AGO-Insolvenz: Wie Auslagerungen die Beschäftigten gefährden

Der Personaldienstleister AGO (Akademischer Gästedienst in Österreich) wird laut Medienberichten nächste Woche einen Insolvenzantrag stellen. Über 200 Beschäftigte sind davon betroffen. Florian Weissel, ehemaliger Betriebsrat bei AGO, erklärt, warum die Probleme von der Gemeinde Wien selbst hervorgerufen wurden und berichtet über die Geschehnisse der letzten Jahre.

Die Insolvenz von AGO stellt kein isoliertes Problem im Wiener Gesundheitsbereich dar, sondern ist vielmehr nur eine Facette einer Vielzahl an Missständen. Hintergrund ist eine chronische Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und der Versuch, diese mit neoliberalen Maßnahmen durch das Management zu lösen. Auf Kosten der Beschäftigten und der PatientInnen.

Das Krankenhaus Nord, das angeblich modernste Krankenhaus Europas, hätte bereits Anfang 2015 (teil)eröffnen sollen. Mittlerweile wird daraus eine Neverending Story. Nachdem das vom Krankenhaus Nord beauftragte Bauunternehmen wegen Mängeln nicht bezahlt wurde und Insolvenz anmelden musste, verzögern sich auch andere Bauprojekte im Krankenanstaltenverbund, an denen dasselbe Unternehmen beteiligt war. Schätzungen gehen mittlerweile von einer Eröffnung des KH Nord im Jahr 2018 aus. Vergleiche mit dem Flughafen Berlin Brandenburg, der 2007 eröffnen hätte sollen und dessen Fertigstellung noch immer unabsehbar ist, sind zulässig.

Nachdem Anfang des Jahres die Arbeitszeitrichtlinie der EU, trotz zehnjähriger Vorbereitungszeit, überhastet und ungeplant umgesetzt wurde, überschlagen sich die Ereignisse. ÄrztInnen protestierten im Frühjahr gegen drohende Lohneinbußen mit Betriebsversammlungen und Demonstrationen und gründeten die neue ÄrztInnengewerkschaft Asklepios. Nachdem deutliche Erhöhungen des Grundgehalts erkämpft wurden, zeigten sich schnell die strukturellen Probleme, die aus den Umstrukturierungen entstanden sind. Mit weniger ÄrztInnenarbeitszeit kann keine gleichbleibende Menge PatientInnen behandelt werden. Stundenlange Wartezeiten in den Ambulanzen und monatelange Wartezeiten auf Operationen sind die Folge. Aussicht auf Besserung gibt es nicht, aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen verlassen 6 von 10 AbsolventInnen des Medizinstudiums Österreich. Zudem wird in den nächsten Jahren rund ein Viertel der Wiener SpitalsärztInnen in Pension gehen.

Um die Attraktivität der Turnusausbildung zu erhöhen, wurde im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) angekündigt, dass ab Anfang 2015 der mitverantwortliche Tätigkeitsbereich (Setzen von Venflons, Kathetern, Infusionen, etc.) von den ÄrztInnen an die Pflege übergeben werden soll. Für mehr Arbeit und Verantwortung wurde aber weder eine Lohnerhöhung noch zusätzliches Personal vorgesehen. In dem Zusammenhang hat sich im März die Basisinitiative CARE Revolution Wien gegründet, die hauptsächlich aus diplomierten Pflegekräften besteht und für mehr Lohn und Personal kämpft. Die Wiener PflegerInnen sind in einem halben Jahr vier Mal auf die Straße gegangen – und das ohne relevante gewerkschaftliche Unterstützung oder sogar trotz Distanzierung von Seiten der zuständigen Gewerkschaft. Nachdem auch in den aktuellen Verhandlungen zwischen GdG/younion, KAV und Gemeinde Wien keine kämpferische Orientierung absehbar ist, kann mit einem weiteren Aufstand der Basis gerechnet werden.

AGO: Der eigentliche Skandal

Der AGO-Insolvenz geht eine Geschichte von öffentlichen Skandalen voraus. 2010 gab es Gerüchte, dass die Vergabe des Reinigungsauftrags in Höhe von 50 Millionen Euro vom AKH Wien an die AGO in Zusammenhang mit gemeinsamen Pokerpartys des AKH- und AGO-Managements erfolgt wäre. Etwa zeitgleich machte die sogenannte „Zivildiener-Affäre“ die Runde. Die Söhne der AGO-Geschäftsführer (und späteren Gesellschafter) hätten bei ihrem Zivildienst im AKH nur am ersten und letzten Tag Zivildienst geleistet, ansonsten ihre Tätigkeit in der AGO fortgesetzt. Beiden Skandalen folgten jahrelange Ermittlungen und Gerichtsverfahren, die neu aufgerollt und beeinsprucht wurden. Die Gemeinsamkeit der beiden Affären ist, dass die Belegschaft rein gar nichts damit zu tun hatte. Der eigentliche Skandal liegt hier nicht darin, ob Einzelpersonen korrupt waren oder nicht, sondern in der grundlegend äußerst windigen Praxis der Gemeinde Wien, Leistungen auszulagern und dann (oft sogar teurer) zurückzukaufen.

Die Firma AGO hatte zum Höhepunkt ca. 1400 Beschäftigte, den Großteil davon im AKH Wien bzw. im Krankenanstaltenverbund. Dazu gehörten neben dem Reinigungspersonal auch AbteilungshelferInnen, KrankenträgerInnen, Proben- und BefundläuferInnen, administratives Personal, KantinenmitarbeiterInnen und Beschäftigte in der KAV-IT. Daneben gab es noch Beschäftigte im privaten Lager-/Logistikbereich.

2012 wurde erstmals in der AGO-Firmengeschichte, entgegen vieler Widrigkeiten, ein Betriebsrat gegründet. Damals gingen viele Gerüchte um, dass der KAV die Verträge mit AGO kündigen würde. Die Arbeit des Betriebsrats war dementsprechend auf dieses Thema fokussiert. Eine beeindruckende Aktivität und Organisierung entstand in der Belegschaft: Eine Kampagne für die Übernahme der LeiharbeiterInnen in den Gemeindedienst wurde gestartet und bei einer Kundgebung vor dem Rathaus wurden dem Büro der Gesundheitsstadträtin Wehsely 4000 Unterschriften übergeben. Die Forderung der Übernahme in den Gemeindedienst ergab sich logisch aus der Situation: Viele ArbeiterInnen waren bereits seit bis zu zehn Jahren im AKH beschäftigt, teilweise über immer wieder wechselnde Firmen und in ständiger Unsicherheit über die Zukunft.

Die Verträge zwischen AGO und KAV, die den ArbeiterInnenbereich umfassten (im Gegensatz zu den Angestellten in IT und Sekretariaten), wurden letztendlich aufgekündigt. 2014 wurden ca. 400 ReinigerInnen schrittweise gekündigt, vom KAV wurden neue Reinigungsfirmen angeheuert, für die im Gegensatz zu Leiharbeitsfirmen keine Gleichstellung mit dem Stammpersonal besteht. Mit niedrigeren Stundenlöhnen und Arbeitszeitmodellen mit Teilzeit und geteilten Diensten sind die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in diesen Firmen deutlich schlechter. Gleichzeitig sind Beschäftigte von Reinigungsfirmen nicht in die bestehenden Teams auf den Stationen integriert und auch nicht gegenüber Krankenhausbeschäftigten weisungsgebunden, was negative Auswirkungen auf das Arbeitsklima, aber auch auf die zu erbringende Leistung und somit auf die Hygienebedingungen im Spital hat.

Der einzige Profiteur ist der Krankenanstaltenverbund, der durch diese Praxis geringe Einsparungen erzielen kann. Obwohl sich der Krankenanstaltenverbund offiziell im Eigentum der Stadt Wien befindet, wird er von einem neoliberalen Management geführt, das es sich zur Aufgabe gesetzt hat, private Unternehmen zu bedienen und die Krankenhäuser nach profitorientierten Kriterien zu führen. Von den ehemaligen AGO-ReinigerInnen wurde kaum jemand in die neuen Reinigungsfirmen übernommen, für die meisten hätten die niedrigen Löhne bei Teilzeitarbeit auch nicht zur Existenzsicherung gereicht. Viele ehemalige AGO-Beschäftigte sind seitdem arbeitslos. Für 400 weitere Beschäftigte, vor allem AbteilungshelferInnen, wurde vom Betriebsrat die Übernahme ohne Verschlechterungen in eine neue Leiharbeitsfirma ausverhandelt. Ob wirklich alle Beschäftigten übernommen worden sind, ist dabei allerdings nicht nachvollziehbar.

Nach nur eineinhalb Jahren soll dieser Bereich nun an die nächste Leiharbeitsfirma weitergegeben werden. Wenn jemand diese Abläufe nicht durchschaut, ist das vollkommen verständlich. Hinter dieser unsinnigen Vergabepraxis stehen zwei Dinge. Einerseits regelmäßig neue Vergaben an „Bestbieter“, wobei es nicht um die beste Qualität oder die besten Arbeitsbedingungen geht, sondern darum, am besten bei den Löhnen sparen zu können. Andererseits eine arbeitnehmerInnenfeindliche Politik, die Beschäftigte permanent unter Druck setzt und damit einschüchtert, dass Krankenstände, oder „auffälliges“ Verhalten (also für seine Rechte einzustehen) Gründe sind, um nicht in die nächste Firma übernommen zu werden. Gedeckt wird diese Politik durch die StadträtInnen für Gesundheit und Personal, die SPÖ-Politikerinnen Sonja Wehsely und Sandra Frauenberger, die selbst die neoliberalen Ausschreibungen absegnen.

Betriebsrat und Gewerkschaft

Unter diesen widrigen Umständen haben der Betriebsrat und die Belegschaft von AGO trotzdem einiges erreicht. Für die ReinigerInnen wurde in Österreich der erste Sozialplan für LeiharbeiterInnen ausverhandelt. Hintergrund war ein geschlossenes Auftreten der Belegschaft gegen die Versuche der Geschäftsführung, die KollegInnen mit einvernehmlichen Auflösungen abzuspeisen. Aufgrund des Drucks, der gegenüber der Stadt Wien mit Kampagnen und dem wiederholten persönlichen Konfrontieren der StadträtInnen aufgebaut wurde, wurde der zuständigen Produktionsgewerkschaft Pro.Ge zugesagt, in Zukunft Klauseln in Ausschreibungen aufzunehmen, dass MitarbeiterInnen durch die Folgefirmen übernommen werden müssen. Auf Initiative des Betriebsrats wurde von der Pro.Ge ein Verfahren beim Obersten Gerichtshof (OGH) angestoßen, dessen Urteil besagt, dass den LeiharbeiterInnen dieselben Nebengebühren (Zulagen) zustehen wie den Gemeindebediensteten. Nachzahlungen in Millionenhöhe stehen dafür an, aufkommen wird entweder der KAV oder der Insolvenzfonds.

Anlässlich der AGO-Insolvenz hat sich der Vorsitzende von younion_Die Daseinsgewerkschaft Christian Meidlinger dafür ausgesprochen, Dienstposten in der Gemeinde zu schaffen und die AGO-Beschäftigten rechtlich zu vertreten. Viel zu erwarten ist davon nicht: Bei den vergangenen Kündigungen hat sich Meidlinger, der ja selbst im Wiener Gemeinderat sitzt, stets von der Verantwortung für LeiharbeiterInnen distanziert und auch nach persönlichem Gespräch mit den AGO-BetriebsrätInnen die ArbeiterInnen im Regen stehen lassen. Heute wie damals beruft sich younion darauf, vor Auslagerungen gewarnt zu haben. Und auch für die Gemeindebediensteten in den Krankenhäusern selbst tut die younion reichlich wenig. Was es aber bräuchte, ist ein Kampf gegen diese Missstände und eine Unterstützung der KollegInnen und BetriebsrätInnen, die diesen Kampf bereits führen.

AGO-Insolvenz: Welche Lösung für die Beschäftigten?

Wie können nun die Jobs der verbliebenen AGO-MitarbeiterInnen gerettet werden? Real müssen durch die AGO-Insolvenz überhaupt keine Jobs verloren gehen. Die Beschäftigten im KAV könnten und sollten sofort in den Gemeindedienst übernommen werden, das wäre die richtige und auch politisch beste Lösung. Immerhin kann der KAV nicht von heute auf morgen seine IT-Abteilung verlieren. Auch das administrative Personal wird in den Abläufen im Krankenhaus täglich gebraucht. Zu befürchten ist allerdings, dass der KAV auf eine windige Lösung mit neuen Leiharbeitsfirmen oder ähnlichen Konstruktionen setzt, um sein neoliberales Credo nicht zu brechen.

Die verbliebenen AGO-MitarbeiterInnen, die nicht im KAV beschäftigt sind, könnten vom AGO-Chef sofort in die Firma ecostaff übernommen werden, eine vor wenigen Jahren vom AGO-Geschäftsführer Gross neu geschaffene Leiharbeitsfirma, in die damals von einem Tag auf den nächsten 100 AGO-Beschäftigte verschoben wurden. Zu befürchten ist aber, dass die Insolvenz genutzt wird um nicht profitable Bereiche abzustoßen, offene Forderungen von Beschäftigten an den Insolvenzfonds abzugeben und gleichzeitig mit ecostaff auf ein neues Pferd zu setzen. Wie so oft, geht es auch hier nicht um Menschen oder Jobs, sondern einzig um Profite.

Ein gutes Leben für Alle

Verursacher dieser absurden Politik sind die Stadt Wien und die hier seit Jahrzehnten regierende SPÖ. In Unternehmungen der Stadt Wien, aber auch des Bundes, gibt es einen Wildwuchs von Fremdfirmen und Leiharbeit, wodurch die Marktlogik in den Bereich der öffentlichen Versorgung bis in die Krankenhäuser gebracht wird. Mit dieser Politik müsste schnell Schluss gemacht werden. Alle Beschäftigten von Leiharbeitsfirmen und Fremdfirmen müssen in den öffentlichen Dienst übernommen werden und sichere Dienstposten geschaffen werden. Solange das nicht passiert, wird sich die Spirale weiter drehen. Neue Skandale , ähnlich wie der AGO-Fall, wären damit vorprogrammiert. Eine Lösung wäre, das neoliberale Management des KAV selbst so weit „auszulagern“, dass es keinen Schaden mehr anrichten kann, d.h. durch demokratische Strukturen von Beschäftigten und PatientInnen zu ersetzen.

Im Gesundheitsbereich ist einiges in Bewegung. Die Ereignisse hinterlassen ihre Spuren und viele KollegInnen ziehen aus ihren Erfahrungen richtige Schlüsse. Die Missstände rund um die AGO wie auch um andere Leiharbeitsfirmen haben dazu geführt, dass die CARE Revolution Wien den Kampf gegen Leiharbeit in ihr Programm aufgenommen hat. Die Initiativen von ÄrztInnen und PflegerInnen gegen Zweiklassenmedizin und für gute Arbeitsbedingungen zeigen in die Richtung einer Gesellschaft, die nach Bedürfnissen funktioniert statt nach Profit.

Florian Weissel war Lagerarbeiter bei AGO und Mitbegründer des AGO-ArbeiterInnenbetriebsrats. Er war in diverse Gerichtsprozess mit AGO involviert und wartet wie viele andere Beschäftigte auf Nachzahlungen der AGO. Außerdem ist er aktiv in der CARE Revolution Wien.

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