Debatte darum, wie eine aktive Neutralitätspolitik aussehen kann. Sie wird, Spoiler, sozialistisch sein müssen, um ihre Versprechen einzuhalten. Denn der Kapitalismus, oder besser gesagt, die weiter oben beschriebenen kapitalistischen Konzerne, haben an Neutralität und Frieden wenig Interesse.

In Ansätzen wurde eine eigenständige Position, die mit der Logik des imperialistischen Krieges Schluss macht, bei den Protesten gegen den europäischen Gasgipfel und auf der Power to the People Conference sichtbar. Dort haben wir uns gemeinsam mit Menschen aus verschiedenen Ländern gegen die falsche Logik gewehrt, dass es den Menschen in der Ukraine helfe, wenn man an den Küsten Europas LNG-Terminals für US-Gas ausbaut. Wir haben klar gemacht, dass es die fossilen Konerzne sind, die von Krieg, Ausbeutung und Klimakrise profitieren und, dass es die unteren Klassen, im Globalen Süden noch mehr als im Norden sind, die darunter leiden. An diese Punkte gilt auf der Suche nach dem „Hauptfeind“ anzuknüpfen, immer mit Fokus auf die nationalen und regionalen Kriegsprofiteure.

Klimagerechte Antikriegskampagne

Bei der großen Abschluss-Demonstration der Aktionstage gegen die Gaskonferenz machte recht unerwartet ein Slogan die Runde: „OMV, Scheißverein, bald wirst du enteignet sein!“. Daran könnte sich nicht nur die Klima- sondern auch eine Reorganisierung der Antikriegsbewegung orientieren. Dass fossile Konzerne ein  Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Macht sind, der für den Aufbau linker Gegenmacht nutzbar ist, haben nicht zuletzt auch die französischen Arbeiter:innen mit der Lahmlegung der Öl- und Gasinfrastruktur Frankreichs gezeigt.

Alles schreit förmlich nach einer breiten Kampagne für die Enteignung der fossilen Industrie in Österreich – und ihre sozialökologische Transformation. Nach einer Kampagne, die Forderungen für Klimagerechtigkeit mit einer starken Positionierung gegen Aufrüstung und Krieg verbindet.

Foto: Mika Baumeister

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