Aktuelle Wahlumfragen und die Stimmung auf den Straßen Europas zeichnen ein düsteres Bild. Angesichts dessen braucht es einen Antifaschismus, der über Symbol- und Szenepolitik hinausgeht. Über den Antifaschismus in der Krise schreibt Andreas Aipeldauer.
*** Dieser Beitrag ist der fünfte Artikel im Rahmen der Reihe mosaik strategy summer. Von Ende Juli bis Ende September veröffentlicht mosaik jede Woche einen Artikel zu strategischen Fragen linker/emanzipatorischer Bewegungen und Kämpfe. ***
In immer mehr Staaten sind rechtsextreme Akteure im Aufwind. Sie gewinnen sowohl auf der Straße als auch in den Parlamenten zunehmend an Einfluss. Auf staatlicher Ebene nutzen sie diesen Einfluss zum autoritären Umbau demokratischer Strukturen. Institutionen wie Arbeiter*innenkammer, Gewerkschaft oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk werden angegriffen und gezielte Personalpolitik bei der Besetzung von Höchstgerichten, Justiz-, Beamten- und Sicherheitsapparaten soll die rechte Transformation langfristig vorantreiben.
Die diskursive Unterfütterung dafür liefert der permanente Kulturkampf gegen Minderheiten, Geflüchtete, arme Menschen, queere Lebensweisen, Feminismus und Linke. Dieser Kulturkampf führt zu einer permanenten (Selbst-)Radikalisierung quer durch alle rechten Spektren. In einer seltsamen Gleichzeitigkeit treibt die Rechte die sozialen Spaltungslinien immer tiefer in die Gesellschaft hinein. Im selben Moment stellt sie sich als diejenige Kraft dar, die in dieser komplizierten Welt endlich wieder Ordnung schaffen wird.
Autoritäre Kipppunkte
Die Autor*innen Daniel Mullis, Maximilian Pichl und Vanessa E. Thompson sprechen angesichts der aktuellen Dynamik von autoritären Kipppunkten. Als Gesellschaft bewegen wir uns mit zunehmender Beschleunigung auf sie zu. Das Konzept der Kipppunkte entlehnen die Autor*innen der Klimabewegung. In der Klimaforschung meinen Kipppunkte einen Moment, an dem eine kritische Grenze erreicht wird. Jenseits dieser Punkte organisiert sich ein System um, neue Prozesse verfestigen sich und negative Dynamiken werden beschleunigt. Die Dynamik Richtung autoritärer Staats- und Gesellschaftsmodelle ist also so weit fortgeschritten, dass sich das Rad nicht mehr so einfach zurückdrehen lässt.
Ähnlich argumentiert die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl in ihrem Vortrag zur Analyse autoritärer Entwicklung im 21. Jahrhundert. Sie sieht aktuell neue Formen faschistischer Machtpolitik entstehen und spricht ebenso von einer Kippzeit. In dieser Zeit ist die alte Hegemonie vorbei und etwas Neues wird kommen. Im Gegensatz zu Mullis, Pichl und Thompson betont Strobl aber stärker die Offenheit der aktuellen Situation, die auch noch Möglichkeiten für eine Linke bietet.
Unter der Annahme, dass diese Analyse zutrifft und wir uns in solch einer Kippzeit befinden, müssen wir die Nationalratswahl im September als einen weiteren Katalysator in dieser Dynamik begreifen. Damit einhergehend ist es dringend an der Zeit, dass Antifaschist*innen über ihre Strategien und Taktiken reflektieren und diese den neuen Gegebenheiten anpassen. Denn mit dem bisher Angewandten sind wir weitgehend gescheitert.
Warnen, Skandalisieren, Zeichensetzen: die Politik des bürgerlichen Antifaschismus
Ausnahmen bestätigen die Regel und so kam die erfolgreichste antifaschistische Aktion seit vielen Jahren aus dem bürgerlichen Spektrum. Mit dem Ibiza-Video und allem, was darauf folgte, wurde der autoritäre Staatsumbau von schwarz-blau temporär unterbunden. Das Video ist Ausdruck einer Strategie, die auf Aufdecken, Warnen und Skandalisieren setzt. Aktuell verfolgt sie auch SOS Mitmensch in einer Kampagne. In einem Dossier führt die NGO 200 Verflechtungen zwischen der FPÖ und der rechtsextremen Szene auf.
Diese erste Strategie des bürgerlichen Antifaschismus beruht auf der Annahme einer mündigen und antifaschistischen Mehrheitsgesellschaft. Diese müsse nur immer wieder über den rechtsextremen Charakter der FPÖ aufgeklärt werden. Die Aufklärung soll zu einem lauten Aufschrei in der Zivilgesellschaft führen. Außerdem sollen die schrumpfenden Reste des liberalen bzw. bürgerlich-konservativen ÖVP-Flügels und der wachsende rechte Flügel in der SPÖ überzeugt werden, auf eine Koalition mit der FPÖ zu verzichten.
Wie an Ibiza gesehen, ist diese Strategie realpolitisch nicht unbedeutend. Doch sie wirkt nur kurzfristig. Wie schnell das Skandalisieren von rechtsextremen Strukturen und Korruptionsfällen sowie dazugehörige Appelle verpuffen, sehen wir an zahlreichen Beispielen. Der Umgang mit der Liederbuch-Affäre in Niederösterreich und der darauf folgende Aufstieg von Udo Landbauer zum Landeshauptfrau-Stellvertreter ist eines davon. Ein anderes ist die Tatsache, dass fünf Jahre nach dem Ibiza-Video eine schwarz-blaue Regierung – sogar unter umgekehrten Vorzeichen – mehr als wahrscheinlich ist.
„So sind wir nicht!“
Sollte es zu einer blau-schwarzen Regierung kommen, wird es nicht lange dauern, dass das bürgerliche Spektrum auf seine zweite längjährige Strategie zurückgreift: das „Zeichen gegen Rechts“. Die Strategie richtet sich an das eigene links-liberale Milieu und operiert mit Lichtermeeren, Lichterketten und Großdemos. Sie kommt nicht nur nach Wahlen zum Einsatz, sondern war zuletzt im Mai unter dem Motto „Demokratie verteidigen“ in ganz Österreich zu sehen. Die verschiedenen Zusammenkünfte sollen dokumentieren, dass – in Anlehnung an Alexander van der Bellen nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos – „wir nicht so sind“.
Auch diese zweite Strategie wirkt zunächst nur kurzfristig. Zwar sollte in Zeiten wie diesen die Selbstvergewisserung, dass man nicht alleine dasteht, und das Zusammenkommen mit Gleichgesinnten nicht unterschätzt werden. Doch um dem Rechtsruck mittel- bis langfristig etwas entgegenzusetzen, werden weitere symbolische Proteste nicht ausreichen. Die Strategie des Zeichensetzens widmet sich genauso wenig wie die Strategie des Skandalisierens der Funktion rechtsextremer und faschistischer Politik und der Frage, warum diese immer mehr Zulauf erhält.
Grundlagen und Methoden des linksradikalen Antifaschismus
Das ist bei linksradikalem Antifaschismus grundlegend anders. „Die Antifa“ geht im Gegensatz zu den bürgerlichen Akteur*innen nicht von einer antifaschistisch gesinnten Mehrheitsgesellschaft aus. Stattdessen wird Faschismus als etwas analysiert, das sich in großen Krisen aus der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und der Zuspitzung ihrer Widersprüche entwickelt.
Linksradikale Antifaschist*innen wissen also um die rechtsextremen und faschistischen Potentiale, die in der Gesellschaft schlummern Bescheid. Gleichzeitig zeigen sie sich aber auch bewusst, dass bürgerliche Werte wie Rechtsstaat, Versammlungs- und Streikrecht, eine diverse Presselandschaft oder legale Gewerkschaften, trotz aller vorhandenen Diskriminierungen das Leben vieler Menschen schützt und es sich in bürgerlich-liberalen Staaten leichter kämpft als in autoritären. Das bringt Antifaschist*innen in ein Dilemma: Sie kämpfen sowohl gegen die Gesellschaft, die als potentiell faschistisch begriffen wird. Sie verteidigen diese aber gleichzeitig gegen ihre faschistischen Feinde.
Um das Dilemma zu lösen, wurde in Deutschland in den 90er-Jahren das Konzept des revolutionären Antifaschismus entwickelt. Ausgehend vom Wunsch, etwas gegen Nazis zu tun, sollen Aktivist*innen in die antifaschistische Subkultur eintauchen, um dort festzustellen, dass der konsequente Kampf gegen Faschismus eine radikale Systemkritik erfordert.
Abseits der Systemkritik wenden die Aktivist*innen methodisch vor allem drei Strategien an. Mit Recherchen über Nazis wollen sie erstens deren gesellschaftliche Verbindungen aufgedecken, um diese – zweitens – im bürgerlichen Spektrum zu skandalisieren. Gleichzeitig geht es auch um Selbstschutz, indem man weiß, wer und wo der politische Gegner ist. Durch gezielte Outings soll er eingeschüchtert und in seinen Handlungsfähigkeiten eingeschränkt werden. Gleichzeitig unterfüttern die gewonnenen Erkenntnisse die Legitimation von antifaschistischen Protest und steigern die Aktionsfähigkeit antifaschistischer Gruppen. Die dritte und seit vielen Jahren identitätsstiftende Strategie ist die der direkten Konfrontation. Ikonographisch lebt sie vom Bild des militanten schwarzen Blocks, der – mit schwarzer Lederjacke und Motorradhelm ausgestattet – ein paar handfeste Argumente gegen die Nazis im Gepäck hat.
Verbalradikal und pseudo-militant?
Angesichts der weitgehenden Normalisierung von rechtsextremen Gedankengut muss sich der linksradikale Antifaschismus fragen, ob die angewandten Strategien nach wie vor die richtigen sind. Das betrifft vor allem die Aktionsformen antifaschistischer Gruppen. Sie wirken weitgehend nach innen. Ihr Ziel scheint es, sich selbst der eigenen Radikalität und Systemopposition zu vergewissern. Der Wunsch, Rechtsextremismus und Faschismus in seinen neuen Qualitäten effektiv etwas entgegenzusetzen, wirkt weniger präsent.
So lässt sich auch hier – ähnlich wie beim bürgerlichen Antifaschismus – von Symbolpolitik sprechen. Durch Elitarismus, subkulturelle Codes und das Organisationskonzept von Kleingruppen wird wirksam verhindert, dass der Protest wächst. Mobilisierung findet rein in den eigenen schrumpfenden Szenekreisen statt. Gleichzeitig beklagt man sich, dass sich niemand für die Proteste interessiert, die man gegen Nazikleinstsplittergruppen führt. Auf eine ernsthafte Auseinandersetzung um die FPÖ und ihr faschistisches Potential verzichtet man vollständig, um sich in den diversen Szenekleinkriegen noch irgendwie bedeutungsvoll zu fühlen.
Die zentralen Fragen sind nicht neu und können beispielsweise in „Lichterketten und andere Irrlichter“ der autonome l.u.p.u.s Gruppe – erschienen Anfang der 90er-Jahre – nachgelesen werden: fehlende Kontinuität, Strukturen aufbauen, kollektive Lebensformen, solidarischer Umgang, militanter Alltag. Kritisiert wird auch, dass die emotionale Arbeit weitgehend an Frauen bzw. Flinta-Personen hängen bleibt, sowie die Geschichtslosigkeit der Bewegung, die zu einer ritualisierten Wiederholung der eigenen Fehler führt. Zu teilweise ähnlichen Schlüssen kam auch die autonome antifa [w] in ihrem Auflösungspapier fast 30 Jahre später.
Angesichts dieser sich wiederholenden Debatten muss sich der linksradikale Antifaschismus die ehrliche Frage stellen, ob er eine entscheidende Rolle spielen kann, sollten sich der Faschismus auf den Straßen und Angriffe auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft zuspitzen. Denn tatsächliche Stärke anstelle von pseudo-Militanz ist in Zeiten wie diesen dringend gefragt. Das haben nicht zuletzt die pogromartigen Ausschreitungen in Großbritannien gezeigt.
Ansätze und Perspektiven
Perspektiven und strategische Ansätze auf der Höhe der Zeit sind rar gesät, auch weil die österreichische Linke generell wenig schreibt, analysiert und debattiert. Die Initiative „Wir gegen Rechts“ plädiert in ihrem Text, die zunehmend populär werdenden Organzing-Ansätze auch im Feld des Antifaschismus anzuwenden. Ihr Vorschlag ist, einen Wahlkampf ohne Partei zu führen: Er zielt darauf ab, durch Haustürgespräche, Gesprächstrainings und Aktivierung des eigenen Umfeldes der FPÖ ein paar Prozent abzuluchsen. Die Initiative verbleibt darin aber auch im Warnen und Skandalisieren. Für die KPÖ argumentieren Georg Kurz und Sarah Pansy mit den Wahlerfolgen aus Graz, Salzburg und Innsbruck im Rücken, dass eine Schwächung der Rechten dort gelingt, wo es eine glaubwürdige linke Alternative gibt. Der Fokus auf Sozialpolitik und insbesondere das Thema Wohnen würde dazu führen, die Themen auch den anderen Parteien aufzuzwingen und damit durch Aufmerksamkeits-Verschiebung die rassistischen Kampagnen der FPÖ ein Stück weit ausbremsen.
Beide Ansätze gehen in die richtige Richtung. Sie verlassen den subkulturellen und defensiven Zugang antifaschistischer Politik. Der beste Schutz gegen den Rechtsextremismus ist immer noch eine starke Linke, die etwas will und Wege findet, das auch zu vermitteln. Denn es gibt durchaus ein weitverbreitetes Bewusstsein um den zunehmenden Rechtsruck und das Aufsteigen eines neuen Faschismus.
Erfolg durch neue Organisationsformen
Eine Vielzahl an Personen und Bevölkerungsgruppen erleben bereits tagtäglich, was die zunehmende Verschiebung nach rechts real bedeutet. Erfolg kann aber nur dort entstehen, wo wir die eigene Komfortzone verlassen und neue Organisationsformen und Praxen erproben. Wo sich Menschen mit unterschiedlichen Betroffenheiten und Lebensrealitäten zusammenschließen und erkennen, dass es durchaus gemeinsame Interessen gibt. Diese gilt es dann in Organisationsformen zu gießen, die auch gesellschaftliche Schlagkraft entwickeln können. Eine glaubwürdige Perspektive zu schaffen, wie eine sichere und lebenswerte Gesellschaft aussehen könnte, ist und war immer Aufgabe der Linken. Die Debatte darüber, wie das gehen könnte und welche Formen der Organisierung wir dafür brauchen, ist dringend zu führen.
Der mosaik stratgey summer zum Nachlesen:
#1 „mosaik – Politik weiterhin neu zusammensetzen“
#2 „Sind wir hier noch genau richtig? – Die Interventionistische Linke im Umbruch“
#3 „Wahlkampf ohne Partei. Geht das?“
#4 „Kämpfe um Wassergerechtigkeit in der französischen Klimabewegung – (k)ein Erfolgsrezept?“
Titelbild: Antifaschistische Jugend Wien