So schränkt das Anti-Terror-Paket Grundrechte ein

Die Regierung beschließt das Anti-Terror-Paket im Schnelldurchlauf und übergeht dabei die Öffentlichkeit und Empfehlungen von Expert*innen. Was Türkis-Grün als Schutz vor Extremismus verkauft, fördert tatsächlich die Diskriminierung von Muslim*innen, schreibt die Koalition gegen antimuslimischen Rassismus.

Am Freitag, dem 7. Mai 2021, präsentierte die türkis-grüne Regierung die ‚finale‘ Version des umstrittenen Anti-Terror-Pakets. Der Ministerrat beschloss das Paket weniger als eine Woche später und schickte es ohne großen Gegenwind und Medienaufmerksamkeit in den Nationalrat. Die überarbeiteten Gesetzestexte wurden bisher der Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit nicht zur Verfügung gestellt. Das wenige, was die Regierung kommuniziert, lässt uns vermuten, dass kritische Stellungnahmen und Expert*innen-Einschätzungen nur wenig Berücksichtigung fanden. Denn Rechenschaft für das behördliche Versagen übernimmt die Regierung nicht. Stattdessen instrumentalisiert sie den Anschlag am 2. November 2020 in Wien und die in weiterer Folge gesetzten Maßnahmen für die kontinuierliche Kriminalisierung, pauschale Ausgrenzung und Abwertung von Muslim*innen. 

Mehr Polizei statt vorbeugende Maßnahmen

Der seit November 2020 rund um das sogenannte Anti-Terror-Paket stattfindende politische Diskurs verdeutlicht, wie die Politik einen Generalverdacht gegenüber Muslim*innen schürt. Das Anti-Terror-Paket ist ein simpler Lösungsansatz für komplexe Phänomene wie Extremismus oder Terror. Die Versuche einer Reihe von Expert*innen aus unterschiedlichen Disziplinen, eine gemeinsame Lösung für präventive Maßnahmen zu finden, ignoriert Türkis-Grün dabei.

Denn obwohl Expert*innen und die unabhängige Untersuchungskommission zum Terroranschlag am 2. November 2020 kein Defizit im bestehenden Strafrecht sehen, soll nun der Straftatbestand „religiös motivierte extremistische Verbindungen” eingeführt werden. Der Rechts- und Kriminalsoziologe Arno Pilgram sprach in diesem Zusammenhang von einem Beispiel für „symbolische Kriminalpolitik“, bei welcher „der instrumentelle Nutzen gleichgültig [ist] und es nur um ein politisches Zeichen [geht]“. Der Verfassungsschutz hat in den letzten Monaten versagt. Trotzdem kündigte die Regierung zusätzliche 125 Millionen Euro an Steuergeldern für Polizei und Sicherheitsbehörden an. Damit finanzieren sie künstliche Intelligenz, Ausrüstung, gepanzerte Fahrzeuge und Infrastruktur. Pläne zur Schaffung einer tatsächlich unabhängigen Kontrolle der Polizei und des Verfassungsschutzes hat Türkis-Grün nicht vorgestellt.

Alltägliche Rassismuserfahrungen durch Anti-Terror-Paket

Integrationsministerin Susanne Raab betonte im Rahmen der Pressekonferenz am 7. Mai wiederholt, ihr ginge es „um den Schutz der Gläubigen“. Tatsächlich tragen die Maßnahmen zur Kriminalisierung und Einschüchterung von muslimischen Menschen, sowie Menschen, die als solche gesehen werden, bei. Amnesty International Österreich spricht in diesem Zusammenhang von einem chilling-effect, also von „[…] Maßnahmen, [die] diskriminierende Auswirkungen auf die islamische Religionsgemeinschaft und eine abschreckende Wirkung […] auf die Ausübung der Religionsfreiheit haben [könnten]“

Dokustelle Österreich und ZARA verzeichneten nach dem Attentat Anfang November einen Anstieg an Meldungen von antimuslimischem Rassismus. Menschen werden aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit zum Islam unter anderem auf offener Straße, bei der Arbeit oder in der Ausbildung beschimpft, diskriminiert, angepöbelt und bedroht. Sie werden immer wieder aufgefordert, sich zu Militanz zu positionieren sowie mit der verheerenden Tat im November 2020 in Verbindung gebracht. Ihren alltäglichen Erfahrungen von antimuslimischem Rassismus schenkt die Gesellschaft kaum Gehör.

Dieses (stille) Ignorieren von Realitäten stellt eine Form von Gewalt dar. Es ist jedoch keineswegs ‚nur’ diese Stille, die alarmierend ist. Die gesetzten politischen Maßnahmen, der Sprachgebrauch (wie die kontinuierliche Verwendung des umstrittenen Begriffs ‚politischer Islam‘) und davon geprägte öffentliche Diskurse, durch die die Öffentlichkeit Ängste gegen ‚Fremdgemachte‘ schürt, lösen Besorgnis aus. Der Diskurs rückt Stimmen, die sich kritisch zu Themen wie Rassismus und/oder den gesetzten Maßnahmen äußern, in die Nähe des Terrorismus. Und bringt sie so zum Schweigen.

Teilhabe als Grundpfeiler der Demokratie

Am Tag der Präsentation des Anti-Terror-Pakets richtete die Berichterstattung ihre Aufmerksamkeit gerade notwendigerweise auf die in Österreich erschreckend häufig stattfindenden Femizide sowie auf eine Vielzahl an politischen Korruptionsfällen. Die Regierung präsentiert ein breit kritisiertes Gesetzespaket überraschend und ohne transparente Vorankündigung an einem Freitagnachmittag. Das wirft demokratiepolitische Fragen auf. Sollen die Medien möglichst wenig über das Anti-Terror-Paket berichten, um kritischen Stimmen keine Chance auf Gehör und somit Partizipation zu geben?

Teilhabe für alle stellt einen Grundpfeiler eines demokratischen Systems dar. Für eine echte Demokratie muss die Möglichkeit demokratischer Einflussahme gewährleistet sein. Diese Mitgestaltungsmöglichkeit schwindet in gewissen Teilbereichen des gesellschaftlichen Lebens durch Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Unter anderem durch die bereits erwähnte Praxis der Einschüchterung. Meinungs-, Presse-, Religions- und Versammlungsfreiheit von Einzelpersonen oder Gruppen können, aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit, eingeschränkt werden. Eine Ausweitung von Einschränkungen auf weitere Menschenrechte und Gruppen ist damit nicht weit entfernt. 

Wir rufen politische Entscheidungsträger*innen auf, sich für Transparenz und Partizipation aller einzusetzen. Sie müssen Prozesse auf eine Art und Weise gestalten, die es vielfältigen Stimmen ermöglicht, gehört zu werden. Entmenschlichungsprozesse, geprägt von kolonialen Kontinuitäten und Rassismus, müssen strukturell aufgearbeitet werden. Derlei Strukturen bekämpfen wir durch einen partizipativen Dialog und gleichberechtigte Teilhabe aller. Wir plädieren für eine Politik für alle, nicht nur für die ohnehin Privilegierten.

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