Nur eine Vorstellung der Antifa-Doku „Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ war in Wien Anfang September ursprünglich geplant. Aufgrund der hohen Nachfrage läuft der neue Streifen des Medienkollektivs Leftvision ein Monat später aber immer noch. Auch Sara Swoboda hat ihn gesehen und fragt, was uns der Film über heutige Probleme der Antifa-Szene erzählt.
10. September 2024 – Schönau, Oberösterreich: Eine oder mehrere bisher unbekannte Personen verüben einen Brandanschlag auf ein Asylquartier. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Linz laufen seitdem. „Zur Motivlage kann man noch nichts sagen“, heißt es von offizieller Seite. Der Anschlag löst Erinnerungen an die 1990er Jahre aus, besonders an die sogenannten „Baseballschlägerjahre“ in Ostdeutschland nach der Wende. Diese Zeit war geprägt von rechten Gewaltexzessen, brennenden Geflüchtetenunterkünften und einer teilweise ohnmächtigen oder zurückhaltenden Reaktion des Staates. Die Parallelen zu den Ereignissen von heute sind beunruhigend.
Die Anfänge der antifaschistischen Bewegung
In genau diesem Zeitraum setzt der Film „Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ an. Es ist der dritte Dokumentarfilm des linken Medienkollektivs Leftvision. Der Film greift die Anfänge der antifaschistischen Bewegung – kurz Antifa – in den 90ern in Deutschland auf. Er beleuchtet ihren Widerstand gegen das Aufkommen der Neonazi-Szene, die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz rechter Gewalt und das Versagen staatlicher Institutionen. Die Dokumentation gibt durch Interviewmaterial Einblick in die Erfahrungen von fünf Aktivist*innen, die in dieser Zeit verschiedene Rollen im antifaschistischen Widerstand einnahmen.
„Antifa – Schulter an Schulter“ verwendet nicht nur Interviews, sondern arbeitet auch intensiv mit Archivmaterial. Es zeigt eindrücklich die Brutalität dieser Jahre: Bilder von Straßenschlachten zwischen Neonazis und Antifaschist*innen, brennende Mülltonnen, Nazi-Keller-Treffen mit Hitlergrüßen und faschistischen Parolen, sowie den massiven Einsatz von Polizeigewalt gegen Antifas.
Breites Spektrum antifaschistischer Arbeit
Die porträtierte antifaschistische Arbeit ist breit gefächert. Der gemeinsame Nenner: Es geht nicht nur um symbolischen Widerstand. Stattdessen steht immer die Frage im Vordergrund, was neonazistischen Strukturen konkret entgegengesetzt werden kann. Dazu gehören einerseits handfeste Maßnahmen, wie der Schutz vor Nazi-Übergriffen und das Entwickeln von Netzwerken, die Betroffenen helfen. Diese Arbeit erfolgte meist lokal in kleinen, gut vernetzten Gruppen, die ihre Gemeinden vor der wachsenden rechten Bedrohung schützen wollen. Aber auch Dokumentation und Aufklärung über Neonazistrukturen standen in den 1990ern im Fokus. Eine Aktivistin berichtet von den Arbeiten des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums (apabiz) in Berlin. Hier zeigt sich: Antifa findet nicht nur auf der Straße statt, sondern ist auch Investigativarbeit – und das im Falle des apabiz auf unwahrscheinlich hohem Niveau.
Der Film erzählt aber auch von der zentralen Rolle antifaschistischer Bildungsarbeit – von der Aufklärung über faschistische Ideologien bis hin zur politischen Organisierung, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Kurze Einblicke in die feministische Praxis einiger Antifa-Gruppen, die Selbstverteidigungskurse für Flinta* anbieten und Care-Arbeit leisten, sind ebenfalls zu sehen. Im Vordergrund jedoch steht die visuelle und narrative Betonung von antifaschistischer Gegengewalt, die sich als Reaktion auf die aus dem Untergrund agierende rechte Bedrohung formierte.
Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft
Aus heutiger Sicht wirft diese Darstellung grundlegende Fragen auf, die einige der Interviewten auch andeuten: Wie muss sich antifaschistischer Widerstand verändern, wenn rechtsextreme Ideologien nicht mehr nur von Neo-Nazis durch Gewalt, sondern von einem Drittel der Bevölkerung durch Wahlstimmen vertreten werden? In Österreich ist die FPÖ bei den Nationalratswahlen mit 28,9% als stärkste Kraft hervorgegangen. Spitzenkandidat Herbert Kickl inszeniert sich selbst als „Volkskanzler“, ein Begriff, den die NSDAP für ihre Propaganda verwendet hat. Seine Partei steht für eine Politik, die rassistische und autoritäre Ideen in die Mitte der Gesellschaft tragen will. Sie stellt den parlamentarischen Arm rechter Strömungen und rechtsextremer Netzwerke dar.
Was bedeutet es also, wenn nicht mehr „nur“ organisierte Neonazis Brandanschläge auf Asylheime verüben, sondern gesellschaftlich tolerierte, politische Hetze Personen zu solchen Taten inspiriert? In einem Klima, in dem der Rassismus in weiten Teilen der Bevölkerung als legitime politische Haltung wahrgenommen wird, ist antifaschistischer Widerstand dringlicher denn je. Der Film zeigt hier die Spannungen auf: Wie können Menschen erreicht werden, wenn das Bild der Antifa in der Öffentlichkeit noch immer stark durch die mediale Darstellung des „schwarzen Blocks“ geprägt ist, der häufig als gewaltbereit und radikal wahrgenommen wird?
„Riotporn“ und die Gefahr des Missverständnisses
Die taz beschreibt die Inszenierung der Antifa im Film von Leftvision als „Riotporn“ – ein Begriff, der auf Fetischisierung und Verherrlichung von Gewalt anspielt. Tatsächlich werden im Film viele gewaltvolle Auseinandersetzungen – sowohl zwischen Antifaschist*innen und Neonazis als auch mit der Polizei – mit dramatischer Musik und schnellen Schnitten unterlegt. Dies erzeugt ein intensives Bild von Widerstand, das jedoch leicht missverstanden werden kann. Denn den meisten Antifa-Ortsgruppen und den interviewten Aktivist*innen ging es in erster Linie um Verteidigung – um den Schutz von Menschen vor rassistischer Gewalt und die Selbstverteidigung gegen Angriffe von Neonazis. Doch die reißerische Darstellung von Antifa-Aktionen drängt dieses Bild in den Hintergrund gedrängt.
Männlich, kämpferisch, martialisch
Der Fokus des Films liegt somit stark auf den von Männlichkeiten dominierten Strukturen der Antifa-Bewegung jener Zeit. Dies reflektiert ein reales Problem, das die Bewegung seit langem begleitet: Das Bild der Antifa als männlich, kämpferisch und martialisch. Es wird im Film zwar nicht unkommentiert gelassen, aber doch stark reproduziert.
Ein jüngstes Beispiel aus Österreich sind die Proteste gegen den Aufmarsch der Identitären im Juli in Wien. Nach den Protesten wurden die Sozialen Medien von Bildern einer militanten und gewaltbereiten Antifa dominiert. Liberale und konservative Medien greifen diese (teilweise Selbst-)Inszenierung dankend auf. Eigentlich sollten die Identitären und deren faschistische Ideologie durch die Proteste angeprangert werden. Doch über sie liest man wenn nur in einem Nebensatz.
Antifa wieder anschlussfähig machen
Die große Herausforderung bleibt, Antifaschismus in einer Zeit, in der rechte Ideologien zunehmend an Einfluss gewinnen, massentauglich und gesellschaftlich anschlussfähig zu machen. Der Film leistet hierzu einen Beitrag, indem er die Geschichte der Antifa-Bewegung dokumentiert und ihre politischen Ziele sichtbar macht. Doch er fällt zugleich in eine Falle. Er rückt die von Männlichkeiten geprägte Ästhetik des Straßenkampfes und der Gewalt zu stark in den Vordergrund.
Fragen danach, wie eine breitere gesellschaftliche Anschlussfähigkeit der Antifa aussehen kann, beantwortet der Film dadurch nicht. Dasselbe gilt für Auseinandersetzungen, wie es der antifaschistischen Bewegung gelingen kann, die von Männlichkeiten geprägten Strukturen aufzubrechen. Hinweise hätte man sich von dem Film durchaus erwarten dürfen. Doch viel wichtiger ist ohnehin, dass wir, die das Kino verlassen, uns diese Fragen stellen. Wir müssen sie weiterdiskutieren und sollten Lösungen finden. Denn gerade in einer politischen Landschaft, in der der rechte Rand immer stärker in die Mitte der Gesellschaft drängt, müssen wir Antifaschismus wieder zur Norm machen.
Titelbild: Magnolia Gatti – Premiere in Berlin